Wie sich IKRK und lokale Menschenrechtsgruppen ergänzen

Unparteiliches, unabhängiges und vertrauliches Arbeiten ist der Schlüssel, der dem IKRK die Türen zu Gefangenen und notleidenden Menschen in Krisengebieten öffnet. Es kann aber die Zusammenarbeit mit lokalen Menschenrechtsorganisationen einschränken.

Von Philip Spoerri*
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz IKRK ist als neutrale unabhängige Organisation mit mit etwa 10000 nationalen und internationalen MitarbeiterInnen bei Einsätzen in den Krisenherden auf der ganzen Welt tätig. Seine Aufgabe ist es, sich für eine wirkungsvolle Umsetzung des humanitären Völkerrechts einzusetzen, das Leben und die Würde der Opfer von Kriegen und innerstaatlicher Gewalt zu schützen und ihnen Hilfe zu bringen. In Konfliktsituationen leitet und koordiniert es die internationalen Hilfstätigkeiten der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung.

Das IKRK unterhält gegenwärtig Delegationen in 69 Ländern - unter ihnen viele, die von Krieg oder inneren Unruhen und Spannungen betroffen sind. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass das IKRK mit lokalen Menschenrechtsgruppen Kontakte unterhält - dies jedenfalls insoweit, als die jeweilige Situation und das besondere Mandat des IKRK eine solche Zusammenarbeit zulassen.

Der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit verpflichtet

Die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle erkennen den besonderen Status des IKRK an und weisen ihm besondere Aufgaben zu, unter anderem den Besuch von Kriegsgefangenen und internierten Zivilpersonen, Hilfeleistungen an betroffene Bevölkerungen in bewaffneten Konflikten - etwa in besetzten Gebieten, Sammeln und Vermitteln von Informationen über vermisste Personen (Zentraler Suchdienst) und Hilfe leisten bei der Einrichtung von Hospitälern und Sicherheitszonen. Ganz allgemein setzt sich das IKRK für die gewissenhafte Anwendung der Genfer Konventionen und seiner Zusatzprotokolle ein. Es bemüht sich, den Schutz der militärischen und zivilen Opfer bewaffneter Konflikte sicher zu stellen und als neutraler Mittler zwischen den Konfliktparteien zu dienen. Das IKRK hat nach den Genfer Abkommen ein allgemeines Initiativrecht in humanitären Belangen. Die humanitäre Tätigkeit des IKRK ist, unter anderen, streng den Grundsätzen der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit verpflichtet.

Gebunden an den Grundsatz der Vertraulichkeit

Wichtig in diesem Zusammenhang ist es aber auch, auf den Grundsatz der Vertraulichkeit der Arbeit des IKRK zu verweisen. Bekanntermassen wird etwa der Inhalt von Berichten der Delegierten über einen Gefangenenbesuch nur der zuständigen Behörde oder Regierung mitgeteilt. Diese grundsätzliche Vertraulichkeit hat nichts mit Geheimniskrämerei zu tun, sondern ist eine Arbeitsweise, die man auch als stille Diplomatie bezeichnen kann und die es letztlich dem IKRK ermöglicht, seiner Rolle gemäss dem Recht der Bewaffneten Konflikte nachzukommen: den Kriegsopfern unmittelbar beizustehen. Es sollte allerdings darauf verwiesen werden, dass das IKRK bei schweren und wiederholten Verstössen durchaus entscheiden kann, vom Grundsatz der Vertraulichkeit eine Ausnahme zu machen. Dies kann geschehen, wenn das IKRK zur Erkenntnis gelangt, dass keine Aussicht auf Beendigung der Rechtsverletzungen besteht und dass eine öffentliche Stellungnahme des IKRK im Interesse der Opfer läge.

In diesem Grenzbereich erweist sich die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen und des IKRK als komplementär. Während das IKRK aufgrund seines Mandates und seiner Arbeitsweise vertraulich bleiben muss, damit es weiterhin den Opfern unmittelbar helfen und beistehen kann, können die Menschenrechtsorganisationen ihr stärkstes Druckmittel einsetzen: die Öffentlichkeit zu mobilisieren.

Es kommt in der Praxis nicht selten vor, dass sich Menschenrechtsgruppen ausdrücklich dafür einsetzen, dass wenigstens das IKRK zu bestimmten Personen Zugang haben soll. Dies bedeutet zumindest einen gewissen Opferschutz und ist häufig ein erster Schritt zu einer weiteren Verbesserung oder Öffnung

Zusammenarbeit mit lokalen Menschenrechtsgruppen

In Kriegssituation oder in Ländern, wo repressive Regierungen an der Macht sind, werden die Handlungsspielräume von Menschenrechtsorganisationen oft sehr knapp gehalten. Das IKRK hingegen hat aufgrund seiner völkerrechtlich anerkannten Rolle in solchen Krisensituation und wegen seiner vertraulichen Arbeitsweise meistens einen grösseren Spielraum. Es muss daher je nach Situation seine Kontakte mit lokalen Menschenrechtsgruppen einschränken, um nicht von einer Regierung verdächtigt zu werden, auf diesem Wege vertrauliche Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen.

Zum Glück sind jedoch in den meisten Ländern, in denen das IKRK tätig ist, normale Kontakte mit lokalen Menschenrechtsorganisationen die Regel. Hinsichtlich der Zusammenarbeit erweisen sich diese Kontakte oftmals als sehr wertvoll: So können Menschenrechtsorganisationen dem IKRK Informationen über verhaftete und vermisste Personen, geheime Haftanstalten und Ähnliches zukommen lassen, woraufhin das IKRK tätig werden kann. Umgekehrt ist es dem IKRK nicht möglich, Menschenrechtsorganisationen über den eigenen, vertraulich erworbenen Erkenntnisstand zu informieren. Damit würde das IKRK sich delegitimieren, da es gegen seine erklärte und anerkannte Arbeitsweise verstossen hätte.

Abgesehen von dieser Form der Zusammenarbeit unterhält das IKRK mit lokalen Menschenrechtsorganisationen sehr häufig einen regen akademischen Austausch. Dabei ist das Anliegen des IKRK, die Kenntnisse über humanitäres Völkerrecht zu verbessern und zu verbreiten. In der Praxis werden häufig gemeinsam Schulungen zu Themen wie humanitäres Völkerrecht (Genfer Konventionen) und Menschenrechte organisiert.

*Philip Spoerri ist Rechtsberater beim IKRK
 


Inhaltsübersicht nächster Artikel