Eine Zeitreise durch die Frauen-Friedensbewegung

"Feministische Friedenspolitik en vague" lautete das Motto der Schiffsmatinée, zu der die cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit aus Anlass ihres 20-Jahre-Jubiläums* eingeladen hatte. An der Lesung mit Texten von Aktivistinnen der ersten und zweiten Frauenbewegung und Beiträgen der Politologin Sandra Hedinger konnten die ZuhörerInnen die Entwicklung der Frauen-Friedensbewegung der letzten hundert Jahre verfolgen.

Von Christa Zopfi

Friedlich begann die Zeitreise mit dem Auslaufen des Schiffs auf den blauen Zürichsee. Die siebzig PassagierInnen waren gekommen, um mit der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit ihr 20-Jahre-Jubiläum zu feiern. In ihren Begrüssungsworten stellte Sybille Mathis die Frauenstelle als Ort vor, wo Frauen aus feministischer Sicht friedenspolitische Fragen diskutieren und sich in politische Debatten einmischen. Ruhig glitt das Schiff durchs Wasser und liess das Ufer vorbeiziehen wie ein Film, der mit historischen Texten hundert Jahre Geschichte der Frauenbewegung aufzeigt.

Bedeutung der Geschlechter in der Frauenbewegung

Sandra Hedinger, Autorin des Buches "Frauen über Krieg und Frieden", schlug an der Lesung eine Brücke zwischen den Texten von Bertha von Suttner, Clara Ragaz, Helga Sander und der eigenen Forschungsarbeit. Darin hat sie untersucht, welche Bedeutung die Wegbereiterinnen der Frauenbewegung dem Verhältnis von Frau und Mann beimassen und wie sie sich in diesem Punkt von den zeitgenössischen feministischen Theoretikerinnen unterscheiden.

Sie verwies auf die Rolle der Frauen im Krieg und die Entwicklung der Friedensbewegung in den letzten hundert Jahren. Frauen haben während des Krieges die Wirtschaft aufrecht erhalten, Soldaten gepflegt, gekämpft. Sie blicken aber auch auf eine reiche Tradition von Friedensarbeit zurück, die in organisierter Form schon im 19. Jahrhundert bestand. Die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene begann 1899 anlässlich des Friedenskongresses in Den Haag und führte 1919 zur Gründung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit.

Visionärin Bertha von Suttner

Bertha von Suttner, 1843–1914, stammte aus einer böhmischen Adelsfamilie. Sie war überdurchschnittlich gebildet, hatte engen Kontakt mit Alfred Nobel und schrieb Romane und journalistische Texte. Zusammen mit ihrem Mann wandte sie sich dem "idealistischen Kreuzzug wider Krieg und Unmenschlichkeit" zu und setzte sich für "eine befriedete Menschheit in einem geeinten Europa" ein. Am 18. April 1906 sprach sie über die Entwicklung der Friedensbewegung vor dem Nobel-Komitee in Schweden.

Mit dieser Rede, vorgetragen durch die Schauspielerin Barbara Peter, liessen sich die ZuhörerInnen auf dem Schiff in die Zeit der ersten Frauenbewegung versetzen. Während die Schauspielerin in die Rolle von Bertha von Suttner stieg und sich ein weisses Schultertuch umlegte, entlockte Co Streiff ihrer Bassklarinette harmonische Klänge. Einige Auszüge aus Berthas Rede zeugen von ihrem Glauben an eine gerechtere, friedliche Gesellschaft und ihrer Bereitschaft, alles für die Verwirklichung dieser Idee zu unternehmen:

"Dass die Welt sich ewig wandelt und entwickelt, ist eine noch gering verbreitete Erkenntnis, denn auch die Entdeckung des Evolutionsgesetzes, unter dessen Herrschaft alles Leben steht, gehört einer jungen Periode der Wissenschaftsentwicklung an."

