FriZ 3/2003

Was lässt BefürworterInnen des Natoangriffs auf Jugoslawien im Jahr 1999 zu GegnerInnen des amerikanisch-britischen Angriffs auf den Irak werden? Ein kritischer Blick auf die blinden Flecken der gegenwärtigen Friedensbewegung in Europa. Von Pascal Germann

Europas IdealistInnen und die Antikriegsbewegung

Mit Plakaten und Flyern wurde auf den Samstagnachmittag zur Friedensdemo aufgerufen: 14 Uhr Claraplatz, Basel, Demo gegen den imperialistischen Krieg. Etwa 300 Personen fanden sich ein. Der Umzug endete bereits nach hundert Metern. Eine längere Route wurde von der Polizei nicht bewilligt und dies wollte sie den FriedensdemonstrantInnen auch unmissverständlich klar machen: Antiterroreinheiten stellten sich in den Weg. Den FriedensaktivistInnen blieb nichts anderes übrig, als den Heimweg anzutreten. Die Demonstration im April 1999 war die erste und letzte in der deutschsprachigen Schweiz gegen den Angriff der Nato auf Jugoslawien.

Die Diskrepanz zwischen der Reaktion auf den letzten Krieg im Irak und derjenigen vor vier Jahren ist augenscheinlich. Damals lehnte nur eine kleine Minderheit in der. Linken den Krieg ab. Heute hat sich eine Friedensbewegung formiert, die sich auf einen einmaligen Konsens in Bevölkerung, Medien und Politik stützen kann. Man muss kein besonders böser Miesepeter sein, um die Frage nach dem Warum zu stellen. Sie drängt sich auf.

Ein Vergleich: Jugoslawien - Irak

Der Krieg gegen Jugoslawien war in vielerlei Hinsicht dem Krieg gegen den Irak ähnlich. Er verstiess klar gegen das Völkerrecht, ein Uno-Mandat lag nicht vor, andere Lösungen als Krieg wurden von den Alliierten von Anfang an ausgeschlossen und die Krieg führenden Staaten übertrafen sich gegenseitig in Kriegslügen. Was heute moralisch entrüstet, schien damals nicht Grund genug, den Krieg abzulehnen. Dazu kommt: Das Terrorregime Saddam Husseins war eines der blutigsten nach dem Zweiten Weltkrieg, das nicht mit demjenigen Milosevics verglichen werden darf. Vernünftige Gründe können es demnach nicht sein, die BellizistInnen von damals zu PazifistInnen von heute mutieren liessen.

Die entscheidende Ursache für die unterschiedliche Beurteilung liegt wohl darin, dass die Akteure der beiden Kriege nicht identisch sind. Im Krieg gegen den Irak stehen die USA mehr oder weniger alleine da, während beim Angriff auf Jugoslawien auch die kontinentaleuropäischen Staaten eine aktive Rolle spielten. Eben noch die zuverlässigsten KriegspropagandistInnen spielen sie heute die Friedensengel. Französische Politiker profilieren sich, indem sie geradezu aggressive Töne gegen die USA anschlagen und die "Entamerikanisierung" der französischen Kultur fordern. Der deutsche Bundeskanzler Schröder will "die deutsche Aussenpolitik unabhängig von den USA" ausrichten und beschliesst, die Bundeswehr massiv aufzurüsten.

Konformistische Revolte

Die FriedensaktivistInnen bilden freiwillig oder unfreiwillig die ideologischen Hilfstruppen des deutsch-französischen Europas. Während an der EU-Konferenz in Brüssel die europäischen Länder ihre Ambitionen offen legten und betonten, es gehe darum, "Wirtschaftsmacht Nr. 1" zu werden, wurde zur gleichen Zeit an Friedensdemonstrationen zum Boykott amerikanischer Produkte aufgerufen. Während Deutschland in nicht enden wollenden geschichtspolitischen Debatten bemüht ist, die Naziverbrechen unter viele Verbrechen des 20. Jahrhunderts zu subsumieren, um somit von der Vergangenheit befreit Grossmachtpolitik betreiben zu können, prescht die Friedensbewegung hilfreich vor, malt Hakenkreuze auf US-Fahnen, setzt George W. Bush neben Adolf Hitler oder vergleicht den Krieg gegen den Irak mit dem deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.

