Für Frauen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa gibt es de fakto drei Möglichkeiten, in die Schweiz zu kommen: Als Cabaret-Tänzerin, als Ehefrau oder als Touristin.1 Die beiden ersten Möglichkeiten reduzieren Migrantinnen auf den "weiblichen", reproduktiven Bereich, dass heisst, ihre sogenannten Fähigkeiten und Ressourcen als Frauen ermöglichen ihnen einen Aufenthalt in der Schweiz. Beide Aufenthaltsmöglichkeiten bringen Migrantinnen in Abhängigkeiten von Arbeitgebern oder Ehemännern, die sie unter Druck setzen können. Als Folge suchen viele Frauen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa die Beratungsstelle des FIZ auf, weil sie sexuelle Gewalt erlitten haben.
Anna zum Beispiel, von Beruf Ballett-Tänzerin, wurde in Ungarn von einem Agenten als Cabaret-Tänzerin angeworben. Cabaret-Tänzerinnen dürfen laut Gesetz acht Monate pro Kalenderjahr in der Schweiz arbeiten; in dieser Zeit werden sie von ihren Agenten jeden Monat an ein anderes Cabaret vermittelt. Ihr Nettolohn beträgt ca. 2300 Franken monatlich.
Es gab Anna ein Gefühl der Sicherheit, dass Prostitution in der Schweiz für Frauen mit einer Aufenthaltsbewilligung L (Cabaret-Tänzerinnen) verboten ist. Nach den Auftritten, bei denen sie sich ausziehen musste, war es selbstverständlicher Teil ihrer Arbeit, sich zu den Kunden zu setzen, um mit ihnen Alkohol zu konsumieren. Dies hat schwerwiegende Auswirkungen auf ihre Gesundheit.
Alkoholanimation ist für Tänzerinnen zwar gesetzlich verboten, aber es ist ein offenes Geheimnis, dass sie überall stattfindet, macht doch der Alkoholumsatz den Profit der Cabarets aus. Anna wurde zudem vom Cabaretbesitzer unter Druck gesetzt, sich bei den Kunden zu prostituieren. Sie weigerte sich und suchte Unterstützung bei ihrem Agenten. Doch dieser stellte klar, dass er keine neuen Verträge für Anna organisieren würde, wenn sie sich weigerte, sich zu prostituieren. Damit würde sie arbeitslos und müsste die Schweiz umgehend verlassen.
Da die Arbeit in den Cabarets mit sexueller Ausbeutung und Gewalt eng verknüpft ist, fordert das FIZ zusammen mit anderen Organisationen seit langem die Ausweitung der Arbeitsbewilligungen für Cabaret-Tänzerinnen.2 Doch bis heute dürfen Migrantinnen, die mit einer Tänzerinnenbewilligung in der Schweiz arbeiten, keiner anderen Beschäftigung nachgehen. Diese Reduktion der Frauen auf den Sexbereich ist eine Form struktureller sexueller Ausbeutung, an der die Schweiz kräftig mitverdient: Die 2000 Cabaret-Tänzerinnen bezahlen zusammen jährlich ca. 10 Millionen Franken Quellensteuern; dazu kommen noch einmal 6 bis 7 Mio. Franken an AHV- und ALV-Beiträgen (obwohl Cabaret-Tänzerinnen keine Leistungen dieser Sozialversicherungen beziehen können).
Migrantinnen, die mit einem Schweizer verheiratet sind, können sich während der ersten fünf Jahren der Ehe nicht scheiden lassen, ohne ihr Aufenthaltsrecht zu riskieren.3 Selbst wenn der Grund für die Scheidung erlittene (sexuelle) Gewalt ist, verlieren sie ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz, denn das Verschulden, welches zur Scheidung führte, hat keine Bedeutung für die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung.
Diese Regelung, die Migrantinnen von ihren Ehemännern abhängig macht, fördert und unterstützt sexuelle Gewalt. Im FIZ beraten wir viele Frauen, deren Männer drohen, sich scheiden zu lassen, falls sich die Frau wehrt im Wissen darum, dass sie dann ihr Aufenthaltsrecht verlieren wird. Der Gesetzgeber schafft damit Abhängigkeiten, die Gewalt begünstigen, anstatt sie zu verhindern.
Viele Frauen haben mit der Migration in die Schweiz ihre Lebensgrundlage im Herkunftsland aufgegeben, ihre Arbeitsstelle gekündigt, ihr Haus verkauft. Eine erzwungene Rückkehr bedeutet für sie eine Reise ins Nichts, den erneuten Verlust der Existenzgrundlage.
Auch die Errungenschaft der Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe ist für Migrantinnen paradox: Zwar können sie heute einen Prozess gegen ihren Ehemann wegen Vergewaltigung führen, können sich aber gleichzeitig in den ersten fünf Jahren nicht scheiden lassen, ohne ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz zu verlieren. Ist eine Migrantin mit einem in der Schweiz lebenden Migranten verheiratet ist, darf sie in dieser Situation nicht einmal den gemeinsamen Haushalt verlassen. Von sexueller Gewalt betroffene Migrantinnen müssen also weiterhin mit dem Täter zusammenleben, wenn sie in der Schweiz bleiben wollen.
