Peacemaker, die Friedensstifter auf dem Pausenplatz

Konflikte auf friedliche Art zu lösen ist das Ziel des Projekts "Peace Maker", das an verschiedenen Schulen in der Schweiz durchgeführt wird. Über ihre nicht leichte Aufgabe als Peacemaker berichten SchülerInnen aus Winterthur.

Von Thomas Lipp*
Wie löst man Konflikte auf friedliche Art und Weise? Über dieser Frage haben sich schon viele Experten ihre Köpfe zerbrochen. An der Primarschule in der Winterthurer Altstadt läuft seit einem Monat ein Projekt der NCBI Schweiz (National Coalition Building Institute). Siebzehn PrimarschülerInnen ab der 3. Klasse liessen sich in einem abwechslungsreichen Workshop während anderthalb Tagen zum Peacemaker ausbilden. Seither greifen sie in ihrer Schule in Konflikte ein und versuchen, diese friedlich zu lösen.

Ja, die neue Aufgabe gefällt ihnen, antworten die FriedensstifterInnen einstimmig. Auch wenn ihr Job alles andere als einfach ist. Natürlich hätten sie manchmal ein wenig Angst, in einen Streit einzugreifen. Doch bis jetzt ist noch kein Peacemaker ernsthaft bedroht worden. Immerhin die Hälfte von ihnen konnte schon mindestens ein Erfolgserlebnis verzeichnen. Heute, einen Monat nach dem Workshop, treffen sie sich zusammen mit der Fachfrau Carmelita Boari, um ihre ersten Erfahrungen auszutauschen. "Hau doch ab!", habe ihn ein Streithals angeschrien, als er Frieden stiften wollte, meldet sich ein Junge. Ein Mädchen berichtet, sie sei zu einem angeblichen Streit gerufen worden. Doch als sie eingetroffen sei, hätten sie alle ausgelacht; sie sei sich richtig "verarscht" vorgekommen. Andere berichten, sie seien manchmal einfach nicht ernst genommen worden.

Keine Polizisten oder Richterinnen

Auf solche Erfahrungen sind die Peacemaker vorbereitet worden. Es gilt viele Punkte zu beachten, um erfolgreich sein zu können. Und selbst dann gibt es keine Erfolgsgarantie. Sie sollen nur bei gleichaltrigen oder jüngeren SchülerInnen eingreifen und dies wenn möglich nie allein. Sobald sie das Gefühl bekommen, mit einer Situation überfordert zu sein, müssen sie sofort die Pausenaufsicht oder den Klassenlehrer kontaktieren.

Die Peacemaker sind neutrale Personen. Sie dürfen auf keinen Fall als PolizistInnen oder RichterInnen auftreten, die Verbote oder gar Strafen aussprechen. Vielmehr versuchen sie, durch Fragen die Ursache des Konfliktes herauszufinden. "Was ist los? Soll ich euch helfen?", lautet die erste Frage, mit der sie auf zwei Streitende zugehen. Die Hilfe der FriedensstifterInnen ist ein Angebot. Wenn es nicht erwünscht ist, können sie auch nichts ausrichten. Denn der Wille zur friedlichen Beendigung des Konfliktes ist die Grundvoraussetzung. Möchte allerdings nur einer der Streitenden das Angebot annehmen, greifen sie ein. Im nächsten Schritt soll einer nach dem andern seine Sichtweise der Auseinandersetzung darstellen. Natürlich behauptet jeder, der oder die andere habe begonnen. Doch darauf antworten die Peacemaker: Es ist nicht wichtig, wer angefangen hat. Wichtig ist, wer wieder aufhören kann! Um Missverständnisse zu vermeiden, wiederholt die oder der Peacemaker beide Ansichten. Oft kommen dadurch weitere Einzelheiten zum Vorschein. Die nächste Frage lautet: "Wie fühlst du dich?" Diese Frage ist von zentraler Bedeutung. Oft realisieren die Streitenden nicht, welche Gefühle sie bei ihrem Gegenüber hervorrufen. Manch einer zeige sich darüber schockiert und wolle sich auch gerne dafür entschuldigen.

Sich einmischen und klären

In der Diskussion mit den Peacemakern erweist sich diese Frage allerdings auch als Knacknuss. Ein Junge meint: "Als ich fragte, wie fühlst du dich, haben sie mich ausgelacht." Offenbar stösst das Wort "fühlen" bei manchen komisch auf und ist daher ungeeignet. In Zukunft werden die FriedensstifterInnen eher fragen: "Wie ist das für dich? Wie geht es dir?"

