Bitte verstehen sie mich falsch. Nicht, dass ich ein besonderes Problem damit hätte, richtig verstanden zu werden, weder um mich dem Klischee des Dichters anzubiedern, noch um der vielfach für tot erklärten Provokation eine "drei Tage nachdem Schlingensief vom Kreuz genommen wurde, war das Grab Leer"-Auferstehung zu verschaffen. Nein, bitte verstehen sie mich falsch, nur damit Noam Chomsky recht behält, wenn er sagt, das Demokratieverständnis in Europa sei einfach noch nicht so ausgereift wie in den Staaten.
Nur damit sie mich richtig falsch verstehen: Ich liebe Amerika. Ich habe Amerika schon immer geliebt. Ich habe reden gelernt aus amerikanischen Filmen. Ich habe mein erstes Mädchen mit einem Satz aus einem amerikanischen Film rumbekommen. Ich habe mein erstes Manifest aus einem amerikanischen Popsong bekommen. Es hiess "Liberty and Justice for all"1. Ich glaube immer noch daran. Auch wenn der Rest des Manifests stilistisch vielleicht etwas abfällt.
Ich war einundzwanzig, als die NATO mit den Bombardierungen meiner Heimat begann. Bitte verstehen sie mich falsch. Ich bin das, was die SVP verhindern will. Ein eingebürgerter Ausländer. Ich bin hier geboren, hier aufgewachsen und hier geprägt worden. Wäre ich dort geboren, wo ich nach Meinung der SVP hingehöre, wäre ich wahrscheinlich Terrorist geworden. UCK. I pledge allegiance to the flag.2 Es war 1999 und es gab Demonstrationen. Ich kann mich deutlich an einen Redner erinnern, der die Ungerechtigkeit der amerikanischen Angriffe anprangerte und im gleichen Satz den ethnischen Zusammenhalt Jugoslawiens unter Tito lobte. One nation under god.3 Wenn ich Wörter wie Ethnie höre, wird mir schlecht. Ethnie heisst Rasse. Bitte verstehen sie mich falsch. Ich war in Ruanda, als CNN den Begriff der Ethnie erfand. Und ich fühlte mich hilflos.
Es ist 2003 und ich stehe an einer Demonstration und lese Borchert. Jedes Publikum kann Nein sagen, auch wenn man sonst nicht so genau weiss, was es zu sagen gibt. Sogar mit fünfzehn. Wir machen uns alle strafbar. Militärstrafgesetz Artikel 98. "Wer öffentlich zum Ungehorsam gegen militärische Befehle, zu Dienstverletzung, zu Dienstverweigerung oder zum Ausreissen auffordert wird mit Gefängnis bestraft." Vor dreissig Jahren haben sie in dieser Stadt ein Heft eingezogen, in dem das gleiche Gedicht4 erschienen war. Es ist der Donnerstag, an dem wieder Bomben fallen, und ich fühle mich hilflos. Ein junger Punk kommt zu mir, klopft mir auf die Schulter und drückt mir einen Flyer in die Hand. "Stoppt den Krieg-Boykottiert amerikanische Produkte". Als Beispiele sind McDonalds, Coca Cola und Starbucks aufgeführt. Indivisible.5 McDonalds ist keine amerikanische Firma. McDonalds Schweiz ist eine Schweizer Franchise und Mc Donalds international ist ein globaler Konzern. Bitte verstehen sie mich falsch. Ich liebe diese Kids, die an Demos kommen und schreien und singen und Fackeln anzünden und Flugblätter verteilen, auch wenn sie nebenbei noch Bier trinken und kiffen und Mädchen angraben, weil es halt gerade Frühling ist. Ich hätte das auch getan. Bitte verstehen sie mich falsch.
Es ist immer noch 2003 und ich trage eine amerikanische Militärjacke, wenn ich aus dem Haus gehe. Es ist die Jacke meiner amerikanischen Gastmutter, die als Krankenschwester in Vietnam war und ihr ganzes Leben Gott verschrieben hat. Bitte verstehen sie mich falsch. Ja, das ist ein militantes Symbol. Ja, es steht für Krieg. Ich habe vierhundert Diensttage für dieses Land geleistet. Und ich bin stolz darauf. Ich leiste Zivildienst. Und kämpfe nur gegen Verallgemeinerungen.
Etrit Hasler
Etrit Hasler (geboren Jashari), *1977, in St. Gallen wohn- und haftbar, freier Journalist, Bünenmoderator und Slampoet. Kosovo-Albaner, Amerikafanatiker und Kung Fu Schüler und trotzdem ganz friedliebend. Erstling "wurzel-los" erhältlich unter: www.solarplexus.ch
1 Freiheit und Gerechtigkeit für jedeN.
2 Ich schwöre auf die Fahne.
3 Eine Nation unter Gott.
4 Wolfgang Borchert: "Dann gibt es nur eins", 1948. Öffentlich vorgelesen jeden Donnerstag an den Anti-Kriegsdemonstrationen in St. Gallen.
5 Unteilbar. Der vollständige Text lautet: "I pledge allegiance to the flag of the United States of America and to the Republic for which it stands, one nation under God, indivisible, with liberty and justice for all." ("Ich schwöre auf die Fahne der Vereingten Staaten von Amerika und die Republik, für die sie steht, eine Nation unter Gott, unteilbar, mit Freiheit und Gerechtigkeit für jeden.")
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