Die Menschenrechts-Defizite der Frauen

Im Januar 2003 wird voraussichtlich der Erste Staatenbericht der Schweiz zur Frauenkonvention vor dem Uno-Kontrollausschuss in New York behandelt. Bis zur wirklichen Gleichstellung ist es noch ein weiter Weg.

Von Maya Doetzkies*
Fast ein Weihnachtsgeschenk war's, was das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann kurz vor Jahresschluss 2001 vorlegte: Den lang erwarteten Ersten Staatenbericht der Schweiz zum Uno-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, kurz Frauenkonvention genannt. Das 160seitige Dokument ist eine umfangreiche Bestandesaufnahme über die Stellung der Frauen in unserem Land, leicht, aber nicht unbedingt schön zu lesen. Denn so geballt zusammengetragen wird sehr deutlich, wie gross der Graben bis zur Gleichstellung ist: Tiefer, als man denkt.

Aber wozu dient überhaupt ein "Staatenbericht"? Diese Rapporte sind Teil des Menschenrechts-Kontrollsystems der Uno. Mit ihnen legen Staaten Rechenschaft darüber ab, wie weit sie mit der Umsetzung der Menschenrechts-Garantien gekommen sind. Ein Ausschuss aus unabhängigen ExpertInnen (gegenwärtig 21 Frauen, 2 Männer) prüft den Bericht in Anwesenheit einer Landesdelegation öffentlich und formuliert danach die sogenannten "Abschliessenden Empfehlungen" (Concluding oberservations), wie die Defizite behoben werden sollten.

Die Frauenkonvention enthält im Prinzip nur ein Recht: Das Recht von Frauen auf Nicht-Diskriminierung gegenüber Männern. In der Schweiz ist das Gleichstellungsgebot in der Bundesverfassung enthalten. Trotzdem erleben Frauen täglich, dass der kleine Unterschied so klein nicht ist. Der Staatenbericht untermauert diesen subjektiven Eindruck mit Zahlen und Fakten. Beispiel Arbeitswelt: Noch ist gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit nicht überall garantiert. Noch verdienen Frauen in traditionellen Frauenberufen vergleichsweise weniger. In der Freiwilligenarbeit sind Frauen proportional übervertreten, in Spitzenpositionen dagegen rar. In der Bundesverwaltung beträgt der Frauenanteil der höheren Lohnklassen und einflussreichen Positionen gerade mal 6 Prozent. Nicht viel besser stehts in der Politik: Ein paar Frauen haben es in Exekutivämter geschafft, aber weitaus häufiger sind sie in Gemeindeparlamenten anzutreffen, wo Knochenarbeit geleistet wird.

Viele Aktivitäten - wenig vernetzt

Der Staatenbericht informiert über die Bereiche politisches und öffentliches Leben, Vertretung auf internationaler Ebene, Staatszugehörigkeit, Bildung, Gesundheit, Frauen auf dem Lande, Recht, Ehe und Familie. Auch letzteres ein Kapitel mit düsteren Ecken, zum Beispiel was Frauen und Gewalt betrifft. In einer repräsentativen Umfrage unter 1500 Frauen gab ein Fünftel an, einmal im Leben Opfer von physischer oder sexueller Gewalt durch den Partner geworden zu sein.

Natürlich sind im Staatenbericht nicht nur die Mängel aufgeführt, sondern auch die sozialen, ökonomischen, politischen und rechtlichen Massnahmen, die Abhilfe verschaffen und Ungleichbehandlungen beseitigen sollen. Bei der Lektüre entsteht der Eindruck, es werde zwar viel getan, von Sensibilisierungskampagnen bis zu Forschungsprojekten, von Untersuchungen und Studien bis zu Aktionen, aber die ganzen Aktivitäten seien eher punktuell, statt vernetzt. Mangelnde Koordination ist allerdings auch unserem föderalistischen System anzulasten. Etliche Menschenrechtsbereiche wie Bildung, Gesundheitswesen oder Polizei fallen in die Kompetenz der Kantone oder Gemeinden. Hier fehlt dem Bund die Kontrolle. Und es ist leicht nachzuvollziehen, dass nicht jeder Gemeinderat oder Dorfpolizist weiss, welche Versprechen der Bund im fernen Bern gegenüber internationalen Gremien gegeben hat, an die er sich nun ebenfalls halten sollte. Der "Kantönligeist" fördert die Ungleichbehandlungen, was denn auch immer wieder von Uno-Menschenrechtsausschüssen kritisiert wird.

