FriZ 4/2003

Während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien wollten engagierte Leute aus der Region Basel humanitäre Hilfe leisten. Sie gründeten die "Friedensbrugg" und starteten ein Projekt zwischen LehrerInnen aus der Schweiz, Kroatien und Serbien. Von Christa Zopfi

"Friedensbrugg": Lernen in Frieden zu leben

Basel im Jahr 1992: Eine Gruppe engagierter Leute, vorwiegend PädagogInnen aus dem Raum Basel, möchte während des Krieges in Kroatien und Serbien Aufbauhilfe in Schulen leisten und gründet die "Friedensbrugg"1. Die Leute nehmen Kontakt auf mit dem Friedenszentrum in Osijek, dem "Center for Peace, Non-Violence and Human Rights". Mit einem Ferienlager für Kinder starten sie 1993 das Projekt. In diesem Lager kommen sie in Kontakt mit den Lehrpersonen, die die Kinder begleiten, und sie erfahren, unter welch schwierigen Bedingungen die LehrerInnen unterrichten müssen. Wie könnte man die Zusammenarbeit in den Schulen fördern? Die SchweizerInnen planen ein Fortbildungsprojekt in Ost-Slavonien, dem umkämpften Grenzgebiet von Serbien und Kroatien, und erhalten von der schweizerischen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit Deza finanzielle Unterstützung. Der erste Workshop findet in Ungarn statt, weil die Lage in Ost-Slavonien zwischen den verschiedenen Ethnien immer noch gespannt ist und die Regierung in den Schulen keine Besuche aus dem Ausland erlaubt. Thema sind neue Lernformen, die stark auf Zusammenarbeit basieren. Das bedeutet auch Zusammenarbeit zwischen den teilnehmenden LehrerInnen, die serbischer und kroatischer Herkunft sind.

Wie mit den Konflikten umgehen?

Baranja im Jahr 1997: Nach der Reintegration der besetzten Gebiete in Kroatien verschärft sich die Situation in Ostslavonien, vor allem zwischen den SerbInnen und den KroatInnen. Als dann die Flüchtlinge wieder zurückkehren, kommt es zu grossen Spannungen zwischen der Bevölkerung, die im Krieg ausgeharrt hat, und den RückkehrerInnen. Katarina Likovic, Lehrerin an einer Grundschule in Ostslavonien, hat die damalige Situation miterlebt und erinnert sich für die friZ.

Wie hat sich diese Spannung in der Schule ausgewirkt?

Katarina Likovic: Wir waren nicht auf diese schwierige Situation vorbereitet, wussten nicht wie mit den Konflikten umgehen. Als wir durch unser Friedenszentrum von den Workshops vernahmen, welche die "Friedensbrugg" zum Thema Toleranz und Förderung von Gewaltlosigkeit anbot, meldeten wir uns zu dritt aus unserer Schule an. Das Friedenszentrum war schon während des Kriegs entstanden; wir drei engagierten uns voller Enthusiasmus, denn wir waren alle gegen den Krieg.

1996/97 hatten wir aber eine sehr strikte Regierung, die nicht wollte, dass wir solche Aktivitäten durchführten, und der Workshop fand nahe der Grenze in Ungarn statt. Es war nicht ratsam, den KollegInnen davon zu erzählen, denn es bestanden grosse Vorurteile zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und innerhalb der einzelnen Ethnien zwischen den Rückkehrern und den Gebliebenen. Die Schulklassen waren dann bunt gemischt. Zu Hause wurden die Kinder angehalten, sich von den verfeindeten Gruppen zu distanzieren, und der Einfluss von uns Lehrerinnen war gering. Wir wollten jedoch lernen, wie wir mit Toleranz und in Frieden zusammenleben konnten.

Konnten Sie anwenden, was Sie in den Workshops gelernt hatten?