Bertha von Suttner war überzeugt, dass ein neues politisches System begonnen, dass sich eine pazifistische Bewegung gebildet habe. Die Notwendigkeit, dass zwischen den Völkern ein Zustand des Friedens entstehen müsse, sei schon durch alle Schichten bis hin zu einzelnen Staatsmännern gedrungen, sagte sie. Die Wirklichkeit sehe jedoch anders aus:

"Ein furchtbarer Krieg, wie ihn die Weltgeschichte noch nicht gesehen, hat eben im Fernen Osten gewütet; eine noch furchtbarere Revolution knüpft sich daran, die das riesige russische Reich durchschüttert und deren Ende gar nicht abzusehen ist. Nichts als Brände, Raube, Bomben, Hinrichtungen, überfüllte Gefängnisse, Peitschungen und Massaker, kurz eine Orgie des Dämons Gewalt; im mittleren und westlichen Europa indessen kaum überstandene Kriegsgefahr, Misstrauen, Drohungen, Säbelgerassel, Pressehetzen; fieberhaftes Flottenbauen und Rüsten überall … Unterseeboote werden gebaut, kriegstüchtige Luftschiffe probiert, mit einem Eifer, als wäre das demnächstige Losschlagen die sicherste und wichtigste Angelegenheit der Staaten. Und sogar die zweite Haager Konferenz wird mit einem Programm versehen, das sie zu einer Kriegskonferenz stempelt. Da wollen die Leute behaupten, die Friedensbewegung mache Fortschritte."

Für Bertha von Suttner waren Frauen nicht von Natur aus friedliebend. An sie richtete sie sich in ihrem Roman "Die Waffen nieder". Nicht Heldentum, sondern die Schrecken und Leiden der Kriege hat sie darin aufs Genaueste nachgezeichnet und die Friedensbewegung damit stark beeinflusst.

Die Kämpferin Clare Ragaz

Kein klassisches Instrument, sondern eine Melodika leitete über zu den kämpferischen Worten von Clara Ragaz. Rot leuchtete das Halstuch der Schauspielerin, als sie dem Publikum zurief:

"Warum haben wir Frauen versagt? Weil wir zu abhängig vom Manne sind. Weil wir immer noch der Meinung sind, die Welt, wie sie die Männer für uns und für sich eingerichtet haben, sei die einzige zu Recht bestehende … Das männliche Ideal sei Mut, Tapferkeit, Trotz, so wurden wir von Jugend auf gelehrt, und das weibliche Ideal Sanftmut, Hingebung, Milde."

Damit spricht sie das damalige Rollenverständnis an und ruft auf, es zu hinterfragen.

"Warum soll denn die Welt, die aus Männern und Frauen zusammengesetzt ist, nur das Gepräge der männlichen Tugenden haben und sollen bloss Mut, Tapferkeit, Trotz gelten? Könnten nicht in dieser Welt auch einmal die Gesetze der Sanftmut, Sinngebung und Milde herrschen?"

Sie weist darauf hin, dass Männer in öffentlichen Positionen und Frauen zu Hause tätig seien und beklagt deren geringen Einfluss auf die Politik.

"Ich unterschätze den Einfluss der Frau in der Kinderstube gewiss nicht und mein Wunsch für die Frau ist, dass eine Zeit komme, wo sie für die Verwaltung dieses ihres eigensten und schönsten Reiches wieder mehr Musse, Kraft und Freiheit habe; aber ich meine, einen wirklichen Wert würde dieser Kinderstubeneinfluss erst erhalten, wenn die Kinderstubenmoral auch die Lebensmoral würde."

Trotzdem erwartet sie nicht allein vom Einfluss der Frauen die Lösung der Probleme:

"Wenn wir die Menschen an uns vorüberziehen lassen, die mit der ganzen Kraft ihrer Überzeugung und Leidenschaft sich gegen den Wahnsinn des Krieges auflehnen, so finden wir darunter wohl mindestens so viele Männer als Frauen. Gott sei Dank, dass es so ist, denn wenn wir für diesen Kampf wieder nur auf die eine Hälfte der Menschheit angewiesen wären ..., dann würde es im besten Falle eine Unterdrückung der besonderen Art des andern bedeuten ... Frauenrechte verlangen heisst überhaupt nicht Männerrechte unterdrücken."

Clara Ragaz kämpfte für das Frauenstimmrecht. Sie war überzeugt, dass es den Frauen eine Möglichkeit böte, Verantwortung für das öffentliche Leben zu übernehmen.

