Nein zur SVP-Initiative gegen Flüchtlinge

Stellen Sie sich vor: Eine Friedensaktivistin, mit der Sie lange zusammen gearbeitet haben, befindet sich in grosser Gefahr. Durch ihr mutiges öffentliches Auftreten gegen Menschenrechtsverletzungen und gegen Waffengewalt ist sie in ihrer Heimat in Ungnade der despotischen Regierung gefallen. Gewährt ihr die Schweiz Asyl, wenn sie hierher fliehen kann?

Von Anni Lanz*

Wenn die SVP-Asylinitiative "gegen Asylmissbrauch" am 24. November angenommen wird, ist ihr der Zugang zum Asyl versperrt. Denn "ist der Asylsuchende aus einem sicheren Drittstaat in die Schweiz eingereist, wird auf ein Asylgesuch nicht eingetreten, wenn der Asylsuchende dort ein Asylgesuch gestellt hat oder hätte stellen können" (Initiativtext). Fast alle Flüchtlinge reisen gezwungenermassen über andere Länder in die Schweiz ein. Ungeachtet ihrer Fluchtgründe wird der Friedensaktivistin ein Asylverfahren in der Schweiz verweigert, wenn die SVP-Asylinitiative angenommen wird.

Drittstaatenregelungen

Auch die Bundesbehörden haben eine ähnliche Drittstaatenregelung vorgeschlagen. Sie unterscheidet sich abgesehen von ein paar Ausnahmeklauseln von der neuen SVP-Asylinitiative nur dadurch, dass sie eine Rückübernahmebereitschaft von Drittstaaten voraussetzt. Den Entwurf für die Teilrevision des Asylgesetzes hat der Bundesrat am 4. September 2002 der Öffentlichkeit vorgestellt. Unter sicheren Drittstaaten versteht er noch zu bestimmende Länder, welche die Flüchtlingskonvention mit dem Refoulement-Verbot1 ratifiziert haben. Bisher haben dies rund 140 Länder getan.

Die bedrohte Friedensaktivistin könnte auch heute schon in einen Nachbarstaat zurückgeschickt werden, wenn sie für die Durchreise mehr als 20 Tage gebraucht hat. Eine solche Drittstaatenregelung praktiziert die Schweiz seit vielen Jahren. Im letzten Jahr wurde sie gemäss BFF-Statistik bei 463 Asylsuchenden angewendet. In der laufenden Asylgesetzrevision soll die Frist für die Durchreise gestrichen werden, was die Zahl der abgeschobenen Asylsuchenden ohne Asylverfahren massiv erhöhen wird.

Scheinlösungen, um Menschen loszuwerden

Asylsuchende in den Herkunftsstaat auszuschaffen, ohne ihre Fluchtgründe zu überprüfen, ist asylrechtlich verboten. Um dieses Verbot zu umgehen, schieben europäische Zufluchtsländer die GesuchstellerInnen immer häufiger in "dritte" Staaten ab. Drittenstaatenregelungen lagern die Zuständigkeit für Asylverfahren in andere Länder aus. Doch an diesem "Export" von zufluchtsuchenden Menschen ist kein Land interessiert, geht es doch nicht bloss um die Durchführung von Asylverfahren, sondern auch um die Heimschaffung der abgewiesenen Flüchtlinge. Aber auch die Herkunftsstaaten wollen ihre Staatsangehörigen exportieren und nicht zurücknehmen, denn diese erweisen sich im Ausland als Devisenquellen, im Inland hingegen meistens als innenpolitische und soziale Belastung.

Drittstaatenregelungen sind Scheinlösungen, um sich der Menschen zu entledigen, für die kein Staat mehr zuständig ist. Dabei werden Zwangsmittel und Schikanen angewendet, wie wenn es sich um Kriminelle handelte. Besonders schlimm ist dies für traumatisierte Menschen.

