Kolumne

WEHR-PFLICHT-IG UND DU

Von Gusti Pollak

Nun ist es also auch mir passiert. Auf die wiederholten Klagen unserer Tochter, sie werde schikaniert unter Schulkolleginnen, und sogar vermöbelt, wenn sie dies und das nicht mache, habe ich – schliesslich – geantwortet: "Dann hau halt mal zurück." Und unser Ältester ist einer, den wir immer wieder ermahnen müssen, dass Dreinschlagen zur Konfliktlösung überhaupt nichts beitrage, sondern nur zur Eskalation.

Das alles vor dem aktuellen Hintergrund Palästina, wo unsere Generation unserer Kinder-Generation das vormacht, was wir ihnen immer predigen, dass sie es nicht machen sollen. Und die Drahtzieher dahinter weiter gewähren lässt, wenn nicht gar immer wieder wählt. Vieles löst sich – bei den Kindern – in Lachen, Minne auf oder in Abmachungen, deren Logik und Mechanik ihr Geheimnis und unser Rätsel bleibt. Gerade jetzt sind Ferien, eine dieser Kolleginnen ist bei uns zu Besuch, und der Älteste führt den Ernst des Spieles an.

Bis zum nächsten Mal mit Streit und Tränen. Dass der Hintergrund auch für die Kinder ernsthaft ist, zeigt mir die Arbeit mit verschiedensten Schulklassen und Gruppen für die kids.expo, die am 15. Mai in der Expo-Arteplage Yverdon eröffnet wird. Aus vielen Ecken der Schweiz und einzelnen im Ausland stellen Kinder ihre Welt und ihre Gefühle dar, auch szenisch, und immer ist das Thema Gewalt sehr weit vorne auf der Präsenzliste. Schon mehrfach sind wir beim Erarbeiten an die Grenze gestossen. Gewalt wird dargestellt, läuft ab, Ende der Szene.

Und jetzt? Stille, Leere. Die Ohnmacht der Gewalt gegenüber ist die Macht der Gewalt. Versuche, zu überspielen, drüber hinweg zu spielen. Spannend die Lösung der Sechstklässler-Gruppe, die in der Expo-Eröffnungswoche in der kids.arena auftreten wird: Plötzlich nehmen die zwei Streithähne der abgelaufenen Schlägerei-Szene fiktive Gameboy-Konsolen in die Hand und beginnen den Kampf nochmals, virtuell. Die Monster aus den Techno-Kästen werden lebendig und killen sich, auch gegenseitig. "Wär hett itz gwunne?" "Unentschide, chumm, göh mer!". Ich werfe noch die Frage in die Runde, was mit den herumliegenden virtuellen Leichen passiere. Die Gruppe sucht damit einen Schluss der Szene, und ich hoffe, dass ich ihnen nicht etwas aufgepfropft habe mit meinem Rattenschwanz von inneren und äusseren Bildern, Assoziationen, Erinnerungen, Verknüpfungen und Verletzungen. Wir Erwachsenen erhoffen uns von dem Expo-Projekt mit dem Motto "Erfinde deine Welt … wie sie dir gefällt!" eine spontane, kraftvolle, überraschende, vielleicht auch irritierende Darstellung der Welt der Kinder bis 13 Jahre. Und vielleicht das eine oder andere Lehr-Stück für die Zukunft – nicht nur die der Kinder.

Im ganzen Stress um Endspurt, Proben und Unvorhergesehenes hat mich ein Projekt ganz stark beschäftigt, das gar nicht zu Stande gekommen ist. Ich wollte veranlassen, dass über Pfingsten Gruppen von jüdischen und arabischen Kindern in Yverdon ihre Sicht(en) und ihre gemeinsam erarbeitete Zukunftsvision zeigen würden. Die angefragte Spezialistin, die für ihre Friedens-Arbeit mit Kindern bereits einen Preis der kids.expo-Partnerin UNESCO erhalten hat, schreckte aber davor zurück, in der jetzigen Situation eine neue Gruppe zu bilden. Dies bereits im Januar, und ich war seither ständig hin und her gerissen zwischen "eben gerade doch" und "zum Glück nicht".

Was ist die Sicht, der Standpunkt und das Interesse der Kinder? Schlechter als wir kann es wohl niemand mehr machen, und entschieden, dass durch die Kinder nichts gemacht wird, haben auch wir. Mut und Mutlosigkeit, Macht und Ohnmacht, innerer und äusserer Druck. Gewalt eben. Wer wehrt sich für den Frieden?

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