Am 3. März 2002 haben Volk und Stände die UNO-Beitrittsinitiative angenommen. Am 10. September 2002 ist die Schweiz zu Beginn der 57. Generalversammlung feierlich als 190. Mitglied in die Organisation der Vereinten Nationen aufgenommen worden. Keine sechs Monate später gab der Bundesrat den ersten Rechenschaftsbericht über den Start der Schweiz als Vollmitglied in der Uno heraus1. Im Sommer 2003 hat das schweizerische Parlament diesen Bericht genehmigt und dabei auch eine kritische Standortbestimmung vorgenommen.
Die Schweiz hat im September 2002 natürlich nicht bei Null angefangen. Schon vor dem Eintritt:
o verfolgten die Schweiz und die Uno weitgehend die gleichen Ziele: Stärkung der Menschenrechte, Förderung des Friedens, Bekämpfung der Armut, Einsatz für eine gesunde Umwelt.
o unterhielt die Schweiz Missionen an allen wichtigen Sitzen der Uno, in New York, Genf, Wien und Nairobi.
o war die Schweiz mit Genf - neben Wien - europäischer Hauptsitz der Uno.
o hatte die Schweiz schon bisher an sämtlichen Weltkonferenzen teilgenommen.
o war die Schweiz auch ohne Mitgliedschaft Vertragspartei der meisten Uno -Konventionen.
o leistete die Schweiz bereits finanzielle Beiträge von rund 500 Millionen Franken jährlich an das Uno -System und gehörte damit zu den vierzehn grössten Beitragszahlern.
Wir lassen uns heute direkt vernehmen und müssen nicht mehr anstehen, bis die Beobachter auch noch etwas sagen dürfen. Die Rechte eines UNO-Mitglieds umfassen: Stimmrecht, aktives und passives Wahlrecht, allgemeine Interventionen, Einbringen von Resolutionsvorschlägen, Co-Sponsoring von Resolutionen.
Die Schweiz ist hiermit als Partner interessanter geworden. Wir können Stimmen geben und erhalten, damit wirksamer und leichter Koalitionen schmieden und Veränderungsprozesse einleiten. Dadurch haben sich auch bisher verschlossene Türen zu neuen Positionen geöffnet.
Die Schweiz hat sich bereits im ersten Jahr ihrer UNO-Mitgliedschaft in all ihren Schwerpunktbereichen zu Worte gemeldet. Herausgegriffen und erwähnt seien:
Im Bereich "Menschenrechte": Das Engagement gegen Folter, indem sich die Schweiz für ein Zusatzprotokoll eingesetzt hat.
In der Friedenspolitik: Die Zusammenarbeit mit Deutschland und Schweden für gezieltere Sanktionen, welche Verantwortliche direkter treffen und die unschuldige Bevölkerung verschonen sollen. Zu diesem Thema haben die Schweiz, Schweden und Deutschland im Mai dieses Jahres in der Nähe von New York einen vom Watson-Institute der Brown Universität organisierten Workshop finanziert, der an alle 15 Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates gerichtet war. Diese gemeinsamen Bemühungen sollen eine Fortsetzung finden.
Früher hat die Schweiz von der UNO beschlossene Sanktionen freiwillig und aufgrund autonom getroffener Entscheidungen mitgetragen und umgesetzt. Seit ihrem Beitritt sind die von der UNO getroffenen Sanktionen für unser Land direkt verbindlich. Und die Schweiz ist grundsätzlich auch bereit, der UNO Blauhelme zur Verfügung zu stellen.
In der Umweltpolitik: Das Engagement insbesondere im Rahmen des UNO-Umweltprogramms (UNEP), zum Beispiel im Bereich "Chemikalien und gefährliche Abfälle". Eine wichtige Priorität bildet die Verbesserung der Kohärenz und Koordination der internationalen Umweltpolitik. So unterstützt unser Land eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Umweltabkommen und setzt sich für ein verbindliches Finanzierungssystem für das UNEP ein, das bis anhin ausschliesslich über freiwillige Beiträge der Mitgliedstaaten gespeist wird.
Bei der Weiterentwicklung des Völkerrechts: Dies ist ein weiterer Schwerpunkt der Schweiz, die darin ein friedenssicherndes Element erkennt, dem sie sich als kleines, neutrales Land mit einer starken humanitären Tradition verpflichtet fühlt. Aktuelles Beispiel im Bereich "Durchsetzung des Völkerrechts": Die Schweiz spricht sich mit verschiedenen andern Staaten gegen die von den USA geforderte Immunität von US-Blauhelmsoldaten vor dem Internationalen Strafgerichtshof aus.
Die Kritik sei auf die meines Erachtens wichtigsten Kritikpunkte beschränkt:
o Kritik erntete auch die von unserer Regierung geförderte Zusammenarbeit des Weltwirtschaftsforums mit den Vereinten Nationen. Der Bundesrat verhält sich hier widersprüchlich. Einerseits meint er, dass WEF sei eine private, informelle Institution, andrerseits versucht er diesem elitären, demokratisch überhaupt nicht abgestützten Gebilde, Legitimität zu geben und sogar den Weg in die UNO zu ebnen.
o Dass internationale Unternehmen Verhaltensregeln zur Beachtung der Menschenrechte und Umweltanliegen brauchen, ist anerkannt. Der vom Bundesrat unterstützte unverbindliche Global Compact, eine Initiative der UNO, genügt jedoch keineswegs. Rund fünfzig Parlamentsmitglieder verlangen deswegen von unserer Regierung, sich im Rahmen der UNO für eine völkerrechtliche Konvention zur Regulierung des Verhaltens internationaltätiger Unternehmen einzusetzen2. Diese sollte die rechtlich verbindliche Verantwortung von Unternehmen in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte, Arbeitsrechte und Sicherheit regeln.
