Eine kritische Gegenöffentlichkeit schaffen

Partei ergreifen für Menschen, die der Willkür von Behörden ausgesetzt sind und deren Rechte verletzt werden. Diese Aufgabe übernimmt die Gruppe "augenauf".

Von Michael Stegmaier*
Auch in der Schweiz werden Menschenrechte verletzt. Auch in der Schweiz werden Menschen auf Grund ihrer Herkunft diskriminiert und aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Auch in der Schweiz gibt es Polizeigewalt. Die Gruppe "augenauf" versteht sich als Basisgruppe und hat sich als Reaktion auf die Repressionswelle während der Zürcher Lettenschliessung 1995 gebildet. Wir ergreifen Partei für Menschen, die von Behördenwillkür besonders betroffen sind, sehr oft MigrantInnen und Menschen auf der Gasse. Mit unserer Arbeit versuchen wir Menschenrechtsverletzungen und staatliche Gewalt aufzudecken und auf diese aufmerksam zu machen. Inzwischen gibt es in Bern, Basel und Zürich regionale Gruppen, die kontinuierlich aktiv sind.

Informationen als Druckmittel

Eine der wichtigsten Interventionsmöglichkeit ist die Öffentlichkeits- und Medienarbeit. Mit einer Pressekonferenz oder einem Kommuniqué informieren wir über einen Fall oder ein aktuelles Ereignis. Damit versuchen wir ein Gegengewicht zur meist sehr einseitigen Darstellung der Behörden zu geben oder diese beispielsweise unter Druck zu setzen, gegen einen fehlbaren Beamten ein Strafverfahren einzuleiten. Je nach politischer Konjunktur und Komplexität des Falles gelingt dies mal mehr und mal weniger. Oft schrecken Betroffene von Polizeiübergriffen davor zurück, gegen fehlbare Beamte eine Strafanzeige einzureichen, aus Angst vor Repressalien und weil diese oft keine Chance hat oder sie gar mit einer Gegenanzeige rechnen müssen. Mit einem Bulletin, das viermal jährlich erscheint, macht "augenauf" solche Fälle anonym publik. Natürlich ist es wichtig, dass die Fälle gut recherchiert und dokumentiert sind. Neben der üblichen Medienarbeit versuchen wir auch mit Aktionen, Demos und Informationsveranstaltungen eine kritische Gegenöffentlichkeit zu schaffen und Betroffene zu motivieren, für ihre Grund- und Menschenrechte zu kämpfen. Dabei spielt es für uns keine Rolle, ob jemand "kriminell" ist oder nicht. Polizeigewalt bleibt Polizeigewalt, egal was der Betroffene auf dem Kerbholz hat. Ebenso ist die politische und finanzielle Unabhängigkeit von essentieller Bedeutung für unsere Arbeit.

Ausschaffung mit Todesfolgen

Ein Beispiel für verschiedene Interventionsmöglichkeit und deren Mechanismen ist der tragische Todesfall von Khaled Abuzarifa. Er starb am 3. März 1999 in Kloten bei einer so genannten Level 3-Ausschaffung. Auf einen "Sackrolli" gefesselt, an den Füssen und Händen zusammengekettet und in eine Zwangsjacke verpackt, wird der abgewiesene Asylbewerber für seine Ausschaffung vorbereitet. Die Berner Kantonspolizisten setzen dem 27-Jährigen einen Helm auf. Nachdem ein Arzt einen Check durchgeführt hat, verkleben die Kantonspolizisten Khaled routinemässig den Mund, damit er während dem Flug nicht schreien kann. 15 Minuten später ist Khaled Abuzarifa tot, qualvoll erstickt.

Auch in anderen europäischen Ländern ist es vorher bei Ausschaffungen schon zu ähnlichen Todesfällen gekommen. Während es in Belgien, Deutschland und Österreich zu heftigen Protesten und öffentlichen Debatten kam und sogar Minister zurücktreten mussten, blieb es in der Schweiz ruhig, sehr ruhig. Keine aufgebrachten ParlamentarierInnen, kein Aufschrei des Entsetzens und keine Suspendierungen vom Dienst. Eine wichtige Rolle dabei spielte auch die gezielte Desinformationspolitik der involvierten Behörden, die von den Medien kaum hinterfragt wurde. Die Boulevardzeitung Blick titelte sogar "Drogendealer tot umgefallen".

Unermüdlich dran bleiben

Da politische Konsequenzen ausblieben, eine Obduktion zwar angeordnet wurde, aber auch nach Monaten nicht abgeschlossen war, begann die Gruppe "augenauf" zu recherchieren. Um auf den Todesfall von Khaled Abuzarifa aufmerksam zu machen und den Druck auf die zuständigen Untersuchungsbehörden zu verstärken, organisierte "augenauf" zusammen mit anderen politischen Gruppen im Oktober 1999 eine Demonstration, an der rund 1500 Menschen teilnahmen. Nachdem es uns endlich gelungen war, die Familie des Verstorbenen ausfindig zu machen, reiste ein Vertreter von "augenauf" in den Gazastreifen, um zu informieren und um das weitere Vorgehen zu besprechen. Ein renommierter Anwalt wurde eingeschaltet, um die Interessen der Familie Khaled zu vertreten. In einer Dokumentation wurde der Fall detailliert aufgearbeitet. Schliesslich gab das Zürcher Institut für Rechtsmedizin bekannt, dass Khaled Abuzarifa während der Ausschaffung auf Grund der Knebelung erstickt war. Der zuständige Untersuchungsrichter eröffnete daraufhin ein Strafverfahren gegen die drei Polizisten sowie den beteiligten Arzt wegen fahrlässiger Tötung. In erster Instanz wurde der Arzt zwar zu fünf Monaten Gefängnis bedingt verurteilt, zwei Beamte freigesprochen und das Verfahren gegen den Einsatzleiter an den Untersuchungsrichter zurückdelegiert. Doch bis heute wurde niemand für den Tod von Khaled Abuzarifa zur Rechenschaft gezogen. Die Familie Khaled hat weder eine finanzielle Entschädigung noch eine Entschuldigung erhalten.

Der Fall von Khaled Abuzarifa zeigt exemplarisch auf, dass Interventionen auf verschiedensten Ebenen möglich und oft auch nötig sind. Mit juristischen Mitteln, Recherche- und Öffentlichkeitsarbeit, Dokumentationen, Infoveranstaltungen, Kontakt mit der Familie sowie Protestaktionen ist es uns gelungen, auf diesen tragischen Fall aufmerksam zu machen. Es braucht aber einen langen Atem, da sich die Verfahren oft über Jahre hinweg ziehen können und manchmal gar im Sand verlaufen. Inzwischen ist in der Schweiz bei Ausschaffungen jegliche Massnahme verboten, welche die Atmung behindert könnte.

*Michael Stegmaier arbeitet bei der Freiplatz Aktion und engagiert sich in der Gruppe "augenauf".

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