Zuschlagen ist auch ein Zeichen der Ohnmacht - Männer gegen Männergewalt

"Stark ist ein Mann, wenn er selbst-bewusst ist", sagt Andreas Hartmann, Mitbegründer der Beratungsstelle "Männer gegen Männer-Gewalt" in St. Gallen. Sie besteht seit bald zwei Jahren und befähigt die Rat suchenden Männer, Beziehungen gewaltfrei zu gestalten.

Von Christa Zopfi
Ein strahlender Vater, eine glückliche Mutter, zwei lachende Kinder - das Bild einer heilen Familie, Wunschbild vieler Männer, doch es entspricht nicht der Realität. In über 90 Prozent der Fälle von häuslicher Gewalt sind Männer die Täter. Wo bleibt da der schützende Familienvater? Steht das Bild auf dem Faltprospekt der Beratungsstelle "Männer gegen Männer-Gewalt" nicht im Widerspruch zur Situation ihrer Klienten? Nein, sagt Andreas Hartmann, Sozialarbeiter und Gewaltberater. Der fürsorgliche Familienvater und der gewalttätige Partner schliessen sich nicht grundsätzlich aus. Sie verunmöglichen jedoch eine vertrauensvolle Beziehung. Die gewalttätigen Männer - wie die allermeisten Männer von der klassischen Sozialisation geprägt - möchten ihre Rolle als Ernährer und Beschützer wahrnehmen. Doch sie verfallen immer wieder ins alte Muster und schlagen zu, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen. Das geht so lange, bis die Partnerin nicht mehr mitmacht, das Umfeld den Mann drängt, etwas zu unternehmen, oder wenn er staatliche Massnahmen zu erwarten hat. Nicht zu unterschätzen ist der innere Druck, wenn ein Mann merkt, dass er mit seinem Verhalten die Beziehung oder die Familie zerstört. Dann sucht er die Beratungsstelle auf, nicht freiwillig, sondern selbstverantwortlich, wie Andreas Hartmann betont.

Ein starker Mann ist ein selbstbewusster Mann

Ein Beispiel: Der Mann kommt nach Hause, will das Auto in der Garage parkieren, da stehen schon wieder diese Gummistiefel im Weg. Der Mann steigt aus, geht ins Haus und verprügelt seine Frau. Nicht zum ersten Mal. Nach einer solchen Tat erschrickt er, empfindet einen Augenblick lang so etwas wie Reue, bringt der Frau Blumen, beteuert, dass er nie mehr schlagen wolle. Aber beim nächsten Konflikt weiss er wieder nicht, wie sich verhalten. Er macht die Frau verantwortlich, die nicht für Ordnung schaut, oder die Kinder, die ihre Stiefel einfach liegen lassen. Er fühlt sich als Opfer, nicht als Täter. Das führt zwangsläufig dazu, dass er beim nächsten Mal wieder gewalttätig wird.

Die Männer haben den Anspruch, am Arbeitsplatz und zu Hause den Mann zu stellen, stark und aktiv zu sein. Hilflosigkeit, Angst, Ohnmacht "dürfen nicht sein, weil das unmännlich ist". Dann geraten sie zu Hause in einen Konflikt, sie sollten dazu ihre Meinung sagen und wissen plötzlich nicht mehr wie weiter. Sie fühlen sich in die Enge getrieben, Wut steigt auf, sie sehen keine Möglichkeit mehr sich zu wehren. Die Frau insistiert und der Mann will nur noch eines, sie zum Schweigen bringen. Er schlägt zu und für einen Augenblick hat er sein Ziel erreicht, jedoch das Problem nicht gelöst.

Ziel einer Beratung ist es, die Männer und männlichen Jugendlichen zu befähigen, die Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. So können sie den Kreislauf der Gewalt unterbrechen. In einem nächsten Schritt werden sie darin unterstützt, sich mit ihren weiteren Emotionen auseinanderzusetzen.