Der nächste Schritt, die Suche einer Lösung, ist wohl der anspruchsvollste. Das Ziel wäre es, dass die beiden Konfliktparteien nun selbst eine Lösung finden. Allenfalls kann der/die FriedensstifterIn Vorschläge zur Diskussion unterbreiten. So halten sich die Streitenden am ehesten an ihre Abmachung. Auf keinen Fall dürfen die Peacemaker eine eigene Regelung erzwingen. Dadurch blockieren sie sofort die versöhnliche Stimmung und somit die Chance auf einen Frieden. Können sich die Konfliktparteien auf eine Abmachung einigen, wird diese abschliessend mit einem Händeschütteln besiegelt.

Den Gemeinschaftssinn fördern

Von der Theorie zur erfolgreichen Praxis ist es ein langer Weg. Und aller Anfang ist bekanntlich schwer. Doch das Klima auf dem Pausenplatz sei friedlicher geworden, seit die Peacemaker ihre Arbeit aufgenommen haben. In den Köpfen der einzelnen SchülerInnen muss nun ein Umdenken stattfinden. Was bis jetzt einfach mit den Fäusten "gelöst" werden konnte, funktioniert auf einmal nicht mehr.

Wie die Erfahrung zeigt, tragen diese Projekte auch ihre Früchte. In etwa acht Schweizer Schulen ist das Projekt Peacemaker schon durchgeführt worden. Mit erstaunlichen Erfolgen! An einigen Schulen berichten die FriedensstifterInnen an ihrem monatlichen Treffen, es sei richtig langweilig geworden. Es passiere gar nichts mehr! Genau da führt das Projekt weiter. An diesen Schulen vermittelt NCBI den SchülerInnen verschiedenste Pausenspiele, die darauf abzielen, Gemeinschaft und Geschicklichkeit der SchülerInnen zu fördern und ihre Qualitäten ins Zentrum zu stellen. Durch diese Projekte ist es gelungen, Vorurteile abzubauen und den SchülerInnen eine neue Einstellung zu Gewalt aufzuzeigen. Auf diese Weise sind schon neue, friedlichere Schulhauskulturen entstanden.

Bis jetzt musste NCBI nur ein Projekt vorzeitig abbrechen. In einem Oberstufenschulhaus wollten die Lehrkräfte ausgerechnet die bekannten Streithähne als Peacemaker einsetzen und erhofften sich dadurch deren Umdenken. Doch das Gegenteil trat ein: Die vermeintlichen Friedensstifter traten als autoritäre Polizisten auf, wodurch sich die Situation verschlimmerte.

Ein langer, steiniger Weg

Um eine Chance auf Erfolg zu haben, ist NCBI auf die Unterstützung der Lehrerschaft und der Eltern angewiesen. Bevor sie das Projekt starten, lernen alle LehrerInnen in einem Workshop Möglichkeiten der Gewaltprävention kennen. Die Ansichten der LehrerInnen und Eltern über Konfliktlösungen klaffen allerdings auseinander. Viele setzen nach wie vor auf repressive Massnahmen. Die Gewalt unter den SchülerInnen kann damit vielleicht eingedämmt werden. Dies allerdings nur, weil sich die SchülerInnen vor den angedrohten Massnahmen fürchten und nicht, weil sie ihre Einstellung zur Konfliktlösung verändert haben. Der Weg der friedlichen Konfliktlösung ist ein langer, beschwerlicher Weg. Es ist kurzfristig einfacher, sein Gegenüber zu verprügeln, als sich mit ihm auf lange Diskussionen einzulassen. Dazu braucht es viel Charakterstärke und Geduld, was lebenslanges Lernen erfordert.

*Thomas Lipp ist Student und neues Mitglied der Redaktionsgruppe der FriZ.

 

Die Strategie der Peacemaker:

- Soll ich euch helfen?

- Was ist los?

- Habe ich das richtig verstanden?

- Wie ist das für euch?

- Gemeinsam Lösung suchen

- Abmachung durch Handschlag besiegeln  


NCBI - die Brückenbauer

NCBI ist die Abkürzung von National Coalition Building Institute, was mit "Brückenbauer-Institut" übersetzt werden kann. NCBI Schweiz wurde 1995 gegründet und ist ein konfessionell und politisch neutraler gemeinnütziger Verein. Er setzt sich ein für den Abbau von Vorurteilen, von Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art sowie für Gewaltprävention und konstruktive Konfliktlösung.

NCBI Schweiz arbeitet zusammen mit NCBI International, das aus über 50 Sektionen in den USA, Kanada, Österreich, Deutschland, Bulgarien und Bosnien-Herzegowina besteht. NCBI Schweiz hat WorkshopleiterInnen verschiedenster Nationalitäten ausgebildet, die bei spezifischen Problemen eingesetzt werden können.

NCBI Schweiz, Alte Landstrasse 89, 8800 Thalwil, Tel. 01 721 10 50, www.ncbi.ch


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