"Die Suche nach der Wahrheit treibt mich"

Von Elisabeth Erlandsson Kaufmann*
Als "Reporterin, Schriftstellerin, Photographin" stellt sie sich auf ihrem Briefpapier vor. Dazu ist sie Friedensfrau, Mitglied der Femmes pour la Paix Genève und Vorsitzende der Reporter ohne Grenzen (ROG).Wenn sie nicht auf Reisen ist - vorwiegend im Nahen und Mittleren Osten - wohnt und arbeitet sie in ihrer Heimatstadt Genf.

Im Treppenhaus, bei ihren grünen Pflanzen, wartet Laurence Deonna schon auf mich, elegant und energiegeladen. Im Mai habe ich diese charismatische Frau das erste Mal getroffen, als sie an der Mitgliederversammlung der Frauen für den Frieden Schweiz einen Vortrag über Kasachstan hielt. Dorthin führte ihre letzte Reise. Mitte November erscheint ihr Buch über Kasachstan(1) auf Deutsch.

"Ich habe Gipfeli für dich gekauft", sagt sie. "Möchtest du einen Kaffee?" Auf dem grossen Holztisch in der Küche steht eine Schale mit Früchten: Papaya, Mango, Äpfel... und Usama bin Laden! Sein Gesicht blickt mir höhnisch lächelnd von einer russischen Holzpuppe entgegen. "Die habe ich in Estland gekauft", erklärt die Reporterin und hebt Usamas Kopf ab. Darunter befinden sich Mullah Omar, dann Saddam Hussein, gefolgt von Ayatollah Khomeini und schliesslich Yassir Arafat. "Bush hätte besser gepasst", findet Laurence Deonna. Sie macht sich grosse Sorgen über die Folgen des 11. September 2001. "Unter dem Vorwand der Terroristenjagd können die Mächtigen jetzt tun, was sie wollen", seufzt sie.

Besonders in den islamischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion ist die Lage der Menschen schwierig. Engagierte BürgerInnen und JournalistInnen werden verfolgt, weil sie etwas geschrieben oder gesagt haben, das den Mächtigen in Politik und Wirtschaft nicht passt. "In Zentralasien haben die "Reporter ohne Grenzen" viel zu tun", sagt sie. "Wir setzen uns nicht nur für verfolgte und inhaftierte Journalisten ein, sondern kümmern uns auch um ihre Familien."

Laurence Deonna hält viele Vorträge über "Reporter ohne Grenzen". Aber sie spricht auch über ihre Reisen, über Frauen in der Welt, über Frauen und Frieden und über die Arbeit der Medien. Sie fotografiert und macht Fotoausstellungen. Und sie schreibt: Kolumnen, Artikel, Vorträge, Bücher. Zehn Bücher sind es in den letzten zweiunddreissig Jahren geworden, die meisten mit Berichten von ihren Reisen im Nahen Osten und in Zentralasien. Ihr 1986 erschienenes Werk "La Guerre à Deux voix. Témoignages de ‹femmes ennemies› arabes et israéliennes" nennt sie ihren ganz persönlichen Klassiker. Für dieses Buch hat sie während vier Jahren arabische und israelische Frauen interviewt. Das Buch ist bisher auf Französisch, Deutsch(2), Englisch, Italienisch, Spanisch und Hebräisch erschienen und hat ihr 1987 den Unesco-Preis für Friedenserziehung eingebracht. In der Laudatio wurde ihr "ein geschärftes Bewusstsein für die Schrecken des Krieges, für Ungerechtigkeit und für Diskriminierung aller Art" zugesprochen.

"Wann ich die Zeit zum Schreiben finde?" lacht die 64-Jährige. "Ich stehe sehr früh auf, oft schon um fünf Uhr. Denn am Morgen arbeite ich am besten. Es ist meine privilegierte Zeit, die einzige Zeit, in der ich wirklich zum Schreiben komme." Sie schreibt bis neun, spätestens zehn Uhr. "Nachher fängt es an mit Faxen, Telefongesprächen, Leuten, die Informationen und Artikel wollen, Sachen, die organisiert werden müssen, ich bereite Photos vor, Kataloge..."

Laurence Deonnas journalistische Laufbahn hat vor 35 Jahren begonnen. "Bevor ich Reporterin wurde, habe ich verschiedene Berufe ausprobiert: Ich habe Theater gespielt, hatte eine Kunstgalerie, arbeitete als Stewardess bei der Swissair und studierte Kunstgeschichte in England."

Zeugin sein als Journalistin

Es war der Sechstagekrieg 1967, der Laurence Deonna dazu bewogen hat Reporterin zu werden. "Im Juni 1967", so erinnert sie sich, "sprach ich mit einem Freund über die Kriegsberichterstattung. Wir meinten beide, dass nur aus israelischer und nicht aus arabischer Sicht berichtet wurde. Dann kam ich auf die Idee, dass ich selber nach Israel fliegen und die arabische Seite befragen könnte. Die PalästinenserInnen empfingen mich mit offenen Armen und zeigten mir Flüchtlingslager mitten in der Wüste, auf die Israel Napalmbomben geworfen hatte. Als ich hier in der fürchterlich heissen Wüste herumfuhr, von einem Lager ins andere, sagte ich mir: Das ist es, womit ich arbeiten möchte. Das ist mein Weg zu Demokratie. Ich werde eine Zeugin sein und die Geschichte der leidenden Völker erzählen. Dann gab ich alle andere Aktivitäten auf und wurde Journalistin."

Durch ihre Arbeit lernte sie ihren Mann kennen: einen ägyptischen Diplomaten. "Mein Mann kannte die Region und half mir viel, unter anderem mit Übersetzungen. So habe ich den Nahen Osten und Zentralasien lieben gelernt", erklärt sie. Jetzt gibt es kein Land mehr in der Region, das Laurence Deonna nicht bereist hat.

*Elisabeth Erlandsson Kaufmann ist Präsidentin der Frauen für den Frieden Schweiz.
1 Kasachstan. Eine Reise durch das postkommunistische Zentralasien. Quintessenz Verlags-GmbH, Berlin.

2 Deutscher Titel: An alle Frauen aus allen Kriegen - Arabische und israelische Frauen berichten.


Inhaltsübersicht nächster Artikel