o Der Bundesrat hat zwar eine optisch ansprechende Berichterstattung über seine UNO-Politik herausgegeben. Diese ist jedoch wenig selbstkritisch und nicht geeignet, eine öffentliche Diskussion über die Schweiz in der UNO auszulösen. Alles ist sehr abtempiert, insbesondere wenn es um die USA geht. Dann wird die Analyse verheimlicht oder hört dort auf, wo sie den USA missfallen könnte.
o Die USA, Grossbritannien und Spanien haben im Irak-Krieg ohne Zweifel Völkerrecht gebrochen. Sie haben gegen die UNO-Charta verstossen, die in Artikel 2, Absatz 3, alle Mitglieder verpflichtet, ihre internationalen Streitigkeiten "durch friedliche Mittel beizulegen". Ebenso haben sie die Regeln zum Schutze der Zivilbevölkerung der Genfer Konventionen verletzt. Wo bleibt die Anklage und wo bleiben die Sanktionen? Auch die Schweizer Regierung windet sich.
Mit diesen wenigen Kritikpunkten soll die bundesrätliche Politik in der UNO nicht insgesamt in Frage gestellt werden. Sie sollen eher auf die noch grossen Herausforderungen der Schweiz und der UNO aufmerksam machen. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen:
o Der Sicherheitsrat bleibt reformbedürftig. Transparenz, Zusammensetzung und auch die Veto-Privilegien lassen zu wünschen übrig.
o Die Unterstellung der Uno-Menschenrechtskommission unter den Wirtschafts- und Sozialrat entspricht nicht dem Gewicht der Menschenrechte in der Uno-Charta und ist auch wegen der völlig unterschiedlichen Zusammensetzung der beiden Organe fragwürdig. Walter Kälin schlägt in seinem kürzlich veröffentlichten Gutachten die direkte Unterstellung unter die Generalversammlung vor. Ein neues Kriterium für die Aufnahme als Mitglied in die Menschenrechtskommission könnte die "Anerkennung der Internationalen Gerichtshöfe" sein.3
o Als UNO-Mitglied beschliessen wir Normen, die nicht nur für andere gelten, sondern auch uns selbst vermehrt in die Pflicht nehmen. Erst kürzlich hat eine internationale Studie auch für die Schweiz erhebliche Mängel in der Gleichstellung aufgedeckt. Die Bekämpfung der Armut, Chancengleichheit in Bildung und Gesundheit, Diskriminierungsverbote sind Aufgaben und Strategien, die auch im eigenen Land zu erfüllen bzw. zu verfolgen sind. Dazu setzte der Nationalrat am 20. Juni 2003 einen Meilenstein. Er beschloss die Einsetzung einer Eidgenössischen Kommission für Menschenrechte, ein Gremium, das es in Deutschland schon seit zwei Jahren gibt.
o Völlig offen und eine Herausforderung für Bundesrat und Parlament, bleibt die von der Bundesverfassung verlangte Mitwirkung des Parlamentes in der Aussenpolitik bzw. in der UNO. Klar ist, dass ein jährlicher Verwaltungsbericht über die Schweiz und die UNO, den demokratischen Erfordernissen und einer innenpolitischen Verankerung nicht genügt.
o Auch die UNO selbst muss demokratischer werden. Eine Idee dazu ist, der UNO eine parlamentarische Kammer als Ergänzung zur diplomatischen Regierungsorganisation zuzuordnen.
Remo Gysin war Mitinitiant der Eidgenössischen Volksinititiative "Für den Beitritt der Schweiz zur Uno" vom März 2002. Von Beruf ist er ist Ökonom und selbständiger Berater öffentlicher und gemeinnütziger Unternehmen. Er war Regierungsrat des Kantons Basel und sitzt seit 1995 für die SP im Nationalrat. Der Text basiert auf einem Referat, das Remo Gysin am im Juni 2003 in Potsdam gehalten hat.
Im personellen Bereich hat die Schweiz erfolgreich in für sie prioritären UNO-Gremien Kandidaturen aufgestellt:
Prof. Walter Kälin
o Präsidentschaft Verwaltungsrat von UNICEF:
Botschafter Jenö Staehlin
o Vizepräsidentschaft Exekutivausschuss des UNHCR:
Botschafter Jean-Marc Boulgaris
o Mitgliedschaft Sonderausschuss für friedenserhaltende Operationen für 2003 (CH erstmals Mitglied)
o Präsidentschaft Kommission für soziale Entwicklung der UNO für die Periode 2003 - 2004:
Botschafter Jean-Jacques Elmiger
o Vizepräsidentschaft 6. Kommission UNO-Generalversammlung für die Periode 2002 - 2003:
Valentin Zellweger, Ständige Mission der Schweiz bei der UNO in New York
Fussnoten
1 Bericht 2003 über die Zusammenarbeit der Schweiz mit der Organisation der Vereinten Nationen und mit den internationalen Organisationen mit Sitz in der Schweiz vom 26. Februar 2003
2 Die Motion "UNO-Konvention zur internationalen Unternehmensverantwortung und -haftung" ist von Remo Gysin am 19. Juni 2003 im Nationalrat eingereicht worden.
3 Siehe Walter Kälin und Cecilia Jimenez; Reform of the UN Commission on Human Rights, Bern/Geneva August 2003
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