FriZ 5/2003

Heute ist Greenpeace eine grosse, weltweite aktive Umweltschutzorganisation, die immer wieder mit spektakulären Aktionen auf Umweltprobleme aufmerksam macht. Wenige wissen jedoch, dass die Organisation vor über 30 Jahren aus dem gewaltfreien Widerstand gegen die amerikanischen Atombombenversuche hervorgegangen ist. Von Kaspar Schuler

Couragiert, konfrontativ, gewaltfrei

"To bear witness" heisst das Stichwort: Zeugenschaft abzulegen und mit der persönlichen Präsenz am Ort einer Untat diese öffentlich zu machen, in der Hoffnung und dem Willen sie inskünftig zu verunmöglichen. Mit diesem Handlungsprinzip, von den nordamerikanischen Quäkern übernommen, den Nachfahren der einst auch in der Schweiz beheimateten Wiedertäufer, haben eine handvoll Vietnamgegner, Journalisten, Friedensengagierte und Hippies Geschichte geschrieben. Am 15. September 1971 machten sie sich auf dem maroden Fischkutter "Phillis Cormack" von Vancouver in Richtung Alaska auf, um vor der Aleuteninsel Amchitka gegen US-amerikanische Atomtests zu protestieren, mit dem Vorsatz, als "Verteidiger des Lebens den Advokaten des Todes" entgegenzutreten. Obwohl sie nie vor Ort ankamen - ihr erstes Schiff wurde von der Küstenwache aufgebracht, ein zweites kam zu spät - und obwohl die Armee die Bombe zündete und die Gegend verseuchte, beeindruckten die Aktivisten (Frauen waren nicht darunter) dank dem erzeugten Medieninteresse die amerikanische Öffentlichkeit. Und dank dem Schriftzug "Greenpeace" auf dem Segel des Kutters erhielt ihre Haltung einen Namen, und die später daraus hervorgegangene Organisation auch gleich ihr Markenzeichen: die Greenpeace-Aktion.

Gut 30 Jahre später stehen in 39 Ländern mit eigenen Greenpeace-Organisationen 2,8 Millionen Mitglieder und SpenderInnen dahinter. In der Schweiz sind es 146000.

Nicht nur laute Töne

Schon damals wurden nicht nur laute Töne angeschlagen. Beseelte WalfreundInnen manövrierten sich in Schlauchbooten den Harpunenschiffen vor den Bug. Dass sie auch mit den Walen kommunizierten, das heisst für diese vom Boot aus musizierten, ist fast vergessen gegangen und hat weniger Furore gemacht. Ähnlich ergeht es der Hintergrundsarbeit in Form von langwierigen Recherchen, Verhandlungen mit Unternehmern und hartnäckigem Lobbying bei internationalen Gremien, welches die heutige Greenpeace-Arbeit genauso beinhaltet.

Die Zeugenschaft durch frewillige AktivistInnen ging bis heute nicht verloren. GreenpeacerInnen untersuchten diesen Sommer im Irak die von den Besatzungsmächten ungesicherte und folglich von der Bevölkerung geplünderte Atomanlage Tuwaitha, warnten die AnwohnerInnen vor der tausendfach über dem Normalwert liegenden Radioaktivität und standen ein für eine fachgerechte Entsorgung des radioaktiven Mülls und die medizinische Versorgung der Menschen. Oder sie übertölpeln, in Trachten gekleidet, Bundesrat Couchepin mitsamt seiner Bewachungsentourage während einer Expo-Festrede und erinnern die erlauchte Zuhörerschaft aus der Nahrungsmittelindustrie an die Gefahren der Gentechnik in der Landwirtschaft. Auch die Einstellung ist weltweit die gleiche geblieben: couragiert, konfrontativ, gewaltfrei.

Unrecht ins Licht der Öffentlichkeit rücken

Gewaltfreiheit ist umso wichtiger wenn die Situation am Tatort polarisiert und spannungsgeladen ist. Das gilt nicht nur gegenüber SoldatInnen und PolizistInnen. Auch gegenüber mehr oder minder aggressiven Betriebsschützern eines Schweizer Atomkraftwerks oder den aufgebrachten Angestellten der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Lindau braucht es neben Gewitztheit und Konfrontationswille vor allem etwas: besonnene Gelassenheit. Sie zeichnet die- oder denjenigen aus, die oder der genau weiss, dass nicht die eigene, momentane und symbolische Handlung das Unrecht abwendet, sondern erst die daraus (hoffentlich) entstehende Öffentlichkeit, der politische Diskurs. Sich selber öffentlicheinzubringen, um damit ein Unrecht der Kritik auszusetzen, das ist immer langfristige Arbeit, die den sprichwörtlich langen Atem verlangt. Zudem ist in vielen Ländern solche Zivilcourage mit Gefährdung der eigenen juristischen oder gar körperlichen Unversehrtheit verbunden und nur mit jener Art öffentlichem Schutz zu wagen, wie ihn zum Beispiel Greenpeace als internationale Organisation bietet.

Allerdings wird heute, im Sog des weltweiten, neokonservativen Aufräumgebahrens vieler Regierungen BürgerInnenprotest wieder repressiv verfolgt, als wäre freie Meinungsäusserung ein Kriminaldelikt. Das bekommt auch Greenpeace zu spüren, vorab in den Vereinigten Staaten, wo unsere AktivistInnen absurder und immer härterer Strafverfolgung ausgesetzt sind.

Verbandsbeschwerderecht in Gefahr

Bleibt die Schweiz, Hort der direkten Demokratie, eine löbliche Ausnahme? Vielleicht nur graduell. Wenn sich eine Ständeratskommission auf Drängen des Zürcher SVP-Standesherrn Hans Hofmann nun dahinter macht, das Beschwerderecht der Umweltorganisationen einzuschränken, so geschieht das im gleichen Geist wie anderswo: Einschränkung der Rechte der Zivilgesellschaft, vermutlich mit dem Ziel umso hemmungsloser regieren und sich letztlich auf Kosten von Gesundheit und Natur bereichern zu können. Nur so lässt es sich erklären, dass das seit Jahren anerkannte Recht, im Namen der stimmlosen Natur und zur Kontrolle der Gesetze vor Gericht zu gehen, den Umweltorganisationen wieder abgesprochen werden soll.

Die fatale Strategie, sich abzuschotten statt zu teilen, macht auch bei uns nicht halt. Die Zeiten scheinen härter und unmenschlicher zu werden. Umso wichtiger ist es da, dass Greenpeace weitermacht: friedlich und wagemutig, unbestechlich und beherzt.

Kaspar Schuler ist Geschäftsleiter von Greenpeace Schweiz.


Greenpeace

Greenpeace in der Schweiz ist eine gemeinnützige Stiftung und setzt sich im Rahmen ihrer umweltpolitischen Kampagnenarbeit für folgende Anliegen ein:

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