Ein Buch für alle: Antonio Negris und Michael Hardts Empire als Apologie des Bestehenden
Von Simone Wassmer
"Es gibt eine alte Legende, welche die Zukunft kommunistischer Militanz vielleicht verdeutlichen kann: nämlich diejenige des Hl. Franz von Assisi. Man denke an sein Wirken. Um gegen die Armut der Menge zu protestieren, übernahm er deren Lebensumstände und lebte wie die Menge in Armut; und darin entdeckte er die ontologische Macht einer neuen Gesellschaft." Diese Zeilen sind weder ein Zitat aus einer religiös-esoterischen Schrift, die uns pseudo-politisch verpackt das "back to the roots" verkaufen will, noch der Versuch, mit Hilfe des Existentialisten Martin Heidegger eine Vision für die Zukunft zu malen.
Es ist vielmehr ein Zitat aus der Schlusspassage des vielgepriesenen und oft besprochenen Buches "Empire. Die neue Weltordnung" von Antonio Negri und Michael Hardt, das an manchen Stellen eher ein tröstliches Heilsversprechen denn eine Analyse der gegenwärtigen kapitalistischen Weltordnung ist. Bietet der geschichtsphilosophische Abriss über die Entwicklung des Kapitalismus und damit verbunden der politischen Systeme durchaus noch neue und ungewohnte Ansätze, werden die Autoren bei der Beschreibung der Perspektiven auf eine revolutionäre Umgestaltung der gegenwärtigen Verhältnisse diffus und schwärmerisch und verstecken ihre Hilflosigkeit hinter einem inhaltsleeren Pathos. Dass insbesondere auch "bürgerlich" orientierte Leitblätter das Buch mit wohlwollenden Rezensionen bedacht haben - mit Ausnahme der NZZ - ist auf deren richtige Einschätzung des fehlenden Potentials effizienter Widerstandsstrategien gegen die "neue Weltordnung" zurückzuführen.
Empire als Ende imperialistischer Herrschaft
Durch das Buch zieht sich wie ein roter Faden der Begriff des "Empire". Im ersten Teil skizzieren Negri und Hardt die neuen Herrschaftsformen. Die Neue Weltordnung definiert sich laut ihrer Theorie nicht mehr über Nationalstaaten, sondern ist eine Art Weiterentwicklung der Vereinten Nationen mit einem Apparat von nationalen und supranationalen Institutionen ohne festes Zentrum. Die grundlegende These der Autoren ist, dass Empire eine neue globale Form der Souveränität darstellt, die weder ein Machtzentrum kennt - auch wenn die USA zur Zeit eine bestimmende Rolle spielt - noch auf bestimmte Grenzen und Schranken festgelegt ist. Das Empire hat kein Aussen mehr, die Souveränität der Nationalstaaten ist eingeschränkt. Es gibt keine Dreiteilung der Welt mehr, alle Welten gehen ineinander über. Parallel dazu findet eine Verschiebung statt von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft. Mit Hilfe von Foucault erklären die Autoren, dass die Macht in der Kontrollgesellschaft den Menschen nicht mehr von aussen in Form von Institutionen wie Gefängnis, Polizei, Schule, etc. entgegentritt, sondern von den Subjekten internalisiert wird: "Biomacht ist eine Macht, die das soziale Leben von dessen Innerem aus reguliert."
Nicht rückwärtsgewandt
Was man den beiden Autoren zugute halten muss: Sie wollen nicht in eine vermeintlich bessere Welt zurück. Negri und Hardt weisen jede Nostalgie gegenüber den Machtstrukturen zurück, die dem Empire vorausgingen. Sie üben Kritik an denjenigen politischen Strategien, die versuchen, zum Schutz gegen das globalisierte Kapital den Nationalstaat erneut zu stärken. "Die linke Strategie, gegen die Globalisierung Widerstand zu leisten und das Lokale zu verteidigen, ist gleichzeitig schädlich. Denn in vielen Fällen ist das, was als lokale Identität auftreten mag, weder selbstgewählt noch selbstbestimmt, sondern fördert und stützt die imperiale kapitalistische Maschine." Sehr richtig kritisieren Negri und Hardt den rigiden Moralismus, der - ständig auf der Suche nach dem absolut guten und widerspruchsfreien Standpunkt - einen Grossteil der Antiglobalisierungsbewegung erfasst hat: "Wir sollten ein für allemal mit der Suche nach einem Aussen aufhören, nach einem Standpunkt, der das Bild der Reinheit für uns heraufbeschwört."
Auf den zweiten Teil des Buches, der die Entwicklung staatlicher Strukturen von der frühen Moderne bis zur Gegenwart behandelt, möchte ich hier nicht näher eingehen, da die Autoren im dritten Teil denselben Übergang vom Standpunkt der Produktion aus schildern. Sie sehen im Umstand, dass die "immaterielle Arbeit", die Informatisierung, zunehmend die industrielle Produktion dominiert, das Potenzial für effizienten Widerstand.
