Das Schwert in der Hand des Engels

Von Christa Zopfi

Kunst gegen den Krieg hat es schon gegeben, als Krieg noch als etwas Normales galt, als Notwendigkeit um zu überleben. "Lieber tot als besiegt" hiess das Motto, das Kampfbereitschaft als höchste Tugend pries. Die Krieger galten als Beschützer des Volkes, verteidigten und erweiterten das Territorium und wurden als Helden verehrt. Damit der Ruhm über Siege und Eroberungen nicht verblasste, liessen die Kriegsherren ihre Heldentaten in Bildern und Reliefs festhalten. Neben diesen Überlieferungen gibt es auch eine Tradition von Friedensdarstellungen: Der Löwe, der neben dem Lamm liegt, Schwerter, die zu Pflügen umgeschmiedet werden oder die Friedensbilder chinesischer Künstler.

Eine der ersten eindeutigen Verurteilungen des Krieges hat der römische Dichter Lukrez ausgesprochen. Er bezeichnete den Kriegsgott Mars als dumm und brutal, eine gewagte Aussage in jener Zeit. Lukrez schrieb, dass Kampf und Krieg nur aus Distanz bewundert werden könnten, jedoch nicht von den Betroffenen, den sterbenden Soldaten und den trauernden Angehörigen. Obwohl die Künstler der Antike im Auftrag der Herrscher den Sieg über den Feind darstellten, erkennt man schon in ägyptischen Reliefs neben den Triumphszenen zermalmte Leiber und schmerzverzerrte Gesichter.

Krieg im Namen Gottes

Als Schlüsseltext für die Darstellung des Krieges als Zerstörer der Welt gilt die Offenbarung des Johannes. Darin erscheint der zweite Reiter auf einem roten Pferd. Mit seinem grossen Schwert wird er den Frieden von der Erde nehmen. Die Bilder aus der Offenbarung haben sich über Generationen in der christlichen Kultur verbreitet und tauchen immer wieder in der Antikriegskunst auf.

Ebenso wie antike Könige legten auch christliche HerrscherInnen Wert darauf, dass ihre militärischen Untaten der Menschheit als Heldentaten in Erinnerung blieben. Gleichzeitig wurde aber in manchen Kirchen der Krieg als böse dargestellt, zum Beispiel in der Kathedrale von Canterbury: Unter den Blicken von Teufeln und Engeln kämpfen Soldaten als Sinnbild für "die schlechte Herrschaft". Bauern, die die Äcker bestellen, stehen für "die gute Herrschaft". Die Künstler konnten sich auf das Wort Gottes beziehen, das den Krieg als Strafe für sündiges Leben bezeichnete. Sie genossen einen gewissen Freiraum, in dem sie nicht die nationalen Siege zu verherrlichen brauchten und legitimiert waren, den Krieg mit all seinen Schrecken zu zeigen.

Blick auf die Opfer des Krieges

Die Glaubenskriege im 16. Jahrhundert waren für die Bevölkerung von grösserer Bedeutung, als die Kriege im Mittelalter. Es ging um die zentrale Frage, welche Lehre die Seele der Menschen retten würde. Erasmus von Rotterdam war einer der Philosphen, die fragten, wozu Kriege geführt würden und was Könige davon erwarteten. Seine Antwort war eindeutig: Es geht ihnen nicht um die Erlösung des gewöhnlichen Volkes. Pieter Bruegel ging einen Schritt weiter und zeichnete den "Kampf zwischen den Geldsäcken und den Schatztruhen". Auf den ersten Blick macht er sich über die Habgier lächerlich, doch die Karikatur bezog sich auf einen realen Krieg, in dem die Menschen einander das Gedärme aus den Bäuchen rissen. Sein Bild mit einer moralischen Aussage hatte im späteren 19. Jahrhundert grosse Auswirkung auf die Kunst gegen den Krieg.

Die Geschichte der eindeutigen Antikriegskunst setzt mit dem Widerstand im Dreissigjährigen Krieg ein. Während drei Jahrzehnten gab es praktisch keinen Waffenstillstand. Ein Drittel der deutschen Bevölkerung kam um, das menschliche Leben hatte keinen Wert mehr. In dieser aussichtslosen Lage konnte sich aber Dank der Einführung der Druckpresse die bildende Kunst und die Literatur verbreiten.

