"Die Armeeabschaffung ist nicht unser Hauptanliegen: Wir wollen eine neue Konfliktpolitik"

Am 2. Dezember dieses Jahres werden die Schweizerinnen und Schweizer zum zweiten Mal über die Abschaffung der Armee abstimmen. Die FriZ sprach mit Hans Hartmann (GSoA) über die Initiative und die Kampagne dazu.

 

Zwei Monate vor der Abstimmung über die zweite Armeeabschaffungs-Initiative findet zum Thema im Gegensatz zu 1989 praktisch keine Diskussion statt. Weshalb?

Hans Hartmann: Damals wie heute geht es mit der Armeefrage letztlich um das Selbstverständnis der Schweiz in einer sich verändernden Welt. Im ausgehenden Kalten Krieg musste sich die Schweiz 1989 zwangsläufig neu positionieren. Die Armeeabschaffungs-Inititiative hatte damals das Glück, mit der Vision einer "anderen" Schweiz in eine historische Umbruchsituation hineinzukommen. Die offizielle Schweiz hielt umgekehrt verbissen an der geistigen Landesverteidigung fest, obwohl die Zeichen der Zeit dagegen sprachen. Deshalb verlief die Diskussion um das Symbol Armee damals so emotional.

Für die zweite Armeeabschaffungsinitiative, die im kommenden Dezember zusammen mit der GSoA-Initiative für einen freiwilligen zivilen Friedensdienst (s. Artikel auf Seite 5) zur Abstimmung kommt, ist die Ausgangslage anders. Heute wollen beide – die offizielle Schweiz und die ArmeeabschafferInnen – das Selbstverständnis unseres Landes ändern, wenn auch nicht im gleichen Sinn. Die Konfrontation ist deshalb weniger hart, mehr noch: Die ArmeebefürworterInnen sind gar nicht an einer offenen Konfrontation interessiert, weil dabei die Widersprüche zwischen dem modernen, Natoorientierten und dem nationalkonservativen Militarismus sichtbar werden.

Die Welt befindet sich heute in einer "Zwischensituation". Die bipolare Weltordnung des letzten Jahrhunderts ist zusammengebrochen, die neue ist erst im Entstehen begriffen. Die Antworten auf zentrale Fragen wie "Von wo gehen Bedrohungen aus?" und "Wie schaffen wir Sicherheit?" sind mehrdeutig.

War die erste GSoA-Initiative ein Angriff auf eine Ideologie vor dem Zusammenbruch, so ist die zweite Armeeabschaffungsinitiative eher der Versuch, bei der Herausbildung des neuen nationalen – oder vielleicht auch kontinentalen – Selbstverständnisses unsere Perspektive einzubringen. Das ist natürlich weniger spektakulär.

Sind die fehlenden Emotionen nicht auch Ausdruck dafür, dass niemand mit einem Erfolg der zweiten Auflage rechnen muss?

Hans Hartmann: Auch 1989 war es klar, dass die Abstimmung nicht zu gewinnen war. Mehr als 25 Prozent Ja-Stimmen hatten damals nicht einmal die InitiantInnen erwartet.

Aber nach den jüngsten Attentaten in den USA ist die Sicherheitspolitik jetzt unverhofft wieder ins Zentrum gerückt.

Hans Hartmann: Die Attentate vom 11. September haben kurz vor der Abstimmung vor Augen geführt, welches Gefahrenpotential in der kommenden neuen Weltordnung liegen könnte. Das kann man als Beleg dafür sehen, dass es nicht falsch war, die zweite Initiative zu lancieren. Selbst wenn in den letzten Jahren viel von "Sicherheit durch Kooperation" die Rede war, wird unser Sicherheitsdenken nach wie vor von Bildern wie "Grenzen ziehen" oder "Bedrohungen abwehren" bestimmt. Neue Bedrohungsbilder und Abschreckungskonzepte werden bereits seit einigen Jahren propagiert, haben sich bisher aber nicht eindeutig durchsetzen können. Die Ereignisse in den USA könnten aber längerfristig zu einer neuen Verhärtung in der Sicherheitspolitik führen. Deshalb wären gerade jetzt Alternativen zu militärischen Antworten um so wichtiger. Die grosse Frage ist, ob eine solche Diskussion mit einer Initiative lanciert werden kann. Abstimmungen vereinfachen komplexe Fragestellungen notwendigerweise. Das ist gut, wenn es wie 1989 darum geht, etwas anzugreifen, das am Zerfallen ist und breiten Überdruss weckt. Es ist aber umgekehrt schwierig, wenn es darum geht, Alternativen zu einer Politik vorzulegen, die selber noch keine klaren Konturen hat.

Was nützt denn die Abschaffung der Armee ganz konkret bei Bedrohungen wie solchen Attentaten?

Hans Hartmann: Darauf gibt es keine einfache Antwort, weil es nicht ein Mittel gegen "Selbstmordattentate" gibt. Aber wir können mit Bestimmtheit sagen: Die Repressionslogik greift gerade beim angekündigten "Krieg gegen den Terrorismus" ins Leere. Nur die Verständigung mit jenen Gesellschaften beziehungsweise Milieus, auf die sich terroristische Netzwerke stützen, kann langfristig solchen Attentaten den Boden entziehen. Wohlgemerkt, ich spreche nicht von einer Verständigung mit den TerroristInnen, sondern davon, die Ursachen der weltweiten Konflikte zu verstehen und sie an den Wurzeln anzupacken.

