FriZ 5/2003

Seit sie sich erinnern kann, ist ihr Gerechtigkeit ein wichtiges Anliegen. Bea Schwager, heute in der Geschäftsleitung, Projektkoordination und Administration bei medico international schweiz1 tätig, erinnert sich an Stationen ihres Lebens und Aktivitäten für eine bessere Welt. Von Christina Dietrich

Engagement für eine gerechtere Gesellschaft

Strahlend erzählt Bea Schwager von den Erfolgen in Nicaragua. In dem relativ neuen Projekt gehe es darum, Frauen für Geburtshilfe und Gesundheitsvorsorge auszubilden, um beispielsweise Risikoschwangerschaften früh genug zu erkennen und so eines der weit entfernten Krankenhäuser rechtzeitig erreichen zu können. Bea Schwager beschreibt die Frauen, wie sie bei den Zusammenkünften ihre "eigene Stimme" entdeckt und sich im Verlauf der Jahre ein Selbstbewusstsein angeeignet haben, das es ihnen ermöglicht, ihren Anliegen Gehör zu verschaffen und Probleme in ihren abgelegenen Weilern zu lösen.

Besuche bei ihren Projekten sind der Motivationsschub für die tägliche Arbeit. Die Überzeugung, eine sinnvolle Arbeit zu tun, wird dadurch immer wieder bestätigt. Aber beginnen wir doch am Anfang des öffentlichen Lebens dieser engagierten Frau, mit einer langen sozialen und politischen Laufbahn...

Es begann mit einem Weltladen

Begonnen hat alles in den 70er Jahren, als Bea Schwager, noch als Teenager, mit FreundInnen einen 3.Weltladen gründete. "Er existiert heute noch", wie sie erfreut festhält. Schon von Anfang an war ihr dabei wichtig, auf die Ausbeutungs- und Diskriminierungsverhältnisse aufmerksam zu machen. Später wurden die Ideen und die Aktionsformen radikaler. Verschmitzt erzählt sie von ihrem "Aktivismus", der "Einmischung in die herrschenden Verhältnisse", die auch militantere Aktionsformen beinhalteten. Es war ein Kampf für eine bessere Welt hier und jetzt. Auch eine anarchistische Zeitung haben die jungen Leute damals gegründet. Bea Schwager bezeichnet sich selbst als libertär, autonom und anarchafeministisch. Dem Kommunismus als Staatsform stand sie immer kritisch gegenüber, die Grundidee des Kampfes der Befreiung, wenn auch nicht im nationalstaatlichen Rahmen, teilte sie hingegen mit den KommunistInnen.

Bea Schwager war immer auch theoretisch interessiert. Das äusserte sich beispielsweise in der von ihr mitgegründeten Sendung Klopfzeichen im alternativen Zürcher Lokalradio LoRa. "Ich wollte die unter anderen von Michel Foucault geäusserte Kritik am repressiven Charakter der herrschenden Gesellschaft vermitteln und diese mit konkreter Unterstützungsarbeit für Opfer justizieller und psychiatrischer Repression verbinden." Sie las viel, fühlte sich als langjährige Verantwortliche für die Politikabteilung der Buchhandlung des Pinkus-Kollektivs in einem optimalen Job und beteiligte sich an theoretischen Diskursen innerhalb der ausserparlamentarischen Linken.

Schwerpunkt Migrations- und Flüchtlingspolitik

Seit Ende der 80iger Jahre konzentrierte sich das Engagement von Bea Schwager zunehmend auf den Bereich der Flüchtlings- und Migrationspolitik, auf Rassismus und Antisemitismus. Zu diesen Themen organisierte sie in Zürich im Rahmen der Pinkus-Buchhandlung verschiedene Veranstaltungen. "Geradezu erschütternd fand ich die absolute Ignoranz in Bezug auf den linken Antisemitismus." Sie zeichnete mitverantwortlich für eine Veranstaltungsreihe der Roten Fabrik zum Thema Antisemitismus in der linken Szene. Die Veranstaltungen lösten zwar gemäss dem kritischen Urteil von Bea Schwager etwas aus, stiessen aber auch auf grosse Abwehr.