Aus dieser Zeit stammen Jacques Callots Radierungen über die Belagerung von Breda. Er zeigte die Scheusslichkeit der Kriegsmaschinerie und löste auch bei staatstreuen BetrachterInnen Ablehnung gegenüber Krieg aus. Seine Bilder waren von unschätzbarem Wert für die Kunst gegen den Krieg.

Ende des 17. Jahrhunderts breitete sich unter den denkenden Menschen die Überzeugung aus, dass weitere Glaubenskriege zu vermeiden seien. Man wollte für gesellschaftliche Probleme rationale Lösungen finden. Ironischerweise führte die Idee der Aufklärung zur blutigen französischen Revolution. Viele Künstler neigten dazu, die Kriegshandlungen zu verherrlichen, sei es die Ausdehnung des Imperiums oder das Erlangen von Freiheit. Voltaire bewunderte Friedrich den Grossen, Napoleon war beliebt bei den Künstlern. Doch seine Invasion in Spanien und der vorangegangene Bürgerkrieg hatten ihre Auswirkung auf Francisco Goya und dessen Kunst. Er drückte in seinen Bildern einen umfassenden Protest gegen den Krieg aus. Andere KünstlerInnen liessen sich beeinflussen von seinem Bildaufbau, seiner Lichtführung und seinem Blickwinkel. Er zeigte die Opfer des Krieges, nicht die Helden.

Nach der Zeit Napoleons kämpften nicht mehr Könige mit ihren Armeen gegeneinander, sondern ganze Nationen. Honoré Daumiers lithographisches Werk stellt einen Katalog mit den tragenden Säulen des Krieges dar: Patriotismus, Raubgier der Generäle, Luxus des Militärs, Perversion der Sprache. Er setzte dem Frieden eine Krone aus Bajonetten auf.

Zwischen Widerstand und Propaganda

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatten die Regierungen viel von den Künstlern gelernt. Sie bedienten sich der Bildsprache, druckten Propagandamaterial, Plakate und heizten damit den Patriotismus an. Nach 1916, als der Krieg wie eine Todesmaschine wütete, gab es eine Flut von Antikriegsbildern. In Frankreich entstanden comicartige Darstellungen, die die Folgen des Krieges als individuelles Schicksal darstellten. So "die Nächte des Krieges", die die Geschichte einer Liebe zwischen einem Soldaten und einem Mädchen erzählen. Diese Kunst war gekennzeichnet von persönlicher Leidenschaft. In den Zwanziger-, Dreissigerjahren und bis in die heutige Zeit war die Antikriegskunst meist politisch gefärbt und die KünstlerInnen ergriffen Partei. Betrachtet man Darstellungen aus jener Zeit, muss man den politischen Hintergrund und die Parteilichkeit mit einbeziehen.

Zwischen den beiden Weltkriegen entstand die bedeutendste Antikriegskunst in Deutschland und Holland: Bilder von demonstrierenden Frauen, riesige Felder von Grabkreuzen, Karikaturen über Abrüstungskonferenzen. Als Hitler an die Macht kam, war es damit vorbei.

Erst nach 1945 hat die Kunst gegen den Krieg in der westlichen Welt, in den USA und auch in Japan einen Aufschwung erlebt. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass sie ausserhalb dieser Länder kaum wahrgenommen wird. Die Technologie der modernen Kriegsführung ist komplexer geworden, was sich auch in der Kunst niederschlägt. Das mag mit ein Grund sein, weshalb sich die KünstlerInnen jahrhundertealter Bilder bedienen, die Symbolcharakter erlangt haben, wie Günter Grass mit den Händen, die einander mit Steinen bedrohen oder die eine Schreibfeder als Waffe zücken. Inzwischen ist die Doppelmoral vieler PolitikerInnen so geläufig, dass alle die Botschaft der Friedenstaube mit dem Kopf eines Staatsmannes verstehen.

Kunst gegen den Krieg will etwas bewirken. Sie wendet sich an ein breites Publikum, ist öffentlich und will verstanden werden. Seit Jahrhunderten verfolgt sie ein Ziel: Über die Bildsprache macht sie auf den Wahnsinn des Krieges aufmerksam und ruft zum Widerstand auf.

Quelle: D.J.R. Bruckner, S Chwast, S. Heller: Kunst gegen den Krieg. Basel 1984, Birkhäuser.


Bildergalerien dieser FriZ-Nummer

Bilder I: Die Schrecken des Krieges

Bilder II: Auf der Seite der Opfer

Bilder III: Habgier und Falschheit

Bilder IV: Irrsinn Krieg

 


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