"Das Handy ist unser Schutz"

Ein Jahr lang für Peace Brigades International in Kolumbien Leute begleiten, die sich für Menschenrechte exponieren und deshalb mit dem Tod bedroht werden. Diese Aufgabe hat Claudia Marti übernommen und den Entscheid keinen Augenblick bereut.

"Was haben Sie gefühlt, wenn Sie Leute begleiteten, die sich trotz Todesdrohungen für die Menschenrechte einsetzen?" fragt eine Frau aus dem Hörsaal, nachdem Claudia Marti den Diavortrag über ihre Arbeit bei Peace Brigades International PBI in Bogotá vorgestellt hat. Die Antwort kommt postwendend: Noch nie sei eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter von PBI bei einem Einsatz getötet worden. In gefährliche Situationen geraten, das schon, ein Restrisiko bestehe immer, doch Claudia Marti war bereit, dieses Risiko einzugehen.

Anfangs wollte sie nach ihrem Geschichtsstudium und den zwei Jahren Erfahrung in der Privatwirtschaft vor allem deshalb nach Mexiko oder Kolumbien reisen, um die Situation von Nichtregierungsorganisationen kennen zu lernen. Doch dann wurde sie mit Haut und Seele hineingezogen in die extrem schwierige Lebenssituation der Frauen und Männer, die sich als JuristInnen oder MitarbeiterInnen von NGOs für die Rechte der BürgerInnen exponieren und deshalb vor allem von den Paramilitärs verfolgt werden. "Ich war beeindruckt von den Leuten, die ständig bedroht sind und trotzdem so viel Lebensfreude ausstrahlen."  

Leben unter extremer Spannung

Wenn sie von den Reisen durch Kolumbien erzählt, strahlt sie. Eine magische Welt wie in den Geschichten von Gabriel García Márquez. Sie liess sich anstecken von der Leidenschaft der KolumbianerInnen, die ihr Land über alles lieben. Sie wurde geschätzt, war schnell integriert und genoss den unmittelbaren Kontakt zu den Leuten, die sie begleitete. Mit der Zeit kannte sie deren Stärken und Schwächen. Gegen aussen zeigten sie Mut und Kraft, die Angst hielten sie zurück und entwickelten dafür einen schwarzen Humor. Die Arbeit war anstrengend, körperlich und psychisch. Rückzugsmöglichkeiten gab es keine, denn sie arbeitete und wohnte im gleichen Haus und teilte das Zimmer mit andern Frauen von PBI. Das stellt hohe Anforderungen an die MitarbeiterInnen. Sie müssen konsens- und konfliktfähig sein, flexibel, selbstverantwortlich, eigeninitiativ und Frieden innerhalb des Teams leben. 

Begleiten, beobachten, Lobby schaffen

Claudia Marti weiss viel über das Land, seine Geschichte, die Kultur. Die Sätze sprudeln aus ihr heraus. Kolumbien ist reich an Bodenschätzen, Erdöl, Gold, ist strategisch wichtig und deshalb von internationalem Interesse. Das ist einer der Hauptgründe, warum die Präsenz von PBI eine grosse Wirkung zeigt. Die Regierung kann es sich nicht leisten, dass MitarbeiterInnen von internationalen Organisationen Opfer von Terroranschlägen werden. PBI ist der Gewaltfreiheit verpflichtet, begleitet nur Leute, die keine Waffe tragen. "Wir ergreifen auch keine Partei, klagen nicht an, sondern machen aufmerksam auf die Bedrohung der AktivistInnen." Sie spricht in der Wir-Form, identifiziert sich mit den Zielen und Methoden von PBI. Neben der physischen Begleitung von "Schlüsselfiguren" der Menschenrechtsorganisationen leisten die MitarbeiterInnen viel Lobbyarbeit bei RegierungsvertreterInnen, der Armee und Polizei. PBI appelliert an deren Verantwortung für die Sicherheit der Bevölkerung. Die BegleiterInnen tragen eine Art Uniform mit dem Signet von PBI. Ihr einziger Schutz ist das Mobiltelefon, sie sind ständig alarmbereit. "Mit der Zeit entwickelt man ein Auge für Personen, die gefährlich werden könnten. Wenn an der Versammlung einer Organisation, die wir begleiten, solche Typen auftauchen, informieren wir sofort die Polizei, die dann auch ausrückt."

Vorsicht mit politischen Aussagen

Auf Fragen nach der politischen Situation in Kolumbien und der Zusammenarbeit von PBI und Regierung antwortet Claudia Marti vorsichtig. Sie begleiten vor allem Leute, die von den Paramilitärs bedroht sind. Dass diese Verbindungen zur Polizei und zum Militär haben, ist bekannt. So schliesst sich der Kreis zur Lobbyarbeit bei Regierung, Polizei und Militär.

Wie geht es der PBI-Frau nach der Rückkehr von ihrem intensiven Einsatz in einem Land, in dem Terrorismus den Alltag der Leute prägt und die Spannung von Tag zu Tag wächst? "Es war, wie wenn ich unvermittelt von einem Farbfilm in einen schwarzweiss Film gewechselt hätte. " Das intensive Leben so nah am Tod hat Claudia Marti geprägt. Die Vorträge, die sie in Deutschland und der Schweiz hält, helfen ihr, den Kontrast zwischen Kolumbien und der Schweiz zu verarbeiten. Ihr Einsatz für PBI-Schweiz geht weiter.

Christa Zopfi
 


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