Dass die Friedensbewegung von Politik und Medien gern gesehen wird, ist kaum erstaunlich. Alle freuen sich über die angeblich neue politische Jugend, die sich in der Friedensbewegung artikuliert. Immer wieder wird betont, wie eigenständig die Jugendlichen handeln. Die Realität sieht meistens etwas anders aus: Die SchülerInnen bekommen vom Rektor schulfrei, von der Zeichnungslehrerin Transparente, vom Turnlehrer das Megaphon und von der Geschichts- und Deutschlehrerin die Argumente gegen den Krieg. Das nennt sich dann: SchülerInnenstreik. Was als Rebellion ausgegeben wird, offenbart sich als Konformismus. Wer von der NZZ das Gütesigel "erfreulich unideologisch" erhält, weist sicherlich kein gesellschaftskritisches Potential auf. Zum x-ten Mal ein neues infantiles Wortspiel mit dem Namen Bush auf ein Transparent zu schmieren, erfordert etwa soviel Courage und kritischen Geist wie in den Sechzigerjahren Kommunistenwitze zu erzählen. Die Friedensbewegung neigt zur konformistischen Revolte: Die eigene Unzufriedenheit wird nach aussen projiziert und gegen das Fremde gerichtet. Dass neben krudem Antiamerikanismus immer auch wieder antisemitische Töne laut werden, ist nicht zufällig, sondern bezeichnend.

Messen mit verschiedenen Ellen

Weil sich die EuropäerInnen gern als IdealistInnen darstellen, im Unterschied zu den geldgierigen Fremden, richten sich auch die zwei Hauptargumente der Friedensbewegung gegen die ökonomische Motiviertheit des Irakkrieges:

1. Amerika gehe es ums Öl. Richtig. Nur wird verschwiegen, dass auch Frankreich und Russland eine Politik betreiben, die ihren Ölfirmen nützlich ist. Der Unterschied ist: Sie hätten sich mit Saddam Husseins Regime ganz gut arrangieren können. Zudem werden mit dem ständigen Verweis auf die unlauteren ökonomischen Absichten merkwürdige Prioritäten gesetzt. "Kein Blut für Öl" ist der Dauerschlager der Friedensbewegung, "kein Krieg aus kapitalistischen Gründen" stand auf einem Transparent einer Zürcher Friedensdemo geschrieben. Würden es die Friedensbewegten lieber sehen, wenn aus höheren Motiven Krieg geführt wird, wie Deutschland 1939?

2. Die Kriegsmobilisierung diene dazu, in den USA von der Wirtschaftskrise und -politik abzulenken. Auch das ist richtig. Dass aber die Friedensmobilisierung in den europäischen Staaten, die den Krieg nicht unterstützen, dieselbe Funktion übernimmt, wird nicht gesehen. Chirac und Schröder haben die Gunst der Stunde erkannt, um antisoziale Maßnahmen durchzusetzen. Während Arbeitslosengelder gekürzt, die Deregulierung der Sozialsysteme weiter vorangetrieben und den BewohnerInnen der französischen Banlieues der Kampf angesagt wird, kommt es in beiden Hauptstädten zu regierungsloyalen Massenaufmärschen. "Merci Chirac", "Weiter so Schröder" war auf Transparenten zu lesen. Zu Zeiten des "Burgfriedens" braucht sich keine Regierung vor Klassenkämpfen zu fürchten.

Es gibt sicherlich vernünftige Gründe, die kriegerische Politik der USA zu kritisieren. Definitiv unvernünftig ist es aber, wenn mit Husseins Rhetorik "der Befreiungskampf des irakischen Volkes" gegen den Imperialismus gefordert wird, der international unterstützt werden soll, wie in der letzten "Zürcher Studentin" eine Friedensaktivistin schrieb. Zum Glück scheinen die meisten IrakerInnen für diesen Kampf nicht viel übrig zu haben. Die internationale Unterstützung eilte aber schon längst herbei: Einige Tausend Jihadisten sind unter dem Schlachtruf "Tod den Juden! Tod den Amerikanern!" in den Irak eingedrungen, um für diesen "Befreiungskampf" das Martyrium zu suchen. Gegen solche Idealisten kann man Uncle Sams ÖlkriegerInnen nur alles Gute wünschen.

Pascal Germann ist Redaktor der linken Zeitschrift Risse ( www.risse.info).


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