Rosmarie Kurz: "Nachdenken - umdenken - mutmachen - einmischen"

Am 15. November ist in Bern nach kurzer Krankheit die Feministin und Friedenspolitikerin Rosmarie Kurz gestorben. 20 Jahre lang hat Rosmarie Kurz die Friedensarbeit des cfd mitgeprägt - als Mitarbeiterin der Öffentlichkeitsarbeit und Redaktorin des cfd-Blatts.

Von Carmen Jud*
"Nachdenken - umdenken - mutmachen - einmischen" dies waren zentrale Begriffe in der Arbeit und im Engagement von Rosmarie Kurz. Als sie nach dem Tod der cfd-Gründerin Gertrud Kurz 1972 die cfd-Öffentlichkeitsarbeit übernahm, hatte Friedensarbeit einen schweren Stand in der von Ost-West-Gegensatz und kaltem Krieg geprägten Welt. Unermüdlich kämpfte Rosmarie Kurz gegen das polare Denken und die Sinnlosigkeit und Gefahr des Wettrüstens. Sie schrieb an gegen Rassismus und Militarismus. Sie nahm Partei und engagierte sich dafür, jene wahrzunehmen, die in der herrschenden Sicht unsichtbar gemacht wurden, MigrantInnen in der Schweiz, Friedenskräfte in Konfliktgebieten wie Israel und Palästina. Sie organisierte eindrückliche Veranstaltungen wie beispielsweise die Berner Friedenswochen mit Referentinnen aus Ost und West, Süd und Nord, die gemeinsam mit den cfd-Mitarbeiterinnen und Frauen und Männern aus der Friedensbewegung Netze der Zusammenarbeit und der Solidarität knüpften.

1981 führte die Arbeit einer Frauengruppe am Frauen-Friedens-Dossier "So kann es nicht weitergehen" zur Gründung der Frauenstelle für Friedensarbeit im cfd. Dadurch gewann Rosmarie Kurz' intensive Auseinandersetzung mit männlich-patriachalen Mustern des Denkens und der Sicherheitspolitik einen strukturellen Ort, wo Sicherheit von unten und aus Frauensicht neu diskutiert und buchstabiert werden konnte. Als Mitglied der Begleitgruppe unterstützte Rosmarie Kurz die Weiterentwicklung der cfd-Frauenstelle und der feministischen Friedenspolitik auch nach ihrer Pensionierung 1992. Bis zuletzt nahm sie Anteil am Weg des cfd, der heute - auch dank Rosmarie Kurz vorausschauendem Denken und hartnäckigem Handeln - als feministische Friedensorganisation Empowermentprojekte realisiert und sich kritisch in politische Debatten einmischt.

*Carmen Jud ist Geschäftsleiterin des Christlichen Friedensdienstes cfd

 

Nachruf Rosmarie Kurz

Von Ruedi Tobler*
Mitte der Siebzigerjahre kam es im Schweizerischen Friedensrat zu einem grösseren Umbruch. Mit dem Rücktritt des langjährigen Präsidenten Hansjörg Braunschweig wurde die Verantwortung für seine Politik an eine neue Generation (die "68er") übertragen. Wir "Jungen" wollten damals eine kollektivere Form des Politisierens einführen. Wenn ich mich richtig erinnere, hat damals auch das Engagement von Rosmarie Kurz im Friedensrat begonnen. Sie war zwar nicht Mitglied des neu gebildeten Vorstandes, aber sie hat unsere Arbeit aktiv begleitet und nahm als Vertreterin des cfd regelmässig an unseren Delegiertenversammlungen teil.

Mit dem Aufkommen der "neuen Friedensbewegung" Ende der Siebzigerjahre wurde auch in der Schweiz des organisatorische Korsett der traditionellen Friedensorganisationen zu eng. Zuerst in loser Form bildeten wir ein Diskussionsforum, das sich in einem Nachbarhaus des "Gartenhofes", damals ein katholisches Jugendforum, traf. Rosmarie Kurz war eine der InitiantInnen und machte im engsten Kreis aktiv mit.