Die Sicht der NGO zählt

Was im Staatenbericht nachzulesen ist, ist die Sicht der offiziellen Schweiz. NGO beispielsweise machen aber oft andere Erfahrungen und können aus ihrer Praxis noch andere Menschenrechtsdefizite nennen. Die ExpertInnen der Uno-Menschenrechtsausschüsse legen deshalb Wert darauf, auch diese Seite zu hören, damit sich das Bild rundet. NGO haben sich denn auch bereits auf verschiedenen Ebenen an diesem Berichtsverfahren beteiligt: Sie haben sich auf Einladung des Gleichstellungsbüros an der Vernehmlassung des Staatenberichtentwurfs beteiligt und zum Beispiel moniert, dass Minderheiten (Roma, Sinti) im Bericht ausgeblendet wurden oder dass das Kapitel zur Abschaffung des Frauenhandels eine sehr einseitige Optik, nämlich jene der Fremdenpolizei vertrete.

Nun haben sich auch einige NGO daran gesetzt, einen sogenannten "Schattenbericht" zu verfassen, der als eigenständiges Dokument dem Uno-Kontrollausschuss überreicht wird - ein gängiges Instrument, wie es in andern Ländern auch benutzt wird. Der Schattenbericht soll bis Ende Jahr vorliegen. Darin wird unter anderem kritisiert, dass der Bund für eine bessere politische Partizipation der Frauen unternimmt. Zudem soll die Situation der Landfrauen eingebracht werden, die im Staatenbericht übergangen worden sind. Kein Wunder, denn Bäuerin ist ja auch nicht als eigenständiger Beruf anerkannt!

Schattenberichte zu schreiben ist anstrengend, aber lohnend. Mehr als einmal ist es vorgekommen, dass die Uno-ExpertInnen bei einem Hearing die Fragen der NGO aufgenommen und der Schweizer Delegation vorgelegt haben. Manchmal kommen NGO so zu Antworten, die sie auf direktem Weg nicht erhalten hätten.

*Maya Doetzkies ist Journalistin und tätig im Verein Menschenrechte Schweiz MERS.
 

 

Kästchen 1900 Zeichen

Der lange Weg zu mehr Frauenrechten

Als das Uno-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau 1981 in Kraft trat, hatte es einen langen Leidensweg hinter sich. Bereits 1952 war das Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau von der Uno verabschiedet worden. 1967 folgte eine Erklärung über die Beseitigung von Diskriminierungen der Frau. Dann dauerte es fast weitere zehn Jahre, bis nach dem Internationalen Jahr der Frau und auf Entschluss der Weltkonferenz in Mexiko (1975) endlich die Uno mit der Erarbeitung einer verbindlichen Frauenrechtskonvention beauftragt wurde. 1979 nahm die Uno-Generalversammlung die Frauenkonvention an. Sie wurde ein grosser Erfolg, was die Unterzeichnung betrifft. Bis heute haben sie 170 Staaten ratifiziert, das sind fast 90 Prozent der Uno-Mitglieder, als letzter Bahrain im Juni 2002.

Viele Vertragsstaaten haben ihre nationale Rechtslage angesichts des internationalen Diskriminierungsverbots gegenüber Frauen geändert. Trotzdem hat sich die Situation der Frauen nicht wesentlich verbessert. Gesellschaftliche Veränderungen müssen von Frauen immer noch zäh erkämpft werden. Dabei hilft ihnen neuerdings das Beschwerderecht, das der Konvention mehr Biss gibt. Es ermöglicht Einzelpersonen, eine Beschwerde vor einem UN-Menschenrechtsausschuss einzubringen.

Natürlich erhielten die Frauen auch dieses Beschwerderecht, das im Fakultativprotokoll zur Frauenkonvention ausformuliert ist, nicht geschenkt. Das Anliegen war bereits bei der Ausarbeitung der Frauenkonvention eingebracht worden, doch erst an der Internationalen Menschenrechtskonferenz in Wien 1993 und an der 4. Frauenweltkonferenz in Peking 1995 wurden die entscheidenden Schritte vorwärts getan. Das Fakultativprotokoll ist 1999 von der Uno verabschiedet und - symbolträchtig - am 10. Dezember, dem Internationalen Menschenrechtstag, zur Unterzeichnung aufgelegt worden. Heute haben es 47 Staaten ratifiziert.

Die Schweiz gehört nicht dazu. Da auch die Frauenkonvention erst spät, nämlich 1997, ratifiziert worden ist, wird es vermutlich ebenfalls ein Weilchen dauern, bis auch wir Frauen in der Schweiz das Beschwerderecht zugestanden erhalten.

(md)


Inhaltsübersicht nächster Artikel