Sumaja Farhat-Naser: "Wir leben in einer Zeit des Wahnsinns."

Von Christa Zopfi
"Allein schaffen wir es nicht", sagt die Palästinenserin Sumaya Farhat-Naser in der vollbesetzten Helferei in Zürich. Auf ihrer Vortragsreise durch Deutschland und die Schweiz las sie im April aus ihrem neusten Buch "Verwurzelt im Land der Olivenbäume. Eine Palästinenserin im Streit für den Frieden". Es ist in einer Zeit eskalierender Gewalt und wachsender Perspektivlosigkeit entstanden. Nach der Lesung nimmt Sumaya Farhat Stellung zu Fragen aus dem Publikum. Ihre Aussagen sind klar und politisch engagiert für die Sache ihres Volkes. Die Lage in Palästina und Israel hat sich so zugespitzt, dass es keine Lösung ohne internationale Unterstützung gebe. "Wir leben in einer Zeit des Wahnsinns. Es ist nur möglich, dass jemand von aussen den Kreislauf der Gewalt stoppen kann. Europa hat all die Jahre geschwiegen und nicht dafür gesorgt, dass die Friedensverträge umgesetzt wurden. Europa ist mitschuldig an der Misere, in der wir PalästinenserInnen leben", hält sie fest. Von der Schweiz erwartet sie, dass die Regierung Verantwortung übernehme und sich nicht hinter der Geschichte und den eigenen Interessen verstecke.

In ihrem Buch erzählt Sumaya Farhat-Naser über ihre Erfahrungen während der israelischen Besatzung, die sie als Terror bezeichnet, sie berichtet über die schwierige Friedensarbeit der palästinensischen und israelischen Frauen, über den Widerspruch von Mythen und Realitäten und über das Ringen um politische Strukturen in Palästina. Damit zeichnet sie ein ergreifendes Bild vom Alltag in ihrem besetzten Land und von ihrem unermüdlichen Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit.


Eine Palästinenserin im Streit für den Frieden

Sumaya Farhat-Naser ist 1948 in Birseit bei Jerusalem geboren, hat die Schule in einem deutschen Internat bei Bethlehem besucht und in Hamburg Biologie, Geographie und Erziehungswissenschaft studiert. Von 1982 bis 1997 war sie Dozentin für Botanik und Ökologie an der palästinensischen Universität Birseit, von 1997 bis 2001 Leiterin des palästinensischen "Jerusalem Center for Women". Jetzt unterrichtet sie wieder an der Universität in Birseit.


"Im Streit um die Grundlagen"

Unsere Vision, zusammen in diesem Land in Frieden zu leben, war zahlreichen Belastungen ausgesetzt und ist es noch heute. Die anhaltende Besatzungssituation prägt die Beziehungen zu unseren israelischen Gesprächspartnerinnen und führt regelmässig dazu, dass wir einander verletzen. Es ist schwierig, diese Verletzungen nicht persönlich zu nehmen und sie nicht unseren Partnerinnen persönlich anzulasten. Aber die Gewaltverhältnisse lassen sich auch mit guten Absichten nicht einfach übergehen.

Die Verletzung der roten Linie

Ohne ein Minimum an politischer Verlässlichkeit auf beiden Seiten wird die Frauenfriedensarbeit sinnlos. Es ist nur möglich, gemeinsame israelisch-palästinensische Programme zu organisieren, wenn die politischen Grundprinzipien für die gemeinsame Arbeit eingehalten werden. Im "Jerusalem Link" gab es so genannte ,"rote Linien", die aus den Prinzipien abgeleitet waren: So waren wir alle "selbstverstandlich" gegen den Bau von Siedlungen, gegen die Zerstörung von Hausern, gegen kollektive Bestrafungen - gegen alles, was nach internationalem Recht als illegal oder als Menschenrechtsverletzung gilt.

1998 beteiligten sich sechs Gesprächsgruppen von Frauen beider Seiten an einem neun Monate dauernden Programm von "Women Making Peace". Nach einiger Zeit entdeckten wir, dass in einer Gruppe eine Siedlerin mitmachte. Ich war alarmiert und bekam grosse Angst, weil ich einen Verrat der roten Linie zugelassen hatte. In einem ernsten Gespräch machte ich der israelischen Partnerin klar, dass dies nie mehr vorkommen dürfe, andernfalls müssten wir die Programme stoppen. Mein Leben und meine Arbeit seien in Gefahr, wenn ich so etwas zuliesse. Nie würden es meine palästinensischen Kolleginnen verstehen, wenn ich mit Siedlerinnen gemeinsame Sache machte! Sie, die unser Land gestohlen hatten, deren Landbesetzungen Haupthindernisse für den Frieden waren! Die israelische Projektpartnerin zeigte Verständnis und versprach dafür zu sorgen, dass es nicht wieder vorkam. Sie gab zu, dass die Koordinatorin diese rote Linie nicht gekannt hatte.

Ein Jahr später organisierten wir das Programm ,"Women Making Peace" für Gruppen von Studentinnen beider Seiten, unter ihnen eine Gruppe in Hebron. Als der Kurs bereits zur Hälfte vorbei war, bat mich Gila Svirsky, die Leiterin von "Bat Schalom", um ein dringendes Gespräch, in dem sie mich um Verständnis bat für das folgende Geständnis: In der Gruppe von Hebron nahmen zwei Siedlerinnen teil. Gila versuchte mich zu überzeugen, dass die Zeit gekommen sei, auch Siedlerinnen mit einzubeziehen, sie seien schliesslich gute Frauen und sehr um Frieden bemüht. Ich erschrak, nicht nur weil die rote Linie erneut überschritten worden war, sondern weil Gila, von der ich überzeugt gewesen war, dass sie den Sinn der roten Linie begriffen hatte, mich nun zu überreden versuchte, meine Einwilligung zu geben. Ich war entsetzt und verzweifelt, denn es handelte sich ja nicht um eine Grenzlinie, die ich persönlich vorgeschrieben hatte, sondern um die politische Linie, die unsere Arbeit überhaupt leitete. Schliesslich war unsere Beziehung immer noch die zwischen Besatzern und Besetzten.

Die Situation war für mich so gefährlich, dass ich die Sache nicht wie beim ersten Mal verheimlichen konnte; ich berichtete den Vorfall dem palästinensischen Vorstand des "Jerusalem Center for Women". Dieser berief sofort eine ausserordentliche Sitzung mit dem israelischen Vorstand ein und forderte ultimativ den Ausschluss der Siedlerinnen. Nach heftigen Diskussionen und verletzenden Vorwürfen wurde dem Ausschluss zugestimmt. Wir Palästinenserinnen waren der Ansicht, dass allein dies unsere Arbeit und unseren Ruf politischer Aufrichtigkeit retten konnte. Die betroffene israelische Dialoggruppe aus Hebron war empört und beschloss, das Programm abzubrechen. Wir stellten fest, dass die Grundprinzipien unserer Arbeit in der israelischen Gruppe nicht besprochen worden waren, wie es eigentlich zu Beginn hätte geschehen sollen. Deshalb verstanden die Israelinnen unsere Reaktion nicht und empfanden das Ausgrenzen der Siedlerinnen als Diskriminierung. 

Leseprobe aus: Sumaya Farhat-Naser: Verwurzelt im Land der Olivenbäume. 2002, Lenos Verlag. Seiten 87-96
 


Inhaltsübersicht nächster Artikel