FriZ 5/2003

Drei Phasen durchlief das Verhältnis zwischen Usbekistan und Russland seit dem Zusammenbruch der UdSSR: Die erste Phase von 1991-96 ist gekennzeichnet von einer gegenseitigen Abkehr. Zwischen 1996 und 1999 versuchen erstmals russische Lobbygruppen, Einfluss auf die Politik Usbekistans zu nehmen. Mit Beginn der Präsidentschaft Putins rücken die Länder Zentralasiens ins Zentrum der russischen Aussenpolitik. Von Marina Pikulina

Zögerliches Tauwetter zwischen Taschkent und Moskau

Usbekistan und Russland, einst integrale Bestandteile einer scheinbar unteilbaren politischen und ökonomischen Einheit, mussten nach dem Zerfall der Sowjetunion als nunmehr souveräne Staaten ihre Beziehungen zueinander neu definieren. Mit dem 1992 unterzeichneten "Abkommen über die Grundsätze zwischenstaatlicher Beziehung, Freundschaft und Kooperation" wurde die Beziehung zwischen Usbekistan und Russland auf das Fundament der gegenseitigen Achtung und Anerkennung staatlicher Souveränität, dem Prinzip der Nichteinmischung in innerstaatliche Angelegenheiten und dem Respekt vor der territorialen Integrität gestellt.

Während der ersten Hälfte der neunziger Jahre schenkte die mit internen Reformen beschäftigte Politik Moskaus den neuen Ländern Zentralasiens kaum Beachtung. Weder staatliche noch privatwirtschaftliche Investoren hielten Zentralasien für besonders profitabel, so dass zum Beispiel in Usbekistan per Ende der neunziger Jahre nur gerade 450 von 3445 Unternehmen mit ausländischer Beteiligung einen russischen Partner hatten. Während im Kaukasus und in der Ukraine eine wirtschaftliche Präsenz und ein gewisser politischer Einfluss aufrecht erhalten wurden, räumte Moskau den Ländern des Westens die oberste Priorität als künftige Partner in den Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ein. Auch Taschkent blickte in Richtung Westen, erhoffte sich der Erdöl- und Erdgaslieferant Usbekistan doch umfangreiche Investitionen zur Diversifizierung seiner hauptsächlich auf dem Rohstoffexport basierenden Wirtschaft. Die Annäherung an den Westen ging mit einer Emanzipation von Russland einher. Um Abhängigkeiten zu überwinden, reduzierte Usbekistan zum Beispiel seine Importe an Lebensmitteln und Energie aus Russland massiv.

Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen

1996 erwacht erstmals das Interesse gewisser Kreise in Russland

gegenüber den Ländern Zentralasiens. Ausgangspunkt sind die Militärlobby und die Rüstungsindustrie, nimmt doch der Waffenexport von Russland nach Afghanistan und in andere zentralasiatische Länder massiv zu. Auch die russische Textilindustrie und die Drogenmafia versuchen, über ihre Regierung die Politik Usbekistans zu beeinflussen. Vertreter der Textilindustrie fordern, Taschkent müsse die verteuerte Baumwolle wieder in gleichen Mengen und zu den selben Preisen verkaufen wie früher. Die Drogenmafia drängt die russische Regierung, in Usbekistan für eine "Politik der offenen Türen" zu werben. Usbekistan stellt durch seine Abschottungspolitik gegenüber seinen Nachbarstaaten ein Bollwerk gegen den Drogenhandel von Afghanistan (über Russland) nach Europa dar.

Seit Ende der neunziger Jahre zeichnet sich eine Trendwende in der russischen Aussenpolitik ab: Russland hat sowohl bilateral als auch im Rahmen regionaler Organisationen (Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft, Abkommen über kollektive Sicherheit, Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit) zahlreiche Bemühungen in Gang gesetzt, seinen Einfluss in der Region Zentralasien zu revitalisieren. Gewisse politische Kreise betrachten die zentralasiatischen Länder nach wie vor als Teilrepubliken und fordern vehement, dass Russland den verlorenen geopolitischen Einfluss in der Region zurückgewinnen müsse. Der Paradigmenwechsel russischer Aussenpolitik kommt insbesondere darin zum Ausdruck, dass Zentralasien mittlerweile auf die Agenda vitaler russischer Interessen gesetzt worden ist. Mit der Präsidentschaft Putins soll auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Usbekistan verstärkt werden. Bei seinem ersten offiziellen Staatsbesuch überhaupt wurden in Usbekistan nicht weniger als fünf bilaterale Abkommen unterzeichnet, darunter das für Russland wichtige "Abkommen über den Ausbau umfassender militärischer Kooperation in militärischen und militärisch-technischen Angelegenheiten".

