FriZ 5/2003

Welche Ansätze und Strategien verfolgen die Schweizer Hilfswerke bei der Friedensförderung in den Ländern des Südens? Wie arbeiten dabei die Nichtregierungsorganisationen (NGO) mit der offiziellen Schweiz (EDA, Deza) zusammen? Eine Übersicht von Esther Marthaler

Politik der kleinen Schritte

Am 24. Dezember 1998 griff in Poso auf der Insel Sulawesi in Indonesien ein protestantischer junger Mann einen muslimischen Bewohner der Nachbarsiedlung mit einem Messer an und verletzte ihn am Arm. Der junge Muslim floh darauf in die nahe gelegene Moschee. Dies ist zumindest eine Version des Vorfalls der im Gebiet Poso während mehrer Jahre zu äußerst gewalttätigen Unruhen zwischen Angehörigen der beiden Religionen führte und bisher rund 1000 Tote und 100 000 Vertriebene forderte. Auch wenn inzwischen wieder eine oberflächliche Ruhe herrscht, leben viele Vertriebene immer noch in provisorischen Unterkünften, trauen sich nicht, an ihre alten Wohnorte zurückzukehren und haben am neuen Wohnort noch immer keine Perspektive.

Frieden ist die Basis nachhaltiger Entwicklung

Diese Art von andauernden innerstaatlichen Konflikten mit unscharfen Übergängen zwischen Gewaltverbrechen und Krieg, haben in den letzten Jahren in vielen Ländern, in denen die Schweizer Hilfswerke traditionell tätig sind, zugenommen. Frieden ist jedoch die Basis für eine nachhaltige Entwicklung. Vielerorts haben solche oder ähnliche Konflikte die jahrelange Arbeit der Entwicklungsorganisationen zunichte gemacht oder zurückgeworfen.

Auch die Schweizer Hilfswerke und die staatliche Entwicklungszusammenarbeit wurden in ihren Projekten und Programmen zunehmend mit innerstaatlichen Konflikten konfrontiert. Der Genozid in Ruanda im Jahre 1994 schliesslich rückte dieses Thema ins Zentrum des Interesses und seither engagieren sich viele Schweizer Hilfswerke enorm, um mit der neuen Situation adäquat umgehen zu können. Für Organisationen, die christlichen Werten wie Gerechtigkeit und Respekt vor der Schöpfung verpflichtet sind, war die Auseinandersetzung mit Friedensfragen nicht neu, jedoch war das Thema in der Projektarbeit im Ausland vorher nicht in dieser Form aufgetaucht.

Altes Thema in neuer Form

Dies hat sich jedoch in den letzten Jahren grundsätzlich geändert. Das Hilfswerk der evangelischen Kirchen Heks unterstützt zum Beispiel in der obengenannten Region Poso in Indonesien ein Friedensprojekt, welches die Vertriebenen dabei unterstützt, einen neuen Lebensunterhalt zu finden. Im Gegensatz zu einem üblichen Entwicklungsprojekt, geht es bei den Friedensdörfern in Poso, in denen Christen, Muslime und Hindus zusammenleben, vor allem auch darum, das friedliche Zusammenleben von Angehörigen verschiedener Religionen zu fördern. Es werden zusammen Häuser gebaut neue Einkommensmöglichkeiten erprobt und die Zukunft der Siedlung geplant. So tragen Gespräche und gemeinsame Vorhaben zum Abbau von Misstrauen bei und es besteht Hoffnung, dass künftige Unstimmigkeiten und Konflikte ohne Gewalt und auf konstruktive Weise bearbeitet werden können.

In einem ganz anderen Kontext arbeitet ein von den Hilfswerken Caritas, Fastenopfer und Heks getragenes und von der Politischen Abteilung IV des EDA unterstütztes Friedensprogramm in Guatemala. Nach jahrelangem Bürgerkrieg geht es dort darum, den fragilen Frieden zu erhalten und die Vergangenheit aufzuarbeiten. Das Friedensprogramm beschränkt sich auf eine Region und hat die Verbesserung des Zugangs zur Justiz durch die Aufklärung der EinwohnerInnen über ihre Rechte, die Förderung einer gewaltfreien Konfliktkultur und die Aufarbeitung der Vergangenheit zum Ziel. Dies sind wichtige Schritte für einen nachhaltigen Frieden. Ein weiteres Ziel des Programms liegt in der Sensibilisierung für die Notwendigkeit von Friedensprogrammen hier bei uns in der Schweiz. Dieses Programm stellt in der Friedensförderung eine neue Art der Zusammenarbeit zwischen den Hilfswerken und der politischen Abteilung IV des EDA dar.

