Am 2. Dezember dieses Jahres haben die Stimmberechtigten zum zweiten Mal nach 1989 die Möglichkeit, über die Abschaffung der Schweizer Armee abzustimmen. Die Voraussetzungen könnten nicht unterschiedlicher sein. Vor zwölf Jahren war die Initiative der GSoA das über Wochen und Monate dominierende Thema; bei einer für die Schweiz selten hohen Stimmbeteiligung von 68 Prozent gab es über eine Million Stimmen für die Abschaffung deutlich mehr als ein Drittel (35,6 Prozent). Heute wären die Verantwortlichen im VBS froh, sie brauchten sich nur mit der AbschaffungInitiative auseinander zu setzen und nicht mit dem Wirrwarr, den ihnen die Vernehmlassung zur "Armee XXI" beschert hat.
In einer ersten Stellungnahme am 3. August 2001 machte das VBS in Bezug auf die Ergebnisse der Vernehmlassung auf Zweckoptimismus: "Mehrheit erachtet Armeeleitbild XXI und Leitbild Bevölkerungsschutz als tragfähige Reformgrundlagen". Grundsätzlich dafür seien die Kantone, FDP, CVP, LPS, economie-suisse, Gewerbeverband, Offiziers-, Unteroffiziers- und Schützengesellschaft sowie "zahlreiche weitere Organisationen". Das hervorstechendste Merkmal dieser Vernehmlassung ist jedoch das Auseinanderklaffen der Regierungsparteien.
Einzig die CVP steht praktisch ohne Vorbehalte hinter der VBS-Vorlage. Sie setzt sich "für eine pragmatische Weiterführung des Begriffes Neutralität ein." Und: Es kann "nicht in Frage kommen, dass Polizeifunktionen der Armee allmählich zum Gewohnheitsrecht werden. ( ) Eine schleichende Militarisierung der inneren Sicherheit ist grundsätzlich negativ." "Die CVP Schweiz ist mit der Grössenordnung der Bestände einverstanden. Es scheint uns jedoch, dass es rein von den militärischen Bedürfnissen her auch mit weniger hohen Beständen ginge. Das gilt insbesondere für die Reserve, deren Grösse spürbar politisch motiviert ist."
Die FDP hat medienwirksam "ein vollständig überarbeitetes, konkretes ALB XXI" gefordert und eine "bessere Übereinstimmung der Interessen von Armee, Wirtschaft und Gesellschaft". Die umfangreiche Vernehmlassung ist überschrieben mit: "Wir geben der Armee XXI ein Gesicht". Dessen Konturen bleiben allerdings unscharf; so ist es schwierig, die Haltung der FDP einzuschätzen. Gewisse Positionen will sie nicht einfach der SVP überlassen. Sie spielt die Rolle der internationalen Zusammenarbeit herunter: "Eine Kooperation muss sich auf die Bereiche Führung, Ausbildung und Ausrüstung beschränken und ist in keinem Falle gleichbedeutend mit dem Beitritt zu einem Verteidigungsbündnis." Und noch mehr jene von Friedenseinsätzen: " eine Einsatztruppe ( ) die mit bescheidenen Mitteln in Gebieten, die unsere Sicherheit direkt oder indirekt betreffen, einen Solidarbeitrag leisten kann". Hingegen fordert sie "eine autonom befähigte Armee XXI", "eine moderne Armee XXI, die gesellschaftliche Akzeptanz findet durch ihre Verfassungskonformität, ( ) die Miliz und eine glaubwürdige regionale Verankerung".
Keine Überraschungen enthält die Stellungnahme der SVP. Sie "setzt sich für eine moderne und leistungsfähige Milizarmee ein, die in der Lage ist, unser Land zu verteidigen sowie unsere Unabhängigkeit und Neutralität zu gewährleisten. Die Armeereform XXI erfüllt diese Forderung in verschiedener Hinsicht nicht oder nur ungenügend. Die SVP lehnt daher das Armeeleitbild in seiner jetzigen Form wie auch die Militärgesetzrevision ab und weist die Vorlage zur Überarbeitung an den Bundesrat zurück." Sie fordert die Ausarbeitung von Alternativen zu "Sicherheit durch Kooperation" und wendet sich vehement gegen so genannte "Durchdiener".
