Kleine Waffen - grosse Wirkung
Von Peter Weishaupt*
Das Aufatmen war förmlich zu
spüren in den Berner VBS-Büros: «Es gilt festzuhalten, dass
weder die Tatwaffe eine Dienstwaffe war, noch der Täter ehemaliger
Angehöriger der Armee.» So der Stossseufzer von Bundesrat Samuel
Schmid am 29. September 2001 in der Neuen Luzerner Zeitung nach dem Amoklauf
eines schwer bewaffneten Schweizers im Zuger Parlament. Die Erleichterung der
Behörden ist verständlich: Wäre der Täter ein Soldat und
die Waffe seine Dienstwaffe gewesen, hätte VBS-Chef Schmid nicht so
nonchalant erklären können, dass «das Gewehr zuhause keine
Gefahr für unsere Gesellschaft ist, es gehört zu den Traditionen
unserer Milizarmee».
Verständlich diese
Behördenhaltung, aber durchs Band weg ungerechtfertigt. Der Zuger Anschlag
wirft nämlich ein grelles Licht auf das eklatante Versagen der
Waffenhandelskontrolle in unserem Land: Dem Attentäter von Zug wurde
selbst nach einer öffentlichen Drohung seine Pistole nicht beschlagnahmt,
sein Waffenarsenal konnte er sich in aller Ruhe jahrelang zusammenkaufen,
Waffenerwerbsscheine wurden dem als «Waffennarr» verharmlosten
«unbescholtenen» Bürger gleichsam nachgeworfen. Am gleichen
Tag, an dem Schmids Interview erschien, erschoss ein Mann in Luzern in einem
«Familiendrama» seinen Stiefsohn und sich selbst mit einem
Sturmgewehr.
Einzelfälle verrückter oder
verzweifelter Männer? Frauen erzählen da ganz andere Geschichten
über den Griff zur oder die Androhung mit der Waffe in Konflikten am
häuslichen Herd (Wachmann Meili hat es kürzlich in Amerika
gegenüber seiner Frau demonstriert). Der Mensch dahinter ist das Problem
und nicht die Waffe in seiner Hand? Ja sicher, selbst Teppichmesser können
von entschlossenen Massenmördern verwendet werden. Die Kleinwaffen sind
nicht die eigentlichen Ursachen menschlicher und gesellschaftlicher Gewalt, wie
wahr. Ihre leichte massenhafte Verfügbarkeit und ihr immer tödlicheres
Potenzial fördern aber unzweifelhaft die Bereitschaft, sie zur gewaltsamen
Konfliktlösung einzusetzen.
Kleinwaffen sind die Massenvernichtungswaffen der heutigen Kriege
Aber nicht nur zur
«Lösung» privater Probleme werden Kleinwaffen eben eingesetzt,
wenn sie vorhanden sind. Kleinwaffen sind auch «perfekt» geeignet
für die Kriege von heute: Während sich die Abrüstungsdebatten der
zurückliegenden Jahrzehnte auf schwere konventionelle Waffensysteme sowie
das bedrohliche Arsenal an Atomwaffen und anderem hoch entwickelten
Kriegsgerät konzentrierten, sind Kleinwaffen spätestens in den 90er
Jahren zur eigentlichen Massenvernichtungswaffe geworden. Sie waren seit 1990
weltweit in 46 von 49 Konflikten die wichtigste Waffe der Kriegsparteien.
Relativ preisgünstig, leicht zu
transportieren und zu verstecken, einfach zu bedienen und zu warten, lange
einsatzfähig und bei alledem ein tödliches Instrument - diese
Eigenschaften der Kleinwaffen machen sie für die Kriege von heute
attraktiv. Der Krieg hat sein Gesicht verändert: Immer öfter geht es
um innerstaatliche Konflikte, um Machtverteilung oder die Sicherung von
Bodenschätzen und anderen Ressourcen. Bereits 1996 waren von 27
größeren bewaffneten Auseinandersetzungen weltweit alle bis auf
einen innerstaatliche Konflikte. Bürgerkriege, Auseinandersetzungen
zwischen Volksgruppen, Guerillakämpfe - das sind die Haupteinsatzgebiete
für Kleinwaffen.
Bis zu 90 Prozent aller Kriegsopfer
werden heute mit Kleinwaffen getötet. Die meisten von ihnen sind
ZivilistInnen, die Mehrheit von ihnen Kinder und Frauen. Pistolen, Gewehre,
Handgranaten: Die Flut der über 500 Millionen Kleinwaffen hat Krieg und
Gewalt in jeden Winkel der Welt getragen. In den vergangenen zehn Jahren wurden
drei Millionen Menschen durch Kleinwaffen getötet - mehr als durch
Raketen, Panzer und anderes Kriegsgerät. Täglich sterben
durchschnittlich über 800 Menschen durch Kleinwaffen. Gleichzeitig
verhindern Kleinwaffen eine nachhaltige Entwicklung und zerstören Erfolge
im Kampf gegen Armut und Krankheiten. Und sie gefährden die
humanitäre Hilfe für die betroffene Bevölkerung.
