Am Anfang war der Krieg

Gleich auf die Schöpfungsgeschichte und die Vertreibung aus dem Paradies folgt die Erzählung vom Brudermord. Der Urzustand der Menschheit, schreibt Heinz Hüsser (S. 15), ist der Krieg, der naturgegebene Existenzkampf aller gegen alle. Doch der Mensch kann denken. Er hat es geschafft, die Härte des Überlebenskampfes zu mildern und hätte es in der Hand, es sich anders einzurichten. Frieden ist also eine Schöpfung des menschlichen Geistes, ein Kulturprodukt.

Oder verhält es sich gerade umgekehrt: Erst der vom Aufkommen von Neid, Hass, Hab- und Machtgier begleitete Fortschritt der Zivilisation hat den Krieg geboren und nur die Rückkehr zum Willen Gottes oder der Natur kann uns wieder Frieden bringen?

Ist gar einer der Meilensteine unserer Kultur, die Philosophie des Aristoteles, die bis heute unser Denken prägt, letztlich im Dienste der Rechtfertigung des Krieges entstanden, wie es Annegret Stopczyk (S. 12) formuliert?

Dann haben viele Generationen diese Lektion verinnerlicht: Krieg galt nicht nur als schicksalhaft, gottgewollt, sondern gar als tugendhaft und als die wahre Bestimmung des Mannes. Doch im 20. Jahrhundert ist Krieg führen unter zunehmenden Rechtfertigungsdruck geraten. Ein entscheidender Schritt in diesem Prozess ist für Nicole Billeter (S. 18) der Erste Weltkrieg. "Nur im Kampf ist Schönheit" proklamiert Filippo Marinetti im "Manifest des Futurismus" von 1909. Das fünf Jahre später einsetzende endlose Schlachten hat die anfängliche Kriegsbegeisterung gründlich ausgetrieben und sämtliche idealisierenden, heroisierenden Bilder grausam ad absurdum geführt. "Krieg ist grausam, entwürdigend und eine ästhetische Erniedrigung" (Hüsser) - dies hat sich damals so krass gezeigt wie nie zuvor.

Trotzdem wurde zu allen Zeiten und in zahllosen Werken der 'schönen Künste' der Krieg verherrlicht. Kunstwerke, die seine hässliche Fratze zeigen, sind weit weniger zahlreich, doch auch die Antikriegskunst hat eine lange Tradition, wie Christa Zopfi (S. 20) in Bild und Text beweist.

Das wohl älteste Werk der abendländischen Literatur, das den Blick auf das Leid der Opfer richtete, sowie weitere philosophierende und literarische Texte zum Weiterlesen und Weiterdenken empfehlen wir Ihnen am Schluss dieses Schwerpunktes.

Peter Schneider

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