Das Private ist politisch

Sandra Hedinger leitete über in die zweite Phase der Frauenbewegung in den Sechzigerjahren. Während der UNO-Frauendekade (1975–1985) bekamen Themen wie Friede, Entwicklung, Abrüstung grosses Gewicht. Die Dekade bot den Frauen ein Forum, um weltweit frauenspezifische und friedenspolitische Anliegen zu diskutieren. Die feministische Analyse von Kriegsursachen verwies auf die patriarchale Vorherrschaft. Es gab unterschiedliche Auffassungen, ob Frauen friedfertiger seien als Männer. Krieg galt als Männermacht in Reinkultur. Petra Kelly rief zu gewaltfreiem Widerstand und zivilem Ungehorsam auf. Sie vertrat die Meinung, dass Gewalt nicht durch Gegengewalt abgebaut werden könne. Friedenserziehung bekam eine grosse Bedeutung. Ihre Befürworterinnen appellierten an die Frauen, die Macht als Erzieherinnen zu nutzen. "Wir erziehen keine Soldaten", lautete ihr Slogan. Alternative Formen der Konfliktlösung wurden entwickelt und es bildeten sich Frauennetzwerke.

Die Feministin Helke Sander

Helke Sander gehörte in den Sechzigerjahren einem Aktionsrat zur Befreiung der Frauen an. Im Unterschied zu Clara Ragaz forderte sie, dass die Männer einer feministischen Strategie folgen müssten, um gemeinsam mit den Frauen Überlebensfragen zu diskutieren und zu beantworten. Das bedeutete, dass sie sich im Alltag, wo reale Konflikte auftauchen, damit befassen müssten. Ihren Text "Über die Beziehungen zwischen Liebesverhältnissen und Mittelstreckenraketen" kündete Co Streiffs Saxophon mit herausforderndem Jazz an. Das Lilatuch um den Kopf gebunden trug Barbara Peter den Text der Feministin vor, der sich mit physischer und psychischer Gewalt an Frauen in Paarbeziehungen befasste.

"Das bisher ungelöste Problem besteht nun darin, dass für die Männer die strukturelle patriarchale Gewalt derart selbstverständlich ist, dass sie überhaupt nur in der Lage sind, sie als etwas ‹Unnatürliches› und Gemachtes zu erkennen, wenn sie sehr direkt gezwungen werden, sich damit zu befassen. Dieses Hinsehen versuchen sie teils bewusst, teils unbewusst immer wieder zu verhindern."

Sie wirft den Männern vor, nicht zu erkennen, dass die Harmonie in einer Beziehung meistens durch Kompromisse der Frauen zustande komme.

"Inzwischen hat die Frauenbewegung Dinge ans Licht gebracht, die wir vorher nicht wussten. Über diesen Analysen haben wir mit Schrecken erkannt, dass die, die für die Beibehaltung dessen, worunter wir litten, die eigenen Väter, Brüder oder Männer sind."

Aber auch die Frauen sind gefangen in ihren Rollen. Sie können sich nur aus eigener Kraft daraus befreien.

"Alle Frauen sind in dem Dilemma, dass Männer, die sie lieben, gleichzeitig in ihrer Funktion sich gegen die Interessen der Frauen verhalten beziehungsweise von Sitten und Gesetzen profitieren, die den Frauen schaden."

Sobald Frauen diesen Zustand nicht mehr akzeptieren, kommt es zu Konflikten.

"Eine Frau, die den Konflikt wagt, die mehr auf die Individualität als auf die Geschlechtertradition in einem Menschen setzt, bedroht aber die Harmonie. Gegen Bedrohung, hat der Mann gelernt, hilft nur: zurückschlagen, der erste sein, es möglichst durch drohende Prophylaxe erst gar nicht zum Angriff kommen lassen. Frauen griffen bisher nicht an, sie standen für die Erholung vom Angriff."

Am Schluss ihrer Betrachtung fragt sich Helke Sander, ob Männer überhaupt die Anliegen der Frauen verstehen können und ob nicht Frauen besser in der Lage seien, sich einem Verständnis von Unabhängigkeit und Individualität zwischen Mann und Frau annähern zu können.

Feministische Theorien und die Überwindung von Kriegen

Es hat sehr lange gedauert, bis feministische Theorien an den Universitäten anerkannt wurden. Sie haben jedoch einen wesentlichen Einfluss auf das Konstrukt der Realität, sagte Sandra Hedinger. Für die Feministinnen bildet die Frage nach dem Unterschied der Geschlechter den Ausgangspunkt ihrer Theorien, die sich jedoch in unterschiedliche Richtungen entwickelt haben. Die Amerikanerin Betty Reardon sieht beispielsweise im Patriarchat die Ursache von Krieg. Männer und Frauen sind auf ihre traditionellen Rollen fixiert, die Höhe der Ausgaben für Militär und Soziales widerspiegeln deren Stellenwert in der Politik. Betty Reardon fordert deshalb Abrüstung und Gleichheit für Frauen.

