Von meinem Vater lernte ich, fast leere Tuben mit dem Walholz auszupressen, damit sie noch leerer wurden. Mindestens zweimal konnte man mit der gewonnen Masse die Hände oder das Gesicht einreiben oder die Zähne putzen, je nach dem. Meine Mutter wendete alte Mäntel, um daraus Jacken für uns Töchter zu nähen. Zeitungspapier wurde sorgfältig gefalzt und zugeschnitten, so dass es genau ins hölzerne Kästchen auf dem Klo passte. Und auf keinen Fall durften Esswaren verkommen. Schliesslich hatten meine Eltern Rationierung und Anbauschlacht erlebt. Aus altem Brot kochte mein Vater eine Suppe, an der wir wochenlang schlürften. Denn die Brotsuppe hatte die Eigenschaft einzudicken, musste deshalb vor jedem Aufwärmen verdünnt werden - eine unendliche Geschichte.
Sparsam bin ich noch heute. Solche Prägungen lassen sich schlecht ablegen. Manchmal wünschte ich mir, verschwenderischer zu sein, die Gesichtscreme und das Joghurt nicht bis zum letzten Fleck aus dem Glas zu kratzen, den Abfallsack halb leer zusammenzubinden, Handtücher, denen der Aufhänger fehlt, einfach fortzuwerfen, den Teller für einmal nicht leer zu essen. Doch finde ich mich in guter Gesellschaft. Ich weiss, was ich will und arbeite sehr hart dafür, bin sehr sparsam und unabhängig, sagte Micheline Calmy-Rey in einem Interview.1
Sparsam und unabhängig. Liegt also die grosse Freiheit im Sparen? Wenn dem so ist, ist der grosse Teil der Schweizerinnen und Schweizer unfrei oder abhängig. Denn laut Coop-Zeitung sind nur 30 Prozent der Befragten zur Zeit besonders sparsam.2 Zur Zeit meint heute, wo Staat und Unternehmen mit dem Walholz sparen. Und das ist mein Dilemma. Selbst sparsam, habe ich gar nichts gegen das Sparen. Nur würde ich gerne mitreden, wo gespart werden soll. Zum Beispiel an Auspuffgasen oder am Lärm. Oder am neuen Fussballstadion in Zürich, das nicht nur ein Stadion werden soll, sondern ein Einkaufszentrum, ein Hotel, ein Fitnesscenter. Und das viel Mehrverkehr in den Kreis 5 bringt, der eingespart werden könnte. Ob das Stadion, das nicht nur ein Stadion ist, mehr Lebensqualität bringt, ist zumindest fraglich.
Um Lebensqualität ging es auch meinem Vater, aber selbstverständlich nicht um jeden Preis. Ein Schwarzweissfernseher hätte zwar die Lebensqualität erhöht, war aber eindeutig zu teuer. Wenn sie erst billiger sind, sagte mein Vater. Und als sie billiger waren, tauchten die ersten Farbfernseher auf, zu teuer natürlich. Aber wenn sie erst billiger sind ... Mein Vater starb, ohne je einen Fernseher besessen zu haben. Ob das bedeutet, dass man sich auch zu Tode sparen kann?
Sicher hingegen ist, dass man mit Wörtern sparsam umgehen soll. Wenn es möglich ist, ein Wort zu streichen - streiche es, empfahl Georg Orwell.3 Ich schlage vor, das Wort super aus unserem Wortschatz zu streichen. Und vielleicht das noch, was mir ein Kellner auf meine Reklamation erwiderte. Nein, er sagte nicht super, als ich ihn darauf aufmerksam machte, dass die Suppe kalt war, der Salat gar nie serviert wurde und er mir erst noch zuviel verrechnete. Er sagte: Kein Problem. Streichen wir super und kein Problem sind das immerhin drei eingesparte Wörter.
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Sparen heisst laut Wörterbuch auch etwas nicht verwenden, und es daher für andere Gelegenheiten zur Verfügung haben. In dem Sinne werde ich fortan meine Wörter nicht mehr für die friZ sondern für anderes verwenden. Dies ist meine letzte Kolumne - und ich hoffe, Sie, meine Leserinnen und Leser, haben das, was Ihnen jeweils überflüssig erschien, einfach herausgestrichen.
1 Micheline Calmy-Rey in Annabelle 12/03
2 COOPZeitung Nr. 21, Mai 2003
3 Georg Orwell, zitiert in Wolf Schneider: Deutsch fürs Leben. Was die Schule zu lehren vergass, Reinbek bei Hamburg 1994
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