FriZ 6/2003

Anfang November machte Sri Lanka Schlagzeilen, als die Präsidentin drei Ministerien übernahm, das Parlament suspendierte und den Ausnahmezustand ausrief. Der vor zwei Jahren begonnene Friedensprozess im Land schien gescheitert. Inzwischen zeichnet sich ab, dass die Regierungskrise auch Chancen bietet. Tatsächlich besteht Hoffnung, dass die Friedensgespräche zwischen der mehrheitlich singhalesischen Regierung und der tamilischen Guerilla dank breiterer Abstützung mit neuem Schub fortgeführt werden können. Von Martin Stürzinger

Steiniger Weg zum Frieden in Sri Lanka

Im Dezember 2001 keimte Hoffnung auf in Sri Lanka, als die United National Front (UNF) unter Ranil Wickremasinghe die Parlamentswahlen gewann. Die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) reagierten mit einem einseitigen Waffenstillstand, den auch die Regierung einhielt. Norwegische Unterhändler ermöglichten am 22. Februar 2002 die Unterzeichnung eines unbefristeten Waffenstillstands und einer Vereinbarung, die den Weg für Frieden im Land ebnen soll.

Seither schweigen die Waffen. Im September 2002 begannen Friedensgespräche, in denen schnell substantielle Fortschritte erzielt wurden. Im Dezember 2002 einigten sich Regierung und LTTE in Oslo darauf, nach einer politischen Lösung zu suchen, die auf "interner Selbstbestimmung gründet und auf einer föderalen Struktur innerhalb eines geeinten Sri Lanka basiert".

Doch bereits im April 2003 suspendierten die Tamil Tigers ihre Teilnahme an den Gesprächen, weil ihnen die Umsetzung von Vereinbarungen nicht rasch genug ging. Sie verlangten eine "Interim Administration" im Norden und Osten des Landes, die von ihnen kontrolliert würde. Nachdem die Regierung im Juli einen Vorschlag unterbreitet hatte, arbeiteten die LTTE einen Gegenvorschlag aus, den sie am 1. November publizierten. Darauf bestand Hoffnung, dass die Gespräche in kurzer Zeit wieder aufgenommen würden.

Vier Tage später übernahm Präsidentin Chandrika Kumaratunga, die der oppositionellen People's Alliance (PA) angehört, mit der Begründung, die nationale Sicherheit sei bedroht, drei Ministerien, suspendierte das Parlament für zwei Wochen und rief den Ausnahmezustand aus.

Fragiler Vielvölkerstaat

Grabenkämpfe zwischen der Regierung und der Opposition sind nichts Neues für Sri Lanka, und sie haben massgeblich zur Verschlimmerung des ethnischen Konflikts beigetragen. Noch schwieriger wird die Situation dadurch, dass das Land eine sehr komplexe Bevölkerungsstruktur aufweist. 74 Prozent der rund 19 Millionen EinwohnerInnen sind SinghalesInnen, die vor allem im Südwesten der Insel leben. Die grösste Gruppe der Minderheiten sind mit 18,6 Prozent die TamilInnen, MuslimInnen machen weitere 7 Prozent der Bevölkerung aus.

Als die Insel 1948 die Unabhängigkeit erlangte, gelang es der damals regierenden verwestlichten singhalesischen Elite nicht, das fragile Gebilde des Vielvölkerstaats im Gleichgewicht zu halten. Die Beziehungen zu den Sri Lanka-Tamilen verschlechterten sich dauerhaft, als 1956 Singhalesisch als einzige offizielle Sprache in der Verfassung verankert wurde.

1972 gründete der damals 18-jährige Velupillai Prabhakaran die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE). Sie forderten die Errichtung eines unabhängigen tamilischen Staates Tamil Eelam im Norden und Osten des Landes. Im Juli 1983 kam es nach einem Anschlag der LTTE zu einem Pogrom an der tamilischen Bevölkerung im Süden, das einen Massenexodus zur Folge hatte. Seither prägt der ethnische Konflikt die Politik des Landes. Die LTTE, 1983 eine Handvoll Guerilleros, entwickelten sich zu einem ernsthaften Gegner für die Armee, obwohl diese in den letzten Jahren massiv vergrössert und aufgerüstet wurde. Über 64000 Menschen sind als Folge der schweren Kämpfe zwischen der sri-lankischen Armee und der tamilischen Guerilla gestorben. Noch immer leben rund 430000 Personen, in der überaus grossen Mehrheit TamilInnen, als intern Vertriebene in Flüchtlingslagern oder bei Verwandten.