Daraus heraus gewachsen ist die Bewegung "Wir wollen nicht zu Tode verteidigt werden". Im Dezember 1981, nur eine Woche nach der eindrücklichen ersten Grosskundgebung für den Frieden in Bern - mit Rosmarie Kurz als Rednerin - war gewissermassen die Geburt dieser Bewegung an einem grossen Friedenstreffen in Luzern. Mitten in diesem Treffen - in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag - erfolgte in Polen der Militärputsch von General Jaruselsky, was zu Auseinandersetzungen führte, ob wir unmittelbar darauf zu reagieren hätten. Rosmarie setzte sich dafür ein, beide Themen - die Abrüstung und die Freiheits- und Menschenrechte - mit einander zu verbinden. Damit begann sich auch die Ost-West-Arbeit zu konkretisieren, wozu der END-Appell des Russell-Peace-Foundation für eine atomwaffenfreie Zone in Europa gefordert hatte: "Wir müssen lernen, nicht gegenüber dem ‹Osten› oder ‹Westen›, sondern untereinander loyal zu sein."

Noch stärker als der END-Appell hatte uns ein Manifest aus der Bundesrepublik angesprochen, der "Aufruf zum Ausbruch aus dem Irrenhaus". Er hatte mit der üblichen Politrhetorik gebrochen und eine Sprache gefunden, in der wir unser Anliegen von neuen Ausdrucksformen umgesetzt fanden. Die Anpassung dieses Aufrufs an die schweizerischen Verhältnisse war eine der kreativsten Arbeiten, an denen ich je beteiligt gewesen bin und zugleich die intensivste Zusammenarbeit, die ich mit Rosmarie Kurz je hatte. Der Aufruf bildete die inhaltliche Grundlage, auf der die Bewegung "Wir wollen nicht zu Tode verteidigt werden" erblühte.

Die grosse Bewegung ist relativ schnell abgeebbt, aber die Arbeit der wirklich Engagierten ist weiter gegangen. Selbstverständlich hat Rosmarie Kurz zu ihnen gehört und ist konsequenterweise auch Vorstandsmitglied des Friedensrates geworden, in der schwierigen Zeit, als die Gelder nicht mehr so reichlich flossen und es darum ging, die 1982 gegründete friedenszeitung zu konsolidieren. Aus dem Vorstand hat sich Rosmarie Kurz erst zurück gezogen, als die rasch wachsende Arbeit in der Flüchtlingsbetreuung den cfd in existenzielle Probleme stürzte, was ihren uneingeschränkten Einsatz erforderte.

*Ruedi Tobler ist Präsident des Schweizerischen Friedensrates.

 

Lebenslauf Rosmarie Kurz

Am 15. November 2002 starb in Bern nach kurzer Krankheit die Feministin und Friedenspolitikerin Rosmarie Kurz. 

Von Daniel Kurz*
Rosmarie Kurz kam 1926 als Tochter der Schweizer Diplomaten Reinhard und Clara Hohl in Bern zur Welt.

1948 heiratete Rosmarie Hohl ihren Cousin Albert Kurz und begründete mit ihm in Brienz (Berner Oberland) eine Landarztpraxis. Das vitale Interesse der beiden nicht nur an den Krankheiten, sondern an der Persönlichkeit der Patientinnen und Patienten brachte der Praxis in Brienz einen legendären Ruf, der über den frühen Tod von Albert Kurz (1964) hinaus anhielt. Rosmarie Kurz führte mit Leidenschaft ein Haus als Ehefrau und Mutter ihrer vier Kinder, denen sie Welten voller Liebe und voller Geheimisse erschloss, und als Gastgeberin für Freundinnen und Freunde, die kulturelle Anregungen hineinbrachten.

Das politische Engagement von Rosmarie Kurz hatte seine Wurzeln in der Auseinandersetzung mit dem Holocaust, die durch die Schwiegermutter Gertrud Kurz vermittelt war. Es verdichtete sich in den Jahren um 1968 mit der wachsenden Empörung über den Krieg in Vietnam und in der Auseinandersetzung mit der Studentenbewegung.

1970 redigierte Rosmarie Kurz die Festschrift zum 80. Geburtstag der Flüchtlingsmutter Gertrud Kurz und übernahm bald darauf die Öffentlichkeitsarbeit des Christlichen Friedensdienstes cfd. Das "Mitteilungsblatt" des cfd wurde unter ihrer Leitung sehr rasch zu einem wichtigen Forum friedens- und entwicklungspolitischer Grundsatzdebatten.

