Friedensprozess in kleinen Schritten - Grundsätze externer Intervention

Friedensfördernde Aktionen, ob von Staaten oder NGOs getragen, bedürfen einer genauen Analyse der Lage im Konfliktgebiet: was sind Ursachen, was Auslöser eines Konflikts? Der folgende Text ist eine stark gekürzte Fassung des Referats von Peter Maurer, das er anlässlich der KOFF-Jahreskonferenz hielt. Titel und kleine Änderungen wurden von der Redaktion vorgenommen.

Von Peter Maurer*
(...) Die Globalisierung von immer mehr Lebens- und Politikbereichen hat in den letzten Jahrzehnten auch die Friedensarbeit erfasst. Die Produktionsstandorte und Akteure für den Frieden multiplizieren sich. Zahlreiche Politikbereiche geben sich mehr oder weniger ausgeprägte friedenspolitische Dimensionen und konzipieren damit ihre Arbeit grenzüberschreitend, global und im Sinne der Friedensförderung. (...) Das Fernsehen zeigt uns zwar noch immer mit Vorliebe möglichst grausame Kriegsfolgen, erschütternde Beerdigungsszenen sowie ankommende und abfahrende Limousinen, aus denen sorgenvolle aber entschlossene Minister entsteigen, die im Dienst des Friedens unterwegs sind. Dass dies nur die eine Seite der Medaille ist und dass es eine Realität daneben gibt, wissen wir wegen des breiten Engagements von Kirchen, Gewerkschaften, NGOs, Einzelpersonen, aber natürlich auch von Staaten. (...) Wir alle kämpfen mit dem in den letzten Jahrzehnten so augenfällig gewordenen Strukturwandel der Gewaltkonflikte; weg von mehrheitlich zwischenstaatlichen zu innerstaatlichen, kriegerischen Auseinandersetzungen, von staatlichen zu immer mehr nichtstaatlichen Akteuren, mit fliessenden Übergängen zwischen Gewaltverbrechen und Krieg. Die Terrorisierung der Zivilbevölkerung ist dabei nicht einfach eine bedauerliche Nebenerscheinung, sondern zunehmend Ziel und Programm vieler Kriegsparteien. (...)

Sich selbst befreien vom Krieg

Welches sind die Grundsätze und Aktionslinien externer, staatlicher Interventionen in Friedensprozessen? Zuoberst steht das Postulat der kohärenten und umfassenden Politik, welche verschiedene Ansätze miteinander verbinden soll. Koordination und Kohärenz sollen nicht etwa nur zwischen Politikbereichen, sondern auch zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren und der globalen, regionalen und nationalen Ebene erfolgen. (...) Als wichtiges Prinzip muss die Maxime der Bescheidenheit genannt werden oder die Einsicht, dass Unterstützung von aussen nur subsidiär zu internen Anstrengungen erfolgen kann und dass etwa politischer Wille überhaupt nicht ersetzbar ist. Die Devise lautet: Befreiung vom Krieg durch die Kriegsbetroffenen selbst. Frieden nur mit und durch die am Frieden Interessierten selbst. Frieden von innen und unten und nicht von oben und aussen. Am Bescheidenheitsprinzip orientiert sich auch die Vorstellung, dass externe Intervention primär Räume schaffen und Dialogplattformen für lokale Akteure bereitstellen sollten. (...)

Mit den Fehlern und Widersprüchen externer Friedensförderung konfrontiert, hat sich sodann der Grundsatz des "do no harm" (1) fest etabliert. Dieser reflektiert die Erkenntnis, dass Gutes Tun nicht notwendigerweise dazu führt, dass man nicht auch Schädliches tut. Im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe entwickelt, wird "do no harm" ein leitendes Prinzip gerade auch für diplomatisch-politische Tätigkeiten. Weitere Grundsätze betreffen die Zeitdimension. Wir stellen heute eine klare Absage an punktuelle und kurzfristige Aktivitäten und eine Ausrichtung auf mittel- und längerfristige fest. In diesem Zusammenhang rückt die Zeit vor der Kriegs- und Nachkriegszeit, das heisst die Prävention und die Bekämpfung der Konfliktursachen verstärkt ins Zentrum. Ob wir vom Vor-Krieg, vom Krieg oder von der Nachkriegszeit her denken, beeinflusst grundlegend den Politikansatz externer Akteure und die Auswahl der Instrumente, die zum Einsatz kommen.