Unterschiedliche Ansätze bei NGO und staatlichen Stellen

Die Arbeitsansätze dieser verschiedenartigen Organisationen weisen jedoch entscheidende Unterschiede auf. So arbeiten sie beispielsweise nicht auf derselben Interventionsebene. Während die Hilfswerke und auch die Deza in der Friedensförderung eher auf der Graswurzel- und der lokalen oder regionalen Ebene arbeiten, ist der traditionelle Arbeitsbereich des EDA eher auf der höheren politischen oder nationalen Ebene angesiedelt und man arbeitet oft mit internationalen oder multilateralen Organisationen, wie der Uno oder der OSZE als Partner zusammen. Neben der Arbeit auf unterschiedlichen Ebenen verfolgen die Entwicklungsorganisationen auch andere Strategien. Die bilaterale Friedensförderung des EDA ist abkommensorientiert und will durch Ermöglichen von Dialog und durch Vermittlung in Workshops und Rundtischen Prozesse anstossen. Zum Beispiel durch die Organisation von informellen Treffen zwischen hochrangigen Vertretern verschiedener Parteien in Mazedonien, um politische Verständigungsprozesse anzuschieben. Bei der Arbeit der Hilfswerke und auch der Deza geht es nicht nur um Prozesse sondern auch um Strukturen von sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit und Armut. So wollen sie beispielsweise durch Trainings, Bewusstseinsbildung, Menschenrechtsarbeit und durch die Bearbeitung von Traumata, die den Konflikten unterliegenden Strukturen verändern.

Der Kontext eines latenten Konflikts oder einer Nachkriegssituation stellt an alle unterstützenden Organisationen eine Vielzahl neuer Erfordernisse. So reichen für die Planung eines Projekts die üblichen entwicklungsspezifischen Daten nicht mehr aus. Notwendig ist zusätzlich eine profunde Analyse der Konfliktsituation, der involvierten Parteien und ihrer Beziehungen. Da das Thema Friedensförderung in der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit (beispielsweise im Unterschied zur deutschen Entwicklungszusammenarbeit) noch relativ neu ist, kann der Kenntnisstand über angemessene Methoden und Instrumente für die Analyse solcher Konflikte noch als verbesserungswürdig bezeichnet werden.

Weiter muss sich die Projektverwaltung und -beobachtung im Konfliktkontext mit ganz neuen Fragen auseinandersetzen. Es muss beispielsweise sichergestellt sein, dass das Projekt wirklich die konfliktrelevanten Probleme angeht, was im dynamischen und sich schnell ändernden Kontext von Konflikten eine anspruchsvolle Aufgabe ist. Dies stellt an die Organisationen und an ihre MitarbeiterInnen hohe Anforderungen und kann gerade kleinere Hilfswerke vor Probleme stellen, da ihnen unter Umständen die Ressourcen dafür fehlen, oder diese von den Projektbudgets abgezogen werden müssen. Ebenso ist der Erfolg in der Bearbeitung von Konflikten sehr schwierig zu messen. Der Einsatz der Hilfswerke und auch der Deza findet eben gerade nicht auf Regierungsebene statt, wo ein Friedensabkommen den "Erfolg" der Bemühungen demonstrieren kann. Ihre Arbeit ist vielmehr dort, wo die kleinen aber wichtigen Schritte in der Prävention und Bearbeitung von Konflikten stattfinden, Misstrauen abgebaut wird und Brücken zwischen Gruppen gebaut werden.

"Do no harm" als oberste Maxime

Bei der Umsetzung der Projekte und Programme ist - unabhängig davon ob es sich um Friedensprojekte oder um Entwicklungsprojekte im Konfliktkontext handelt - darauf zu achten, dass im Umgang mit den betroffenen Menschen und den lokalen Entwicklungsorganisationen, nicht ungewollt, oder unbeabsichtigt Konflikte verschärft werden. Zum Beispiel dadurch, dass nur eine der Konfliktparteien in das Projekt involviert ist, die andere sich benachteiligt fühlt und dadurch die Ressentiments verstärkt werden. Man stelle sich vor, dass im obenerwähnten Projekt in Poso, nur eine der verschiedenen Religionsgruppen Unterstützung erhalten würde. Ohne entsprechende Gegenmassnahmen, könnte dieses Verhalten des Hilfswerks konfliktverschärfende Wirkung haben. Das Grundprinzip von Unterstützung muss deswegen zuallererst dem Anspruch, "do no harm" - "die Situation nicht noch verschlimmern", genügen. Gleichzeitig ist es natürlich unumgänglich, dass die Strukturen und Probleme, die zum gewalttätigen Konflikt geführt haben, angegangen werden. In Fall dieses spezifischen Konflikts in Indonesien deutet vieles daraufhin, dass religiöse Differenzen nur einer der Gründe waren, warum die Situation eskaliert ist und dass die Linien zwischen den Gruppen keineswegs so deutlich zu ziehen sind.