Die enge Anteilnahme an den Befreiungskämpfen in Rhodesien (Zimbabwe), Mozambique und Südafrika führte zu der Überzeugung, dass Befreiung und Gerechtigkeit die Grundlage einer umfassenden Friedensarbeit sein müssen. Die Losung des cfd: "Wir nehmen Partei" leitete sich aus dieser Einsicht ab. Parteinahme für die Flüchtlinge in der Schweiz, für offene Grenzen, gegen die "Nachrüstung", für das vergessene Volk der Sahraouis und immer mehr: für den Frieden im Nahen Osten, das waren zentrale Themen des cfd in den 1980er Jahren.

Die Empörung über die "Nachrüstung" der NATO in Westeuropa mündete 1980 in die Arbeit der kirchlichen Arbeitsgruppe KAGAS, die bald zu einer reinen Frauengruppe wurde, in der unter anderen die Freundinnen Marga Bührig, Myriam Salzmann und Monika Stocker mitwirkten. Die KAGAS formulierte erstmals eine genuin feministische, antipatriarchalische Friedenspolitik. Unter dem Titel: "So darf es nicht weiter gehen – Nachdenken über den Unfrieden, Mutmachen zum Aufbruch" erschien 1981 ein Arbeitsbuch der Frauengruppe KAGAS, das in der Friedensbewegung grosse Verbreitung fand. Aus dieser Arbeit heraus kam es Ende 1981 zur Gründung der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit, die Rosmarie Kurz gegen zahlreiche internen Widerstände aus der Überzeugung heraus durchsetzte, dass der Geschlechteransatz nirgendwo so direkt wie in der Friedensarbeit zu neuen Ansätzen und Ideen führen müsse. Damit legte sie den Grundstein für den heutigen cfd: Aus der kleinen Frauenstelle wurde über die Jahrzehnte die ideelle Basis des cfd, der heute eine feministische Friedensorganisation ist.

Seit den späten 1970er Jahren wurde das Thema Nahost zum wichtigsten Tätigkeitsfeld von Rosmarie Kurz. Eine Reise nach Israel und in die besetzten Gebiete Palästinas im Herbst 1979 begründete die Freundschaft mit israelischen Friedensaktivisten und mit der Palästinenserin Sumaya Farhat-Naser.

In den verbissenen Debatten um Solidarität mit Israel und mit dem palästinensischen Volk hielt Rosmarie Kurz vehement am Anspruch fest, die historische Dimension des Holocaust und die Entwicklung im Nahen Osten gesamthaft und gleichzeitig im Blick zu behalten. Die unkritische Parteinahme für Israel durfte nicht durch eine ebenso einseitige Solidarität mit Palästina ausgelöscht werden. Nach dem Libanonkrieg von 1982 half Rosmarie Kurz mit, erste geheime Treffen zwischen friedenswilligen Palästinensern und Israelis zu arrangieren und öffentliche Aussprachen zwischen PalästinenserInnen und JüdInnen in der Schweiz zu ermöglichen. Gleichzeitig vermittelte sie Informationen über die Situation in der West Bank und im Libanon an die Schweizer Medien.

Nach ihrem Rücktritt aus dem cfd 1992 verfolgte Rosmarie Kurz vor allem ein politisches Projekt weiter. Sie bewegte und ermutigte ihre Freundin Sumaya Farhat-Naser zum Schreiben eines Berichts über ihr Leben in Palästina. Aus einzelnen per Fax übermittelten Textfragmenten machte Rosmarie Kurz in monatelanger, intensiver Zusammenarbeit mit Sumaya Farhat-Naser ein Buch, das 1995 unter dem Titel "Thymian und Steine" erschienen ist, dem im Jahr 2001 ein zweiter Band folgte und dessen Autorin soeben mit dem Friedenspreis des deutschen PEN-Clubs ausgezeichnet worden ist.

In ihrem privaten Leben war Rosmarie Kurz ebenso radikal, liebevoll und unbeeindruckt von Konventionen wie in der Politik. Leidenschaft und Hingabe prägten ihre Beziehung zum langjährigen Lebensgefährten Samuel Maurer, mit dem sie 18 Jahre verbrachte und mit dem sie im Alter von 74 Jahren im November 2000 Hochzeit feierte. In dieser Liebe, die von Anfang an unter der Voraussetzung des Alters, der begrenzten Dauer und zunehmender körperlicher Beschwerden stand, fanden beide bis zum Tod von Rosmarie Kurz am 15. November ein Glück, das sie Tag für Tag feierten wie ein Fest.

Daniel Kurz
 


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