Anspruch auf soziale, politische und ökonomische Rechte

Der Grundsatz des "rights based approach" (2) wird zwar noch nicht überall, aber doch immer häufiger als massgebliche Maxime der Friedensarbeit anerkannt. Verletzungen von Rechten sind Indikatoren für sich anbahnende Konflikte und nachhaltiger Friede ist nur durch Beachtung der Menschenrechte möglich. Das Einhalten des humanitären Völkerrechtes während eines Konfliktes ist zudem ein wichtiges Element, um Wege aus dem Konflikt zu finden. Als Vertragsparteien der einschlägigen Konventionen spielen externe staatliche Akteure dabei eine wichtige Rolle. Das Engagement für Menschenrechte und damit Friedensarbeit ist Rechtspflicht und nicht bloss Verhaltensmaxime. Schliesslich zeichnet sich ab, dass sorgfältige Analysearbeit notwendig und Konfektion nicht möglich ist. Jede Situation ist spezifisch und erfordert sorgfältige Analysen und die Festlegung komplexer Strategien. (...) Wir versuchen heute Indikatoren zu messen, Ursachen und Auslöser von Konflikten zu unterscheiden und Rahmenbedingungen und Instrumente von Friedensprozessen zu ergründen. Wissenschaftliche Methoden und Lernprozesse beeinflussen den politischen Diskurs. Am Ende allerdings ist Friedensförderung immer risikoreich und durch Wissenschaft nicht restlos klärbar. Sie braucht Personen und Organisationen, die Wissen in politischen Verstand umsetzen und Unparteilichkeit mit Engagement, Distanz mit Empathie verbinden. (...) 

Friedensförderung gehört auf die politische Agenda

Als Historiker von Haus aus bin ich gewohnt, quellenkritisch zu arbeiten, und so liegt mir die Vermutung nahe, dass all diese Grundsätze eine kompliziertere Realität verdecken. Fest steht, dass externe Akteure oft unkoordiniert vorgehen, dass die friedenspolitische Dimension der Entwicklungs- oder der Wirtschaftspolitik kaum mitbedacht wird und dass lokale Akteure durch internationale manchmal erdrückt statt gefördert werden. Häufig erzeugen wohlgemeinte Aktivitäten externer Akteure mehr Schaden als Nutzen in Bezug auf die lokale Kapazitätsförderung. Gehandelt wird auch heute eher in kurzfristiger und nicht in problemadäquater Perspektive und Menschenrechtsverletzungen finden weiterhin in breitem Stile statt. Und trotzdem: Es gibt heute eine wachsende Anzahl von Ländern, Institutionen und Personen, die sich um eine angepasstere und nachhaltigere Friedensförderung bemühen. Die Schweiz gehört ohne Zweifel zur Gruppe jener Länder, die hier einen Leistungsausweis vorzulegen kann. (...) Die jüngsten Entwicklungen in der internationalen Politik illustrieren deutlich: Als Friedensanwälte dürfen wir uns nicht nur damit beschäftigen die "richtige Friedenspolitik" zu diskutieren und zu führen. Wir müssen uns innenpolitisch und in unseren Aussenpolitiken dafür engagieren, dass die zivile Friedensförderung und Menschenrechtspolitik auf der politischen Agenda bleiben und auch künftig den ihnen gebührenden Platz einnehmen.

*Peter Maurer (1956) hat Geschichte, Politische Wissenschaft und internationales öffentliches Recht an den Universitäten Bern und Perugia studiert und seine Doktorarbeit in zeitgenössischer Geschichte abgeschlossen. Seit 1987 ist er im diplomatischen Dienst des EDA tätig. Seit Mai 2000 ist er Leiter der Politischen Abteilung IV (Menschliche Sicherheit: Frieden, Menschenrechte, Humanitäre Politik).
www.eda.admin.ch/eda/g/home.html

 

(1) Der Begriff "Do no harm" resultiert aus der Debatte um die ungewollten konfliktverschärfenden Auswirkungen von Nothilfe- und Entwicklungsprojekten. Um lokale Konflikte nicht zusätzlich anzuheizen, müssen sich Projekte auf eine sorgfältige Konfliktanalyse und Auswahl der PartnerInnen sowie der Begünstigten stützen. Siehe dazu Mary B. Anderson (1999): Do No Harm: How Aid Can Support Peace - or War, Boulder: Lynne Rienner Publishers.

(2) Gemeint sind Politiken und Projekte, die dem unveräusserlichen Anspruch der Bevölkerung auf ihre sozialen, politischen und ökonomischen Rechte durch einen auf Rechtsansprüchen gegründeten Interventionsansatz Rechnung tragen.


Aufgaben der Politischen Abteilung IV

Die Politische Abteilung IV (PA IV) ist innerhalb des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) für Fragen der "Menschlichen Sicherheit" zuständig. Diese beinhaltet Politiken in den Bereichen Frieden, Menschenrechte und humanitäre Politik. Auf der operationellen Ebene führt die PA IV Programme und Projekte der zivilen Friedensförderung in ausgewählten Ländern und Regionen durch, entsendet zivile Fachleute im Rahmen des Schweizerischen Expertenpools und engagiert sich für die Vermittlung zwischen Kriegsparteien durch einen Botschafter für Konfliktbearbeitung. (TH)

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Aufgaben des KOFF

Das Kompetenzzentrum Friedensförderung (KOFF) ist ein vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und von zahlreichen Nicht-Regierungsorganisationen getragenes Projekt. Es unterstützt die Friedensaktivitäten von Schweizer Behörden, Hilfswerken und anderen nichtstaatlichen Organisationen und fördert deren Zusammenarbeit auf konzeptioneller und operationeller Ebene. KOFF wurde im März 2001 gegründet und ist bei swisspeace/Schweizerische Friedensstiftung in Bern angesiedelt. Oberstes Ziel von KOFF ist es, einen Beitrag zu einer aktiven und kohärenten Friedenspolitik der Schweiz zu leisten. (TH)

www.swisspeace.ch


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