Eine weitere amerikanische Feministin, Judith Ann Tickner, befasst sich mit der Darstellung von Krieg und Frieden. Um die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten, werde Militär eingesetzt, ohne jedoch das Sicherheitsbedürfnis von Frauen in Betracht zu ziehen. Ann Tickner fordert Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern.

Frauen in die Sicherheitspolitik

Am Podium, das Heidi Witzig leitete, nahmen teil: Sandra Hedinger, Helga Habicht, Vorstandsmitglied der Frauen für den Frieden Schweiz, Barbara Haering, SP-Nationalrätin und Sibylle Mathis von der cfd-Frauenstelle. Sibylle Mathis zog aus der Lesung den Schluss, dass so genannte weibliche Tugenden menschliche Tugenden sein sollten und deutete auf bestehende Widersprüche zwischen den verschiedenen Friedensorganisationen hin.

Barbara Haering stellte fest, dass sich das Gesicht des Krieges in den vergangenen Jahren verändert hat. Heute sind 90 % der Opfer zivile Personen. Darum ist es für Sandra Hedinger wichtig, dass Frauen ihre Werte und Erkenntnisse auch in militärische und politische Gremien hineintragen. Sie müssen nicht Militärdienst geleistet haben, um legitimiert in der Sicherheitspolitik mitzuwirken.

Mit dem fiktiven Brief einer jungen Frau im Jahre 2101 an ihre Urgrossmutter, eine ehemalige Mitarbeiterin der cfd-Frauenstelle, schliesst die Lesung. Darin kommt zum Ausdruck, dass sich das Verhältnis zwischen den Geschlechtern nach hundert Jahren zwar verändert, der Krieg jedoch nicht überwunden ist. Obligatorisches Training für Zivilcourage und gesellschaftliche Verantwortung gehört jetzt zur Lebensschule.

Als das Schiff wieder anlegt, wirft eine Matrosin das Tau ihrer Kollegin auf dem Steg zu. Vor zwanzig Jahren wäre dies kaum denkbar gewesen. Die Zeitreise durch die Frauen-Friedensbewegung ist zu Ende, das Engagement der cfd-Frauenstelle für eine gerechte und friedliche Gesellschaft geht weiter.

*Siehe auch Jubiläumsbeiträge in FriZ 2/01 und 3/01


Info

Die ältere oder erste Frauenbewegung dauerte von 1848 bis 1920. Sie setzte sich aus einer bürgerlich-pazifistischen und einer sozialistischen Bewegung zusammen. Die bürgerlichen Frauen sprachen vom weiblichen Wesen und Instinkt. Sie engagierten sich vorwiegend für Gleichberechtigung von Frau und Mann, forderten Zugang zu den Bildungsstätten und das Stimm- und Wahlrecht. Die Sozialistinnen, die die Ursache des Krieges im Kapitalismus sahen, spalteten sich ab und forderten zusätzlich zur rechtlichen Gleichstellung der Frauen die Abschaffung des Kapitalismus.

Die zweite Frauenbewegung geht in den USA und in Europa auf die 60er Jahre zurück. Ihre Vertreterinnen betrachteten Diskriminierung der Frauen nicht in erster Linie als rechtliches Problem, sondern als ökonomisches und kulturelles Produkt. Erst mit dieser Bewegung setzte sich die Geschlechterforschung an den Universitäten durch. Feminismus bekam eine akademische Dimension.


Literatur

Sandra Hedinger Frauen über Krieg und Frieden. 2000, Campus. Die Autorin untersucht, welche Bedeutung die Wegbereiterinnen der Frauenbewegung dem Verhältnis von Frau und Mann beigemessen haben und wie sie sich in diesem Punkt von den zeitgenössischen feministischen Theoretikerinnen unterscheiden (siehe auch FriZ 1/01).

Betty A. Reardon Sexism and the War System. 1996, Syracuse NY

J. Ann Tickner Revisioning Security. 1995, in International Relations Theory Today, The Pensylvania University Press

Bertha von Suttner Die Waffen nieder! Berlin 1990, Verlag der Nationen.

Helke Sander Gewaltakte, Männerphantasien und Krieg. Hamburg 1993, Klein Verlag

Helke Sander BeFreier und Befreite. Krieg, Vergewaltigungen und Kinder, München 1992, Verlag Antje Kunstmann


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