Die Schweizer Hilfswerke und die staatlichen Stellen haben sich diesen Herausforderungen gestellt und begegnen ihnen mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Massnahmen. Thematisch sind die Schwergewichte je nach Organisation unterschiedlich. So sind Themen wie konfliktsensitiver Wiederaufbau, Vergangenheitsbewältigung, Traumaarbeit oder Friedensförderung als ein Schwerpunkt der Auslandarbeit in den Organisationen festgeschrieben. In den Leitlinien verschiedener Organisationen wurden Friedenskonzepte entworfen oder Friedensallianzen definiert, welche die Basis für die zukünftige Arbeit darstellen. Die grösseren Hilfswerke haben spezielle Fachstellen eingerichtet und die Deza hat sogar einen ganze Abteilung gegründet, welche die Aufgabe hat, das Thema in der Organisationskultur zu verankern und die MitarbeiterInnen der jeweiligen Organisationen kompetent zu unterstützen. Diese Fachstellen beraten ihre KollegInnen bei spezifischen Fragen die sich in Projekten stellen, entwerfen Strategien um effizientere Projekte und Programme zu entwickeln, arbeiten Erfahrungen auf und beteiligen sich an thematischen und geographischen Diskussionsrunden. Es werden Fortbildungen durchgeführt, welche die MitarbeiterInnen zuerst für das Thema sensibilisieren, sie in die zur Verfügung stehenden Methoden (wie beispielsweise die "do no harm"-Analyse) einführen und ihnen Gelegenheit geben, ihre Erfahrungen mit diesem neuen Feld zu diskutieren und zu reflektieren. Gerade weil ein integriertes Vorgehen und eine Langzeitperspektive im Konfliktkontext so wichtig sind, setzt sich in vielen Organisationen der Trend statt in Projekten, in Programmen zu denken immer mehr durch.

Die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen anderer Akteure ist in der Friedensförderung speziell wichtig, müssen doch staatliche und nicht-staatliche Organisationen zusammenspannen um wirksame Friedensförderung betreiben zu können. Gerade die NGO haben häufig langjährige Erfahrungen in den einzelnen Ländern, intensive Kontakte zu Partnerorganisationen - vor allem der Zivilgesellschaft - was ihnen eine fundierte Einschätzung der Situation verschafft. Einigkeit herrscht darüber, dass es darum geht, die Stärken der schweizerischen Akteure zu kombinieren und Synergien zwischen den Aktivitäten herzustellen. Eine Plattform für den Austausch zwischen NGO und Staat bietet das Kompetenzzentrum Friedensförderung (KOFF) der Schweizerischen Friedensstiftung (swisspeace). Fast alle grösseren schweizerischen Entwicklungsorganisationen, viele Friedensorganisationen sowie die relevanten staatlichen Organisationen sind Mitglied im KOFF. In verschiedenen Veranstaltungen, wie Rundtischen zu verschiedenen Ländern und Themen sowie Trainings tauschen sich SpezialistInnen über Ihre Erfahrungen aus und identifizieren gemeinsam neue Wege im Umgang mit der Friedensförderung.

Natürlich ist in diesem neuen Feld der Entwicklungszusammenarbeit noch viel Raum für neue, innovative Programmansätze, detaillierte Analysen und angepasstes Projektmanagement. Weitere Diskussionen werden notwendig sein, um die bisher gemachten Erfahrungen zu kapitalisieren, noch besser zusammenzuarbeiten und das Thema wirklich im Bewusstein aller zu verankern und damit einen Beitrag zu einer gerechteren und sichereren Welt zu leisten.

Esther Marthaler ist Ethnologin und Programme Officer beim Kompetenzzentrum Friedensförderung (KOFF) bei swisspeace / Schweizerische Friedensstiftung in Bern. Sie hat diesen Sommer eine Umfrage bei den Schweizer Hilfswerken zum Thema "Konfliktsensible Programm- und Projektgestaltung" durchgeführt. Die Ergebnisse der Umfrage sind unter folgender Adresse im Internet zu finden: http://www. Swisspeace.org/koff/t_peacebuilding.htm< /address>


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