Immaterielle Arbeit: Ein irreführender Begriff
Die Autoren beschreiben die Veränderungen der Produktionsweise als Antwort auf die Kämpfe der ArbeiterInnenbewegung. Sie sehen im Proletariat eine Macht, die dem Kapital Schranken setzt und die es zwingt, bestimmte Formen der Produktion zu übernehmen. An dieser Stelle tritt eine Problematik der Analyse zu Tage, die das ganze Buch durchzieht: Eine vollkommen hypostatische und undialektische Sichtweise von Kämpfen und Entwicklungen. Es ist sicher richtig, Veränderungen der Produktionsformen nicht einfach den Bedürfnissen des Kapitals zuzuschreiben und die ArbeiterInnen zum Spielball davon zu machen. Ihre Kämpfe aber als alleinige Ursache von Übergängen zu anderen Produktionsformen zu sehen, verkennt die für den Kapitalismus unverzichtbare dauernde Steigerung der Warenproduktion, einem Motor der Produktivkraftentwicklung.
Unverständlich ist der Optimismus und der Verzicht auf jede Empirie, wenn Negri und Hardt die Veränderungen der Arbeitsformen beurteilen. Sie sehen in der Ablösung der traditionellen industriellen Fabrikarbeit durch computerisierte Arbeitsplätze eine grosse Chance: Einerseits sei diese immaterielle Arbeit kommunikativ, kooperativ und affektiv, andererseits würden nebst Waren und Dienstleistungen auch soziale Beziehungen zwischen den Menschen konstruiert, weil die immaterielle Arbeit Wissen um Kommunikationsformen beinhalte. Locker übersehen die Autoren dabei die extreme Vereinzelung und die prekären Arbeitsverhältnisse, die gerade innerhalb der Computerbranche herrschen. Zudem ist die Kommunikation, auf die die Autoren hier bauen, vollkommen standardisiert und kaum geeignet zur Verbesserung des sozialen Umgangs. Dass ein Mehr an Informationen auch gleichzeitig einen Zuwachs an Verständnis für Zusammenhänge impliziert, ist ein weiteres Paradigma der Informationsgesellschaft, das wert ist, hinterfragt zu werden. Die Durchmischung von Information und Unterhaltung und die nicht zu bewältigende Masse an Daten führt kaum zu der von Negri/Hardt proklamierten "Massenintellektualität", sondern im Gegenteil wohl eher zu einer Massengesellschaft, in der die Mehrzahl der Teilnehmenden sich der letzten Fähigkeiten zu analytischem Denken und dialektischem Verstehen berauben. Irreführend ist auch der Begriff "immaterielle Arbeit" selbst: Arbeit am Computer ist genauso warenproduzierende Arbeit wie Arbeit am Förderband auch.
Verschärfend kommt zur oben beschriebenen Problematik dazu, dass Negri und Hardt mit ihrem Begriff der "immateriellen Arbeit" euphorisch in die Propagierung von flexibilisierten Arbeitsverhältnissen abdriften. Die immaterielle Arbeit ist grenzenlos, Produktion und Reproduktion, Arbeitszeit und Freizeit fliessen ineinander über. "Auf dem Feld biopolitischer Produktion gibt es keine Stechuhren; das Proletariat produziert in seiner Gesamtheit überall den ganzen Tag lang." Die Autoren singen an dieser Stelle ihr Loblied auf flexibilisierte Arbeitsverhältnisse, ungeachtet dessen, dass Flexibilisierung nicht die Zeitsouveränität der Beschäftigten bedeutet, sondern deren Anpassung an die Bedürfnisse der Betriebe und damit auch in krassem Widerspruch steht zu den unmittelbaren Interessen der Betroffenen selbst.
Mythos statt Revolution
Die Lektüre des Buches von Negri und Hardt stellt alle zufrieden. Auf Grund der Vagheit der Perspektive auf eine revolutionäre Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse, finden Apologeten eines Kapitalismus, dem keine Schranken gesetzt werden, bei Negri und Hardt die Bestätigung, dass Flexibilisierung und Globalisierung nur zum Wohle der Beschäftigten sind und sich schlussendlich beinahe natürlich ein Zustand einstellt, der allen zum Glück verhilft.
GlobalisierungsgegnerInnen wissen inskünftig, dass der Wille dagegen zu sein, auch weiterhin vollkommen ausreicht. Sie sind damit Teil der Menge, die mit "absolut positiver Kraft" ein "Gegen-Empire aufbauen und den weltweiten Strömen und Austauschverhältnissen eine andere politische Gestalt geben".
Mit schier unglaublichem Pathos verheissen die Autoren am Schluss des Buches im Stile einer mystisch-religiösen Verheissung mit Versatzstücken aus der christlichen Glaube-Liebe-Hoffnungs-Lehre eine Revolution, die jeder Analyse spottet: "Diese Revolution wird keine Macht kontrollieren können - weil Biomacht und Kommunismus, Kooperation und Revolution in Liebe, Einfachheit und auch in Unschuld vereint bleiben. Darin zeigen sich die nicht zu unterdrückende Leichtigkeit und das Glück, Kommunist zu sein."
Michael Hardt, Antonio Negri: "Empire: Die neue Weltordnung", Campus Verlag Frankfurt/Main 2002, 461S., Fr. 61.-