Katarina Likovic: Ja, nach den Trainingskursen begannen wir mit der Friedensarbeit in unserer Schule. Ich habe gelernt, mich, meine Situation und die andern besser zu verstehen. Verschiedene Meinungen zu haben bedeutet nicht, dass wir Feinde sein müssen. Ich integrierte vorerst diese Erkenntnisse in meinen Englischunterricht. Seit drei Jahren haben wir eine neue Regierung und können nun offen als Friedenspädagoginnen auftreten. Unsere SchülerInnen sind zwischen 6 und 15 Jahren alt. Unser Slogan lautet: In Frieden leben mit uns, mit andern und mit der Natur. Dem entsprechend sind die Angebote kreativ und bildend. Es gibt Workshops, in denen Kinder etwas über ihre Heimat erfahren, wir machen Aufführungen, einige Kinder schreiben Gedichte, malen, modellieren oder sie lernen mit dem Computer zu arbeiten. Es gibt Workshops für Eltern, in denen wir mit ihnen zusammen erarbeiten, was das beste für ihre Kinder ist.

Vor drei Jahren übernahm ich eine neue Klasse: 20 elfjährige Kinder aus vier verschiedenen Dörfern, die sich nicht kannten, deren Familien drei verschiedenen Ethnien und Religionen angehören. Es gab grosse Probleme. Ich begann gleich mit den Workshops. Wir diskutierten über Toleranz, Gewalt, Achtung vor der Meinung anderer Menschen, über Gemeinsames und Trennendes, über Umweltthemen, Freizeit oder Familie. Wenn wir ein aktuelles Problem haben, besprechen wir dies umgehend. Zu Beginn war es für die Kinder nicht einfach, ihre Meinung zu äussern, denn sie wussten nicht, wie die andern darauf reagieren würden. Heute gehen sie sorgfältig miteinander um und können ihre Probleme meist selber lösen.

Was freut Sie am meisten oder erfüllt Sie mit Hoffnung?

Katarina Likovic: Wenn ich heute meine Klasse betrachte, die nun das siebte Schuljahr beendet. Die SchülerInnen sind interessiert und wirken in ihrem Verhalten älter. Sie fühlen sich verantwortlich für die Gruppe. Wenn ihnen etwas als ungerecht erscheint, kommen sie und wollen darüber diskutieren. Das ist die Frucht dieser Workshops. Wir lernten, wie man einander zuhört, dass Anderssein kein Hindernis, sondern etwas Normales ist, dass jemand aus einer andern ethnischen Gruppe ein guter Freund, eine gute Freundin sein kann. Auch meine KollegInnen bestätigen, dass sie gut mit dieser Klasse arbeiten können, weil die SchülerInnen interessiert und offen sind für verschiedenste Aktivitäten.

Ich weise sie heute ohne Probleme darauf hin, dass dies das Ergebnis meiner intensiven Arbeit mit der Klasse ist. Es sind auch bereits schon zehn LehrerInnen, die unsere pädagogischen Ansätze wenigstens teilweise übernehmen. Sie haben gemerkt, wie hilfreich dies ist. Ich wünsche mir, dass alle Lehrpersonen ein Training in Friedenspädagogik bekommen, am besten schon während der Ausbildung, weil wir auch nach dem Krieg immer noch Probleme haben. Das Erziehungsministerium arbeitet nun mit dem Friedenszentrum zusammen und empfiehlt den SchulleiterInnen, dass sie ihren LehrerInnen den Besuch der Workshops bewilligen. Auch ich werde eine der Trainerinnen sein. Es ist wichtig, zuerst sich selber, dann die andern und ihre Kultur kennen zu lernen und erst anschliessend mit den Kindern zu arbeiten. Längerfristig sollten diese Kurse für alle Lehrpersonen obligatorisch werden. Wir hoffen eine neue Generation auszubilden, die ohne Gewalt in Frieden und Toleranz zusammenleben möchte.


1 Die Friedensbrugg wurde 1992 als Verein gegründet, ist konfessionell und politisch neutral und führt verschiedene Projekte in den ehemaligen Krisengebieten von Kroatien, Serbien und Bosnien:

- Workshops, in denen LehrerInnen aus der Schweiz , Kroatien und Serbien gemeinsam kooperative und demokratische Unterrichtsmethoden erarbeiten.

- Workshops für gewaltfreie Kommunikation

- Ökologische Initiativen

Friedensbrugg arbeitet eng mit lokalen Gruppen im Einsatzgebiet zusammen.

Kontakt: Friedensbrugg Region Basel, Marc Joset, Präsident, Postfach, 4102 Binningen. Tel. 061 302 78 08, E-Mail: info@marcjoset.ch . www.friedensbrugg.ch


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