Terrorismus bekämpfen ohne Gewalt?

Was Friedensforschung, zivile Friedensförderung und Entwicklungspolitik zur Terrorismusbekämpfung beitragen können und warum nach dem 11. September 2001 alte globale Wertediskussionen wieder auftauchen sollten.

Von Thania Paffenholz*
So wie in den Neunzigerjahren keine längere Publikation zum Thema Frieden ohne den Satz "Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts ist alles anders" begonnen hat, scheint die neue Eröffnungsformel zu sein: "Seit dem 11.September ist alles anders." Es ist offensichtlich zu einer Verlagerung der Prämissen gekommen: Während wir in den Neunzigerjahren vom Ende der Konfrontation der Systeme geredet haben, wird seit dem 11.September 2001 das verbleibende System herausgefordert, nämlich vom organisierten Terrorismus - einem Gegner, der nicht so einfach dingfest zu machen ist und überall zu jeder Zeit auftauchen kann.

Dieser 11. September hat in der Tat einiges verändert. Er hat nicht nur neue, allgegenwärtige Bedrohungsformen aufgezeigt, sondern hat auch der militärischen Konfliktregelung neue Impulse gegeben.

Neuer Aufschwung für Militärs und Geheimdienste

Bis zum 11. September 2001 war die militärische Konfliktregelung nach einigen gescheiterten UN-Missionen wie in Somalia oder Angola als Mittel des Konfliktmanagements immer mehr in den Hintergrund gedrängt worden und hatte neue Aufgaben in der Friedenskonsolidierung nach Abschluss eines Friedensabkommen erhalten. Statt dessen waren zivile Mittel der Konfliktregelung immer stärker etabliert worden. Zivile Konfliktprävention und Friedensförderung gehören seit einigen Jahren zu den politischen Zielen fast aller grossen internationalen Organisationen und Staaten und sind fester Bestandteil der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) geworden. Während sich früher nur eine kleine Zahl von friedenspolitischen- und kirchlichen Organisationen mit dem Thema befassten, sind heute in der Umsetzung neben staatlichen und multilateralen Akteuren eine Vielzahl von Nicht-Regierungsorganisationen beteiligt.

Der 11. September hat nun wieder alten sicherheitspolitischen Akteuren wie Militärs und Geheimdiensten neuen Aufschwung gegeben. Scheint der Terrorismus doch in erster Linie ein Sicherheitsproblem zu sein, dessen Bekämpfung am einfachsten mit den bekannten Methoden zu bewerkstelligen ist, sei es mit Polizei, Militär oder Geheimdienst.

Beiträge der Friedensforschung

Im Lichte der Stärkung der sicherheitspolitischen Akteure seit dem 11. September stellt sich die Frage, welchen Beitrag zivile Akteure und Instrumente zur Terrorismusbekämpfung leisten können.

Wenn wir von zivilen Mitteln der Terrorismusbekämpfung reden, sehe ich in erster Linie nützliche Beiträge der Friedens- und Konfliktforschung, der zivilen Friedensförderung sowie der Entwicklungszusammenarbeit. Was können sie im Kampf gegen den Terrorismus erreichen?

Zunächst müssen wir zwischen kurz- und langfristigen sowie direkten und indirekten Beiträgen unterscheiden. Klargestellt muss sein: Forschung, Friedensförderung und Entwicklungszusammenarbeit können in der Regel - mit geringen Ausnahmen - wenig zur kurzfristigen, direkten Terrorismusbekämpfung beitragen. Ihre Stärken liegen mehr in Beiträgen zur Bekämpfung der Ursachen von Gewalt und Terrorismus. Auch ist zu differenzieren zwischen dem neuen Al-Kaida Typus des Terrorismus und anderen Formen des Terrorismus. Gegen den Al-Kaida Typus kann mit ziviler Friedensförderung und Entwicklungszusammenarbeit weniger ausgerichtet werden, als gegen andere Formen des Terrorismus.

Hier kann die Forschung klärende Beiträge leisten: Seit dem 11. September sind fast alle oppositionellen Gruppierungen zu TerroristInnen erklärt worden. Wo vorher die Notwendigkeit zu einem Dialog vorhanden war, sind nun Tor und Tür für willkürliche militärische Gewaltaktionen gegen Oppositionsgruppen unter dem Mantel der Terrorbekämpfung geöffnet. Hier ist es dringend nötig Begrifflichkeiten zu klären, solide Studien zur Analyse und Beurteilung der jeweiligen Situation durchzuführen und Gewaltursachenforschung zu betreiben.