Die UNO-Bemühungen zur Kleinwaffenkontrolle
Die UNO und viele ihrer
Unterorganisationen (Unicef, Unesco), vor allem aber Kampagnen gegen
Kleinwaffen von Nichtregierungsorganisationen in unzähligen Ländern
bemühen sich um eine grössere Kontrolle der Flut der Kleinwaffen: Zum
Beispiel die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Kampagne gegen Personenminen (s.
Seite ???). Die UNO-Kleinwaffenkonferenz vom Juli dieses Jahres in New York war
eine wichtige Etappe in diesem Kampf, auch wenn die grossen
Waffenhandelsländer (nicht nur die USA, sondern auch Russland oder China)
griffigere Kontrollmechanismen abzuwehren wussten. Das Thema bleibt aber
zwangsläufig auf der internationalen Agenda.
Nächstes Jahr tritt die Schweiz, so
ist doch zu hoffen, endlich der Weltgemeinschaft bei. Die Kleinwaffen-Kampagne
ist eines der unzähligen Beispiele für die weltweite Friedensarbeit
der UNO. Eine Eindämmung kann auch nur weltweit angegangen, aber nicht
einfach an die UNO delegiert werden. Einerseits muss die Bedeutung der
Kleinwaffenströme in den weltweiten Kriegen auch in der Schweiz
stärker thematisiert werden. Andererseits machen die eingangs skizzierten
hausgemachten Probleme die Notwendigkeit eines schweizerischen Beitrags zur
internationalen Kleinwaffenkontrolle offensichtlich.
Wo landen die ausgemusterten Sturmgewehre des VBS?
Erinnert sei beispielsweise an die
faktische Auf- und Ausrüstung der UCK-Rebellen in Kosov@ mit Schweizer
Waffen; ganze Armeebestände landeten auf direktem oder indirektem Wege im
balkanischen Bürgerkriegsgebiet. Die gleichen Waffen werden nun in
Mazedonien von der Nato eingesammelt. Gehört also die Konfiszierung
exportierter Schweizer Waffen künftig zu den Grundaufgaben schweizerischer
Truppen bei Auslandeinsätzen?
Ein anderes Beispiel sind die
angekündigten Reformen bei der Armee XXI. Wie werden die Hunderttausende
von überzähligen Sturmgewehren, welche die verkleinerten
Mannschaftsbestände mit sich bringen, behandelt? Werden sie den künftig
nicht mehr gebrauchten Wehrmännern nach Hause mitgegeben oder irgendwo
mehr oder weniger sicher gelagert? Oder werden sie gar in den helvetischen
Waffenhandel mit Verkaufs- und Versteigerungsaktionen gelangen anstatt
verschrottet zu werden?
Noch aktueller ist die für den
Winter 2001/02 angekündigte Revision des Waffengesetzes. Trotz
erklärtem Volkswillen ist es der schweizerischen Waffenlobby bisher
glänzend gelungen, eine halbwegs griffige Gesetzgebung zu verhindern. Selbstverständlich
kann die tief verankerte «Kultur der Waffen» nicht nur auf
gesetzlichem Wege unter Kontrolle gebracht werden. Es ist eine neue Kultur
notwendig, in der die Bezeichnung «Waffennarr» nicht mehr
liebevolle Kauzigkeit ausdrückt und in der das tägliche Geschäft
mit dem Tod allmählich unter schwere Ächtung gerät.
*Peter Weishaupt ist Geschäftsführer des
Schweizerischen Friedensrates
Kleinwaffen: Wer hat Lust zur Mitarbeit?
Der Schweizerische Friedensrat hat an
einem Hearing am 10. November 2001 in Bern die ganze Palette der Fragen rund
ums Thema Kleinwaffen ausgebreitet. In dieser FriZ finden Sie die Ergebnisse
der Tagung handlich aufbereitet. Wir sind überzeugt, dass die Thematik
auch in der Schweiz an Brisanz gewinnen wird und möchten im
«UNO-Jahr» 2002 eine breitere Kampagne zu den Kleinwaffen
eröffnen. Wer hat Lust, in einer lockeren NGO-Arbeitsgruppe am Thema
mitzuarbeiten?
Schweizerischer Friedensrat, Postfach
6386, 8023 Zürich.
Tel 01/242 93 21, Fax 01 241 29 26.