Nicht umsonst haben wir ja zwei Initiativen lanciert: Unser Hauptanliegen am 2. Dezember ist es nicht, die Institution Schweizer Armee abzuschaffen. Uns geht es vor allem um einen anderen Ansatz in der Konfliktpolitik. Die Botschaft der Armeeabschaffungsinitiative lautet: Es ist gefährlich, so viele Ressourcen in etwas zu investieren, das keinen realen Nutzen hat, ausser uns in einer falschen Sicherheit zu wiegen.

Welchen Einfluss hat der 11. September auf die Armeeabschaffungsinitiative?

Hans Hartmann: Die latenten Bedrohungsgefühle, welche die abscheulichen Attentate in den USA – und auch der schreckliche Amoklauf in Zug – auslösen, werden sich vermutlich negativ auf das Abstimmungsergebnis auswirken. Sicherheit ist ja kein rationales Thema. Ich kann mir vorstellen, dass viele Menschen zwar erkennen, dass Armeen keinen Schutz vor Terror bieten, dass sie jetzt aber dennoch eher gegen die Armeeabschaffung sind, "weil man eben doch nie weiss". Andererseits glaube ich, dass die Sensibilität für die Risiken der repressiven Lösungen, die jetzt herum geboten werden, verstärkt wird. Möglicherweise wächst sogar das Bewusstsein dafür, dass solche Gewalttaten im Kontext von globaler Ungerechtigkeit und Ungleichheit analysiert werden müssen.

Diese beiden Punkte gilt es jetzt für die Friedensbewegung aufzunehmen und in einer kritischen Analyse der Ereignisse herauszuarbeiten. "Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer einer Gewalteskalation?" und "Sind gewaltfreie Lösungen für Konflikte möglich, die aus der globalen Ungleichheit heraus entstehen?" – solche und ähnliche Fragen werden in der Diskussion um die beiden Initiativen einen grösseren Stellenwert erhalten. Möglicherweise wird es aber schwieriger werden, die real existierende, superteure Landesverteidigungsarmee anzugreifen, die uns nur noch gegen hypothetische Feinde in ferner Zukunft "verteidigt".

Was wäre denn für euch ein Erfolg am 2. Dezember?

Hans Hartmann: Ein schlechtes Resultat am 2. Dezember halte ich für weniger problematisch als die Mythologisierung des Erfolgs von 1989. Es stimmt: 1989 stimmten eine Million SchweizerInnen für die politische Öffnung unseres Landes. Das ist schön. Doch inzwischen findet diese Öffnungsdiskussion auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Zusammenhängen statt, und es ist nicht verboten, auch einmal einen kritischen Blick auf diese neue Weltordnung zu werfen, an der sich die Schweiz beteiligen soll. Wenn daher am 2. Dezember 20 Prozent für die Armeeabschaffung stimmen, dann ist das kein Rückschlag für die Öffnungsanstrengungen, sondern ein Zeichen dafür, dass nicht alle mit einer Weltordnung einverstanden sind, die auf Ungleichheit und Repression beruht.


Die Initiativen vom 2. Dezember

Initiative für eine Schweiz ohne Armee

• untersagt Bund, Kantonen, Gemeinden und Privaten in der Schweiz militärische Streitkräfte zu halten

• lässt aber Ausnahmen für Regelungen zu, die "die bewaffnete Beteiligung an internationalen Friedensbemühungen ausserhalb der Schweiz" ermöglichen

• überträgt alle bisher von der Armee wahrgenommenen zivilen Aufgaben (Hilfeleistungen, Katastrophenschutz, Rettungsdienste etc.) den zivilen Behörden von Bund, Kantonen und Gemeinden

• fordert eine Sicherheitspolitik des Bundes, die darauf ausgerichtet ist, konfliktträchtige Ungerechtigkeiten im In- und Ausland abzubauen und den Grundsätzen der Demokratie, der Menschenrechte und der gewaltfreien Konfliktbearbeitung entspricht.

Initiative für einen zivilen Friedensdienst

fordert einen in der Verfassung verankerten zivilen Friedensdienst als Instrument einer aktiven Friedenspolitik der Schweiz, der

• der freiwillig ist

• der allen in der Schweiz wohnhaften Personen kostenlos offen steht

• der von der öffentlichen Hand finanziert wird

• der persönliche Qualifikationen seiner TeilnehmerInnen berücksichtigt

• der seinen TeilnehmerInnen einsatzspezifische Aus- und Weiterbildung bietet

• der seine TeilnehmerInnen angemessen entschädigt

• dessen Ausbildung in Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen, Nichtregierungsorganisationen und Privaten angeboten wird

• dessen Einsätze in der Regel von geeigneten Nichtregierungsorganisationen geplant und durchgeführt werden

• der von einer unabhängigen und geschlechterparitätisch zusammengesetzten Kommission begleitet und kontrolliert wird.


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