Ambivalente Bilanz

Die Bilanz usbekisch-russischer Annäherung im 21. Jahrhundert ist ambivalent. Die sicherheitspolitischen Integrationsbemühungen Russlands sind nicht nur vom Erfolg gekrönt worden, im Gegenteil: Als militärische Einheiten der Taliban die Südgrenze Usbekistans unsicher machten, erfüllte Moskau seine im Rahmen des "Abkommens über kollektive Sicherheit" gemachten Versprechungen nicht und liess jegliche Unterstützung vermissen. Daraufhin kündigte Usbekistan das Abkommen und wurde prompt von Russland des Verrats bezichtigt.

Auch die bilateralen Abkommen und die regionalen Organisationen haben noch nicht die erhofften Resultate gebracht. Die usbekisch-russischen Beziehungen beschränken sich heute auf konkrete wirtschaftliche Projekte in bestimmten Bereichen. In der Energiewirtschaft gibt es durchaus Potentiale, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu intensivieren, zumal Moskau über kurz oder lang gezwungen sein wird, Erdgas aus Zentralasien zu beziehen. Russland hat bereits eine Initiative lanciert, eine Art zentralasiatische "Erdgas-OPEC" auf die Beine zu stellen. Russland möchte sich auch an der Modernisierung der Erdgas-Pipeline "Zentralasien-Zentrum" beteiligen und bekundet ein Interesse, die Wasserkraftwerke Usbekistans zu sanieren bzw. wiederaufzubauen. Am 6. August dieses Jahres diskutierten die Präsidenten Karimov und Putin in Samarkand über diese Kooperationsvorhaben. Weiteres Kooperationspotential besteht zum Beispiel im Flugzeugbau, wo die internationale Gesellschaft "Ilyushin" das Flugzeugwerk Taschkent übernehmen könnte. Russland möchte schliesslich auch den Wideraufbau in Afghanistan zusammen mit Usbekistan koordinieren.

Im gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus konnten gewisse Fortschritte erzielt werden. Bereits vor den Anschlägen in New York trafen sich Vertreter des russischen Sicherheitsrates mit ihren usbekischen Amtskollegen, um ein Memorandum "über regelmässige Konsultationen zwischen dem Sicherheitsrat von Russland und von Usbekistan" zu verabschieden. Eine Woche nach dem Anschlag fanden in Taschkent Gespräche über die Terrorismusbekämpfung und die Gewährleistung regionaler Sicherheit statt. Grosse Herausforderungen stellen sich für Russland und Usbekistan auch im Kampf gegen den Drogenhandel, für den noch keine gemeinsamen Lösungsansätze gefunden worden sind.

Marina Pikulina ist Länderkoordinatorin des Frühwarnprojektes FAST von swisspeace. Beim Artikel handelt es sich um die gekürzte und übersetzte Fassung ihres Vortrags vom 1. September 2003. Weitere Informationen zu Zentralasien sind zu finden unter: www.swisspeace.org/regions/default.htm


Politische Frühwarnung: ein notwendiges Instrument der Friedensförderung

Politische Frühwarnung ist en vogue: Heute wird mehr denn je von der Notwendigkeit gesprochen, schwelende Gewaltkonflikte frühzeitig zu erkennen, um geeignete Massnahmen zur Prävention oder zumindest Linderung der Folgen ergreifen zu können. Dieser ambitiösen Aufgabe widmet sich swisspeace mit seinem Frühwarnprojekt FAST (Frühanalyse von Spannungen und Tatsachenermittlung) seit 1998. Weltweit ist FAST das einzige politische Frühwarnsystem, welches in genau definierten Zeitintervallen (alle drei Monate) Risikoanalysen produziert, die sowohl quantitative als auch qualitative Aussagen beinhalten und einen kompakten Überblick über das konfliktive und kooperative Geschehen in den Zielländern vermitteln. FAST-Mitarbeitende verfolgen derzeit die Entwicklungen in insgesamt 23 Ländern in Afrika, Asien, Europa und im Nahen Osten. Das FAST-Projekt wird von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) finanziert.

FAST im Internet: http://www.swisspeace.org/fast/default.htm


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