"Den Frauen ging es unter den Kommunisten besser"

Wie leben die Menschen in Zentralasien, wie sieht ihr Alltag aus? Die Journalistin Laurence Deonna hat die Länder der ehemaligen Sowjetunion besucht und berichtet über den Kampf der Frauen für ihre Rechte.

Von Odile Gordon Lennox*
Für die Medien sind die Republiken der ehemaligen Sowjetunion Aserbaidschan, Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan, Tadschikistan kein Thema. Das Publikum interessiert sich kaum für sie. Wer weiss zum Beispiel, dass Kasachstan allein 55 mal grösser ist als die Schweiz und eine Bevölkerung von 16 Millionen Einwohner hat?

Dennoch sind diese Länder gegenwärtig sehr begehrt. "Ihr Boden ist zum Sterben reich. Sterben für den Ölhandel und die Durchführung der Pipelines, um die sich die USA und Russland streiten. Sterben für die seltenen Metalle, Nickel, Chrom, Silber..." berichtet Laurence Deonna, eine Genfer Journalistin an einem Vortrag bei den "Frauen für die Frieden Schweiz" in Genf. Diese Länder verkaufen sich dem Meistbietenden. Die BewohnerInnen bezahlen die Zeche, ihre Reichtümer werden verscherbelt. Verdienst und allgemeine Wohlfahrt sind auf Talfahrt: Spitäler, Schulen und Bibliotheken werden geschlossen, weil alles sofort rentieren soll. Auch wenn man einigen Frauen in Pelzmänteln begegnet und Boutiquen mit Markenartikeln sehen kann, breitet sich die Armut hinter den Fassaden aus: Luxuswagen vorne und Bettlerinnen hinten. Die meisten BewohnerInnen trauern dem kommunistischen System nach, das ihnen einen durchschnittlichen Lebensstandard und Ausbildung für alle garantierte.

Die Opposition wird unterdrückt

Die ethnischen und religiösen Minoritäten wie die Deutschen, Ukrainer und Russen fühlen sich angesichts des zunehmenden islamischen Fundamentalismus bedroht. Viele möchten fortgehen, aber wohin? Arbeitslosigkeit und Armut grassieren auch in ihren Ursprungsländern. Die geringste Opposition zu diesen Regierungssystemen wird sehr schnell mit Repression bekämpft: Politiker und JournalistInnen werden bedroht und verhaftet, die Fernsehstationen durch Truppen besetzt.

Siebzig Jahre laizistischer Kommunismus sterben aus, Jahrhunderte islamischer Kultur tauchen wieder auf und werden durch das Missionieren der Mullahs verstärkt, die mit Geldern für den Wiederaufbau von Moscheen und Koranschulen aus dem persischen Golf gekommen sind. Sie sind nicht allein, auch viele andere Missionen versuchen diese Länder zu evangelisieren. Laurence Deonna hat Katholiken, Adventisten, Lutheraner und einen Rabbiner aus Brooklyn-New York getroffen.

Frauen kämpfen für ihre Rechte

Stark verändert hat sich die Situation der Frauen aus den ehemaligen sowjetischen Republiken mit der aufkommenden Islamisierung. Im Unterschied zu den Frauen im Iran und in Pakistan haben sie alle unter den Kommunisten eine laizistische Ausbildung genossen und sind besser vorbereitet, ihr Recht auf Ausbildung und ihre aktive Rolle in der Gesellschaft zu verteidigen. Paradoxerweise kämpfen auch die autoritären Regierungen, deren Führer überwiegend in der kommunistischen Partei ausgebildet worden sind, gegen die Islamisierung. An der Spitze der Verteidigung der Frauenrechte stehen die Frauen russischen Ursprungs. Was verteidigen sie? Zuerst die Wahrung ihrer Errungenschaften: ihr Recht auf Ausbildung, eine für alle verfügbare soziale Wohlfahrt, Hilfe für betagte Menschen ohne Renten. Scheidungen, Arbeitslosigkeit und schlecht organisierte Rechtssprechung drängen immer mehr Frauen unter die Armutsgrenze. Die Feministinnen starten einen Frontalangriff gegen die Einführung des islamischen Rechtes, die Scharia. Sie prangern die Verführer an, die eine Rückkehr zur reinen kasachischen Tradition fordern. Diese spornt zum Beispiel Frauen an, wie früher einen durch die Eltern ausgewählten Mann zu heiraten, der seine Gattin hoch zu Ross entführt.

In Kasachstan sind es immer die Frauen, die den freiwilligen Schwangerschaftsabbruch verteidigen. Da das Land aber zu wenig Kinder hat, wird vermehrt Druck auf die straffreie Abtreibungspraxis ausgeübt. Die Frauen wissen genau, dass die Ursachen für den Geburtenrückgang die wirtschaftliche Unsicherheit und eine ungewisse Zukunft sind. Es sind Frauen, die lesen und denken können, aber der Druck nimmt zu. Dazu kommt ein neuer Angriff: die Rückkehr zur Bigamie, worauf die Frauen schlagfertig geantwortet haben, dass sie Gegenrecht verlangen: nämlich zwei Männer!

*Odile Gordon Lennox ist Vorstandsmitglied der Frauen für den Frieden Schweiz und Genf. Laurence Deonna ist Journalistin und Vorsitzende der "Reporters sans frontières". Ihr Buch über Kasachstan erscheint im November auf Deutsch.

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