Von der Perspektive des Opfers zur der des Täters

Männer, die in die Beratungsstelle kommen, sind eher unsicher, angepasst, einsam. Sie sind nicht stolz auf ihre Gewalttaten. Im Augenblick des Zuschlagens empfinden sie Macht, aber sie erreichen nicht, was sie möchten: ein guter Partner, ein fürsorglicher Vater sein. So gesehen haben sie eine schwache Position. Sie sind aus zwei Gründen nicht selbstbewusst. Erstens sind sie nicht in der Lage, schwierige Situationen zu meistern, Konflikte zu lösen. Zweitens sind sie sich oft nicht bewusst, dass sie Täter sind. Sie sehen sich als Opfer der Frau oder der Umwelt und delegieren damit die Verantwortung für ihr Handeln.

"In der Beratung geht es um einen Prozess des Selbstbewusst-werdens: Die Männer werden sich ihrer Rolle als Täter bewusst, sie erkennen, dass sie ausser Gewalt noch andere Möglichkeiten haben, sich durchzusetzen, sie werden sich ihrer Ideale bewusst und nehmen ihre Gefühle wahr. Angst und Hilflosigkeit sind Teile ihrer Persönlichkeit als Mann und nicht nur den Frauen vorbehalten. Sie lernen eins zu eins ihre Anliegen zu formulieren und sich in einer echten Verhandlung zu behaupten", sagt Andreas Hartmann. Dieser Prozess verläuft zuerst in Einzelberatungen. Später ist eine Weiterführung in Gruppen möglich.

Im Vordergrund steht der Gewinn

Können eingeschliffene Verhaltensweisen in einem halben Jahr verändert werden? Die Erfahrung zeigt, dass die rein körperliche Gewalt oft in kurzer Zeit gestoppt werden kann. Die Berater lehnen den Einsatz von Gewalt ganz klar ab, ohne zu moralisieren. Die Rat suchenden Männer erfahren, dass sie viel gewinnen, wenn sie in einem Konflikt anders als mit Gewalt reagieren. Sie gewinnen Selbstbewusstsein, fühlen sich stark, die Beziehung zur Partnerin und zu den Kindern wird besser. Sie lernen schwierige Situationen zu meistern und erweitern ihre sozialen Kompetenzen. Männer, die ihr Befinden wahrnehmen und ausdrücken können, werden nicht mehr gewalttätig.


"Männer gegen Männer-Gewalt"

"Sie wollen nicht länger gewalttätig sein - wir unterstützen Sie. Werden Sie selbstbewusst und stark", heisst es im Faltprospekt der Beratungsstelle "Männer gegen Männer-Gewalt". Ziel der Beratung ist es, die Rat suchenden Männer zu befähigen, die Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und ihre Beziehungen gewaltfrei zu gestalten. In Luzern besteht die Beratungsstelle seit etwa zweieinhalb Jahren, in St. Gallen seit anderthalb Jahren, Biel und Basel sind im Aufbau. Die Berater dieser vier Stellen wurden im "Institut for Male" ausgebildet und arbeiten nach den Prinzipien des 1988 in Hamburg gegründeten Ansatzes von "Männer gegen Männer-Gewalt".

Kontaktadressen:

Beratungsstelle Männer gegen Männer-Gewalt Ostschweiz, Vadianstrasse 40, Postfach 233, 9001 St.Gallen, Tel. 071 223 33 11, E-Mail: ostschweiz@gewaltberatung.org

Beratungsstelle Männer gegen Männer-Gewalt Bern, Ring 4, 2502 Biel, Tel. 032 322 50 30

Beratungsstelle Männer gegen Männer-Gewalt Basel, Peter-Merian-Strasse 49, 4052 Basel, Tel. 061 273 23 13

Fachstelle gegen Männergewalt Luzern, Tribschenstrasse 78, 6005 Luzern, Tel. 078 744 88 88

 


Inhaltsübersicht nächster Artikel