Trotz inhaltlicher Differenzen (u.a. punkto Antisemitismus) schloss sich Bea Schwager dem Zürcher "Antirassismuscafé" an. Dessen Ziel war es, strukturellen Rassismus zu bekämpfen, aber auch Solidaritätsaktionen für Betroffene durchzuführen. Aktuell war damals (1994/95) der Rückschaffungsvertrag mit Sri Lanka. So entstand aus der Gruppierung das "Wanderrefugium für von Ausschaffung Bedrohte und Betroffene". Grundlage war die symbolische Schutzgewährung, aber auch der Versuch, politisch Druck zu machen, ausserdem wurde Rechtshilfte angeboten. Nach einer gewissen Zeit kam bei Bea Schwager ein Unwohlsein auf im Refugium: Sie stellte bei den UnterstützerInnen eine Tendenz zur Instrumentalisierung der Betroffenen fest: Stand da nun der eigene politische Kampf der UnterstützerInnen, statt die Wahrnehmung der Bedürfnisse der Betroffenen im Vordergrund? Sie erkannte, dass die individuelle, rechtliche Beratung im Asylverfahren keineswegs genügend abgedeckt war.

Das war wohl der Auslöser für den nächsten Schritt in Bea Schwagers aktivem Leben. Sie ’rutschte rein' in die Freiplatzaktion2. Das heisst, sie arbeitete sich ins Asyl- und Ausländergesetz ein und machte fortan als freiwillige Mitarbeiterin juristische Eingaben, Beschwerden gegen Negativentscheide und stellte Wiedererwägungsgesuche.

"Mir war dabei immer bewusst, dass ich mich somit auf einem Terrain befand, auf dem es galt, auf die gröbsten Ungerechtigkeiten innerhalb der staatlichen Flüchtlingsabwehr korrigierend einzuwirken, aber nicht die Grundstrukturen des herrschenden Asylunrechts in Frage zu stellen. Nicht nur deshalb war diese Arbeit eine starke Belastung, sondern auch wegen der immens traurigen und schrecklichen Herkunftsgeschichten dieser Menschen."

Die Ohnmacht, wenn kein Asyl gewährt wird, machten ihr immer mehr zu schaffen. Die Abgrenzung war schwierig. Das alles bewog sie, sich allmählich aus dieser Arbeit zurückzuziehen. Heute nimmt sie keine neuen Mandate mehr an.

Langfristige, nachhaltige Zusammenarbeit

Parallel zu der juristischen Arbeit hatte Bea Schwager die Arbeit bei Medico International (damals CSS) aufgenommen. Diese Arbeit macht sie gerne.

Die Organisation Medico International richtet sich nach dem integralen nachhaltigen Gesundheitsbegriff der WHO3, der neben der physischen auch das psychische und soziale Wohlergehen der Menschen berücksichtigt. Es geht der Organisation entsprechend mehr um internationale Zusammenarbeit, als um Nothilfe. Wichtig ist der Aufbau von langfristigen Projekten und soliden Partnerschaften mit lokalen Organisationen und Personen.

Diese Ausrichtung von Medico International entspricht Bea Schwager offensichtlich. Es ist aber kein ungetrübtes Glück. Das mangelnde Interesse der Öffentlichkeit an unspektakulären Projekten macht ihr Sorgen. "Die internationale, langfristige, nachhaltige Zusammenarbeit verschwindet immer mehr aus dem Bewusstsein der Leute." Das verursacht natürlich Geldprobleme für Organisationen wie Medico International. Es ist zwiespältig, wenn in Kriegssituationen unter grosser medialer Aufmerksamkeit geholfen wird, weil die Gefahr der Vereinnahmung zunehmend grösser wird. Für glaubwürdiger hält Bea Schwager eine langfristige Perspektive mit Einbezug von sozialen Bewegungen und dem politischen Einstehen für Gerechtigkeit.

Es fällt auf, wie kritisch Bea Schwager ihre Arbeit immer wieder reflektiert. Sie strahlt, verströmt Idealismus, wenn sie laufende oder vergangene, erfolgreiche Projekte beschreibt und versinkt in ein besorgtes Nachdenken, wenn ihr bewusst wird, wie vieles falsch läuft. Der erneute Wunsch nach einer vertieften Reflexion und Auseinandersetzung mit Theorie ist verständlich. Und dennoch, ihr Engagement ist spürbar, beeindruckend, überzeugend.

1 http://www.medicointernational.ch/ (früher: Centrale Sanitaire Suisse, CSS ZH)

2Zürcher Freiplatzaktion für Asylsuchende (ZFPA) http://www.freiplatzaktion.ch/menu.htm

3 WHO: Weltgesundheitsorganisation. Zum Gesundheitsbegriff der WHO vergleiche beispielsweise http://www.who.int/reproductive-health/gender/Social_determinants.pdf

http://www.learn-line.nrw.de/angebote/gesundids/medio/service/hin1/med1.html#med


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