Auch die SPS lehnt das Armeeleitbild ab, aber mit einer ganz anderen Begründung: "Zwischen dem erneut heraufbeschworenen Alleingang einer autonomen Widerstandsarmee und der längerfristigen Integration der Schweizer Armee in eine militärische Allianz, unterstützt die SP Schweiz die aussenpolitische Öffnung unseres Landes und einen dritten Weg: Die Schweiz muss in der Sicherheitspolitik ihr Engagement in Zukunft in zwei Richtungen lenken: In den Aufbau eines Systems der kollektiven Sicherheit unter Leitung der UNO und parallel dazu in eine verstärkte Zusammenarbeit mit den befreundeten Nachbarstaaten für die Organisation von Überwachungsaufgaben." In den Medien machte vor allem ihr Vorschlag Furore, auf die Wehrpflicht zu verzichten, denn "die Bestände der Armee müssen massiv reduziert werden (15 000 ZeitsoldatInnen, die für fünf Jahre engagiert werden, sowie eine Reserve von 45 000 Personen genügen.)" Und: "Die Rüstungsausgaben brauchen eine Abmagerungskur."
Auf eine eigentliche Vernehmlassung verzichtet haben die Grünen. Sie bedauern, mit der "Armee XXI" ändere sich nichts wirklich. Und weil ihre Überlegungen und ihr Engagement vor allem auf Abrüstung und zivile Friedensförderung ausgerichtet sei, fehle die Motivation sich auf eine genauere Analyse der Vorlage einzulassen.
Auch der Schweizerische Friedensrat (SFR) hat sich an der Vernehmlassung beteiligt. Wir haben das Schwergewicht auf Grundsatzfragen gelegt, denn das "Armeeleitbild XXI stützt sich auf den Bericht Sicherheit durch Kooperation (Sicherheitspolitischer Bericht 2000) ab, der im Titel zwar eine längst überfällige Neuorientierung der schweizerischen Sicherheitspolitik signalisiert, dessen grösster Mangel aber darin besteht, dass diese nicht wirklich vollzogen wird." Wir fordern deshalb zuerst "die Klärung, welche Ziele mit welchen Kooperationen erreicht werden sollen und können".
Aus unserer Sicht geht es um die Abkehr vom militärischen Sicherheitsdenken und die Ausrichtung auf das Prinzip der kollektiven Sicherheit: "Nicht die ausschliessliche und ausschliessende Sicherheit für ein Land oder Bündnis ist das Ziel, sondern der Aufbau eines Systems des friedlichen Zusammenlebens für alle Länder, Völker und Menschen. Mit diesem Ziel wurde am Ende des 2. Weltkrieges die UNO gegründet." Darauf ist die schweizerische Friedens- und Sicherheitspolitik auszurichten.
Aber selbstverständlich geht es auch um die Frage, welche Kooperationen die Schweiz auf europäischer Ebene eingehen soll. Dabei ist die Schlüsselfrage aus unserer Sicht, wie sich die "Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik" (ESVP) entwickelt: " ob es ein hierarchisches Gefälle von der NATO zur ESVP geben wird und vor allem, ob sich die ESVP in Richtung eines Militärbündnisses oder einer Militärmacht entwickelt, oder ob sie sich als Instrument zur Umsetzung der kollektiven Sicherheit im Rahmen der UNO versteht. Diese Fragen zur Ausrichtung der europäischen Sicherheitspolitik sind in den nächsten Jahren zu klären. Wenn die Schweiz in diesen Fragen Einfluss nehmen will, so muss sie sich um den Beitritt zur EU bemühen, und zwar nicht irgendwann nach 2010, sondern so bald wie möglich."
Die offiziellen Unterlagen zu den Vernehmlassungen sind auf der Homepage des Bundes, die Stellungnahmen der Parteien und des SFR auf den entsprechenden Seiten zu finden:
VBS www.vbs.admin.ch/internet/d/armee/PUB/alb/INDEX.HTM
CVP www.cvp.ch/deutsch/aktuell/text-detail.asp?contentid=964
SVP www.svp.ch/vernehmlassungen/default.htm
SFR www.friedensrat.ch/aktuell.htm
*Ruedi Tobler ist Präsident des Schweizerischen Friedensrates und hat massgeblich an dessen Vernehmlassungen zu "Armee XXI" und Bevölkerungsschutz mitgearbeitet.Gleichzeitig mit der "Armee XXI" lief die Vernehmlassung zum "Leitbild Bevölkerungsschutz", praktisch unbeachtet von der Öffentlichkeit. Das offizielle Projekt ist zwar viel stärker auf zivile Katastrophen als bisher ausgerichtet. Dennoch soll für den Zivilschutz sowohl die Dienst- wie die private Bunkerbaupflicht aufrecht erhalten werden. Die SPS und der Schweizerische Friedensrat fordern dezidiert die Abschaffung des Zivilschutzes. Dem gegenüber möchte die CVP, dass "die Frage eines umfassenden Dienstpflichtsystems erneut geprüft werden sollte". Die Positionen für die Auseinandersetzung um Wehr- und Dienstpflicht sind also bezogen.
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