Entwicklungszusammenarbeit: Armut bekämpfen plus Friedensförderung integrieren

Auch die Entwicklungszusammenarbeit kann Beiträge vor allem zur langfristigen Terrorismusbekämpfung leisten. Es geht dabei vor allem darum, Armutsbekämpfung mit Massnahmen zur Integration der friedenspolitischen Dimension auf konzeptioneller und operationeller Ebene zu kombinieren. Der 11. September zeigt, dass Konfliktprävention und Friedensförderung nicht nur vorübergehende Modethemen der Entwicklungszusammenarbeit sein dürfen. Es ist vielmehr geboten, sie in deren Strukturen und Instrumente zu integrieren. Konkret schliesst dies den Einbezug von politischer Frühwarnung genauso mit ein, wie von soliden Analysen zu Konfliktursachen und Konflikt- und Friedenspotenzialen beteiligter Gruppen. Ferner ist auch wichtig, dass diese Analysen in das Planungs-, Monitoring- und Evaluierungsinstrumentarium der Entwicklungszusammenarbeit integriert werden. Damit stellen sich nicht nur konzeptionelle, sondern auch personelle Herausforderungen an die traditionelle Entwicklungszusammenarbeit. Ausbildung wird dabei prioritär.

Möglichkeiten und Grenzen der zivilen Friedensförderung

Auch Mittel der zivilen Friedensförderung reihen sich im wesentlichen in die Bekämpfung der Ursachen von Terrorismus und Gewalt ein: Mit Massnahmen wie der Friedenserziehung kann an der Veränderung von Feindbildern gearbeitet werden. Auch gezielte Medienarbeit ist wichtig. Lokale Friedenskräfte können gestärkt werden, die sich für gewaltarme Regelungen von Konflikten in ihren Gesellschaften einsetzen. Kurz- bis mittelfristig kann der Dialog zwischen verfeindeten Gruppen mit Mitteln der zivilen Friedensförderung in Gang gebracht und damit die Voraussetzung für friedliche Konfliktregelungen geschaffen werden.

Negative Folgen der Globalisierung angehen: Für eine neue, alte Wertediskussion

Fazit ist: Sowohl zivile Mittel wie Friedensförderung und Entwicklungszusammenarbeit als auch militärische Mittel werden nicht ausreichen, die Wurzeln des Terrorismus inklusive des neuen Al Kaida Typus wirkungsvoll zu bekämpfen: Es ist vielmehr notwendig, auf der politischen und ökonomischen Ebene erneut auf grundlegende Fragen zurückzukommen und in eine neue, alte Wertediskussionen einzutreten. Unter dem Stichwort "negative Folgen der Globalisierung" lässt sich auch die Terrorismusdebatte einordnen. Alte Fragen und Diskurse müssen neu gestellt werden: Wie sieht eine gerechte Weltwirtschaftsordnung aus? Wie ist die Balance zwischen Wachstum und Verteilung auf globaler wie auf nationaler Ebene? Wie sind die Strukturen des Welthandels und der Weltpolitik beschaffen?

Das sind nur einige Ausgangsfragen, denen wir uns stellen müssen, wollen wir Schritte zur globalen Ursachenbekämpfung des Terrorismus unternehmen.

Zu lange haben wir die Entwicklungs- und die Friedenspolitik immer mehr professionalisiert, dabei aber stillschweigend akzeptiert, dass die übergeordneten Strukturen der Weltwirtschaft und des politischen Systems so sind, wie sie sind. Wir haben die EZA und die Friedensaktivitäten nur innerhalb dieses Rahmens effizienter ausgestaltet, aber die grundlegenden Bedingungen nicht angetastet. Der 11. September sollte uns Anlass geben, diese Rahmenbedingungen erneut zu überprüfen und in Frage zu stellen - wenn wir es ernst meinen mit der Bekämpfung der Ursachen von Armut, gewaltsamen Konflikten und Terrorismus.

* Dr.Thania Paffenholz ist Politologin und Projektleiterin bei swisspeace - Schweizerische Friedensstiftung in Bern.
 


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