Bürgerkrieg seit 20 Jahren

Zwar gab es immer wieder Ansätze, den bewaffneten Konflikt mit politischen Mitteln zu lösen, doch bisher führten Verhandlungen nie zu einem positiven Resultat. Als 1994 Chandrika Kumaratunga zur Präsidentin gewählt wurde, scheiterten Gespräche mit den Tamil Tigers bereits nach wenigen Monaten, als die LTTE den bewaffneten Kampf gegen die Armee in unverminderter Härte wieder aufnahmen. Wie bedrohlich die Tamil Tigers sind, zeigte sich etwa am 24. Juli 2001, als die Guerilla den einzigen internationalen Flughafen des Landes angriff und dabei vier Flugzeuge der Srilankan Airlines und sechs Armeeflugzeuge zerstörte.

Eineinhalb Monate später erfolgte der Anschlag auf das World Trade Center in New York. Der weltweite Kampf gegen den Terrorismus hatte zur Folge, dass auch die LTTE massiv unter Druck gerieten. Die Organisation war zuvor nicht nur in Sri Lanka, sondern auch in den USA, Grossbritannien und Indien verboten worden. Nach dem 11. September 2001 war klar, dass die Weltöffentlichkeit terroristische Anschläge auch in Sri Lanka nicht einfach als legitimen Befreiungskampf betrachten würde.

Die Wahlen vom Dezember 2001 eröffneten jedoch nicht nur neue Perspektiven im Friedensprozess, sie führten auch zu einer für Sri Lanka völlig neuen Konstellation: Zwar verfügt Premier Ranil Wickremasinghe von der UNF im Parlament über eine Mehrheit, doch Präsidentin mit weitreichenden Vollmachten ist nach wie vor Chandrika Kumaratunga von der heute oppositionellen PA. Diese Kohabitation hat sich in den vergangenen zwei Jahren als ausserordentlich schwierig erwiesen. Die Präsidentin bemängelte, dass sie nicht über den Inhalt der Gespräche informiert werde und drohte mehrmals, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen. Dass sie ihre Macht zu einem Zeitpunkt ausspielte, als die Tamil Tigers bereit waren für eine Wiederaufnahme der Gespräche, stiess national und international auf Unverständnis und Kritik.

Gegenwärtige Krise als Chance?

Allerdings scheinen nun Präsidentin und Premier eingesehen zu haben, dass eine Kooperation unabdingbar ist. Tatsächlich ist für eine Verfassungsänderung - und eine solche ist für eine politische Lösung zwingend - eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig, über die auch nach Neuwahlen keine der beiden Parteien verfügen dürfte. Insofern eröffnet die jüngste Krise durchaus auch Chancen. Wichtig ist, dass möglichst rasch wieder Gespräche mit den LTTE aufgenommen werden. Deren Anführer Prabhakaran hat in einer Rede Ende November deutlich gemacht, dass die Geduld der Tamilen Grenzen hat.

Eine immer entscheidendere Rolle spielt auch die internationale Gemeinschaft. Die Schweiz zum Beispiel finanziert zusammen mit Deutschland das Resource Network for Conflict Studies and Transformation (RNCST) in Colombo, das die Kompetenzen und Potentiale wichtiger Akteure des Konflikts zur Konflikttransformation stärkt und Anreize zur Kooperation und Vernetzung gibt. Von Bedeutung war auch die Jahreskonferenz der politischen Abteilung IV des EDA zum Thema "Menschliche Sicherheit: Sri Lanka", an der sich am 9. September Vertreter der Regierung und der LTTE erstmals seit der Suspendierung der Friedensgespräche trafen.

Martin Stürzinger ist Journalist und arbeitet zurzeit als Berater für zivile Friedensförderung an der Schweizer Botschaft in Sri Lanka. Er vertritt hier seine persönliche Meinung.


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