Die SVP will nun die rücksichtsloseste Drittstaatenregelung in Europa einführen. Aber auch die verschärfte Drittstaatenregel, die der Bundesrat vorschlägt, wird den Widerstand der anderen europäischen Länder hervorrufen. Bis anhin ist die systematische Umsetzung der Drittstaatenregelung in Europa daran gescheitert, dass die Rücknahmeverfahren weit aufwändiger als die Asylverfahren sind. Nationalistische Politiker in Europa, aber auch unsere Landesregierung, arbeiten mit verschiedenen Mitteln darauf hin, die Herkunftsstaaten und mittellosen Nachbarländer zur Übernahme der in Europa unerwünschten Menschen zu gewinnen.

Kampagne gegen die Anti-Asylinitiative

"Da bleibt nur eins: Sag nein!", schrieben die Asylkoordination Schweiz und BODS (Bewegung für eine offene, demokratische und solidarische Schweiz) vor rund sechs Jahren in der Abstimmungskampagne gegen die damalige SVP-Asylinitiative. Nicht viel anders als bei der bevorstehenden Abstimmung ging es schon damals darum, asylsuchende Flüchtlinge generell vom Asylverfahren auszuschliessen. Am 1. Dezember 1996 wurde jene SVP-Asylinitiative nur knapp verworfen. "Zu viele AsylantInnen" war damals das Argument der Ja-SagerInnen, so die Vox-Analyse. In der bevorstehenden Abstimmung vom 24. November 2002 sollen aber nicht wie 1996 die illegal eingereisten Flüchtlinge, sondern die über Drittländer eingereisten Asylsuchenden aus dem Asylverfahren ausgeschlossen werden. Deshalb könnte die SVP siegen, wenn sich nicht breiter Widerstand regt.

Mit einem Nein zur Volksinitiative "gegen Asylmissbrauch" muss nicht nur die rücksichtsloseste Drittstaatenregelung Europas verworfen werden. Auch die GesetzgeberInnen müssen aufgefordert werden, das Asylgesetz offener und menschlicher zu gestalten. Denken Sie an die unzähligen Menschen, die sich weltweit unter schwierigsten Umständen für Friede und Menschenrechte einsetzen. Einige von ihnen sind vielleicht auf eine respektvolle Aufnahme in unserem Land angewiesen.

1 Das Refoulement-Verbot untersagt den Vertragsstaaten, einen Menschen in ein Land zurückzuweisen, in welchem er unmenschlicher Strafe oder Behandlung unterworfen oder sein Leben oder seine Freiheit bedroht ist. Das Refoulement-Verbot ist in verschiedenen UNO-Menschenrechtskonventionen sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthalten.

*Anni Lanz ist Mitarbeiterin von "Solidarité sans frontières". Für die Abstimmungskampagne hat sie Informationsmaterial zusammengestellt, das von menschenrechtlich engagierten AktivistInnen verbreitet werden soll. Flugblätter können bei Solidarité sans frontières bestellt (Tel. 031 311 07 70, E-Mail sekretariat@sosf.ch ) oder auf der Homepage (www.sosf.ch ) abgerufen werden.


Zukunft "Ausländer"

Marc Spescha entwickelt anhand von Daten und Fakten zur Bevölkerungsentwicklung und vor dem Hintergrund der rigiden Praxis der "Überfremdungs"-Abwehr Postulate für eine aufgeklärte Migrationspolitik. Ziel ist eine Solidargemeinschaft, in der "Ausländer" als heimisch gewordene ImmigrantInnen oder als Einheimische ohne Schweizer Pass anerkannt werden. Dem Abkommen mit der EU über die Personenfreizügigkeit stellt Marc Spescha den Entwurf des Bundesrates gegenüber und beurteilt beide aus der Sicht seiner Postulate. Dabei zeigt sich, dass Personen aus Nicht-EU-Staaten zu Menschen zweiter Klasse gestempelt werden: die Sans-Papiers der nächsten Generation.

Marc Spescha: Zukunft "Ausländer". Plädoyer für eine weitsichtige Migrationspolitik. Verlag Paul Haupt, 2002, 160 Seiten, Fr. 32.–


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