Die Forderung nach einem zivilstandsunabhängigen Aufenthaltsrecht, wie sie das FIZ und andere Migrantinnen- und Frauenorganisationen seit Jahren stellen, würde es Migrantinnen ermöglichen, sich gegen (sexuelle) Gewalt zu wehren, ohne in der Abhängigkeit zum Täter verhaftet zu bleiben. Der Ständerat hat jedoch erst kürzlich in seiner Antwort auf die Initiative Goll für ein zivilstandsunabhängiges Aufenthaltsrecht festgehalten, dass in dieser Frage kein dringlicher Handlungsbedarf bestünde.4 Deshalb ist absehbar, dass sich die Situation verheirateter Migrantinnen weiter verschlechtern wird. Im Entwurf für die neueste Revision des Ausländergesetzes ist vorgesehen, dass in Zukunft auch Migrantinnen, die mit einem Schweizer verheiratet sind, den gemeinsamen Wohnsitz nicht mehr verlassen können, ohne ihr Aufenthaltsrecht zu verlieren.
Viele Migrantinnen wählen die dritte Möglichkeit, in die Schweiz zu gelangen, und reisen als Touristinnen ein. Ihnen ist es laut Gesetz untersagt zu arbeiten. Wenn sie sich länger als drei Monate in der Schweiz aufhalten, leben sie illegalisiert5 hier. Auch illegalisierten Frauen wird sexuelle Gewalt angetan, von Arbeitgebern, Freunden oder Freiern. Sie haben aber kaum Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren: Erstatten sie Anzeige, laufen sie Gefahr, umgehend wegen eigener Vergehen (illegaler Aufenthalt, illegale Arbeitstätigkeit) belangt und ausgeschafft zu werden.
In diesem Zusammenhang ist die Forderung nach Entkriminalisierung und Regularisierung des Lebens von Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung zentral, damit sich alle Migrantinnen in der Schweiz gegen Übergriffe, Gewalt und Ausbeutung wehren können. Und damit die Menschenrechte auch für sie gewährleistet sind.
Frauenhandel stellt die extremste Ausbeutungs- und Gewaltsituation für Migrantinnen dar. Nach schweizerischem Gesetz besteht theoretisch die Möglichkeit eines Strafverfahrens gegen TäterInnen. Die Praxis zeigt jedoch, dass viele Betroffene ausgeschafft werden, ohne dass Justiz und Polizei abgeklärt haben, ob ein Fall von Frauenhandel vorliegt. Deshalb kommt es in der Schweiz kaum je zu einer Anzeige oder einem Prozess wegen Frauenhandels. Ähnlich wie illegalisierte Frauen werden auch hier die Opfer zu Täterinnen und wegen ausländerrechtlicher Vergehen kriminalisiert, statt als Opfer geschützt.
Gesetzliche Anpassungen und Änderungen der Strafverfolgungspraxis sind deshalb dringend notwendig. Das FIZ hat im Frühjahr 2000 eine Petition mit der Forderung nach einem Schutzprogramm für Betroffene von Frauenhandel eingereicht. Darin wird Frauenhandel im Zusammenhang mit Gewalt, Zwang und Täuschungspraktiken definiert, die gegen Migrantinnen angewendet werden.6 Die Petition fordert für die Betroffenen nicht nur ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz, sondern umfassenden Schutz und Sicherheit sowie die Schaffung spezifischer Beratungsstellen.
Obwohl in der Schweiz eine grosse Nachfrage nach billigen weiblichen Arbeitskräften und ausländischen Ehefrauen besteht, garantieren die gesetzlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen den Migrantinnen keineswegs Aufenthalt, Sicherheit und Einkommen. Der rechtliche Status vieler Migrantinnen ist so unsicher, dass sie mit dem Verlust ihrer Aufenthaltsbewilligung rechnen müssen, wenn sie sich gegen sexuelle Gewalt zur Wehr setzen. Damit ermöglicht die schweizerische Migrationspolitik letztlich Gewalt gegen Migrantinnen, anstatt sie zu verhindern. Weil aber "sexuelle Gewalt ihren Ursprung in gesellschaftlichen Machtverhältnissen zwischen Mann und Frau hat, und einen Machtmissbrauch mittels Sexualität"7 darstellt, muss es für Migrantinnen Aufenthaltsmöglichkeiten geben, die unabhängig von Männern (Arbeitgeber, Ehemänner etc.) sind, um sie vor dem Machtmissbrauch von Männern zu schützen.
Trotz dieser strukturellen Benachteiligungen erleben wir im FIZ, dass sich Migrantinnen in der Schweiz gegen sexuelle Gewalt wehren. Auch innerhalb ihres rechtlich eingeschränkten Handlungsspielraums entwickeln sie immer wieder neue Strategien, um aus Gewaltverhältnissen ausbrechen zu können.
1 Ausnahmen sind Aufenthaltsmöglichkeiten als Studentin, Asylsuchende, Spezialistin, Frau in Kaderfunktion oder im Zusammenhang der Entwicklungszusammenarbeit. 2 S. FIZ Rundbrief 21 (1997) und 22 (1998): Nationalrätin R.G. Vermot reichte 1996 eine Motion ein, die fordert, dass Cabaret-Tänzerinnen auch anderen Erwerbstätigkeiten nachgehen können. Dies wurde vom Ständerat mit der Begründung abgelehnt, dass eine solche Regelung eine Bevorzugung von Cabaret-Tänzerinnen gegenüber anderen Berufsgruppen bedeuten und einen neuen Weg der Einwanderung ermöglichen würde. 3 In ihren Ausweispapieren steht als Aufenthaltszweck: "Verbleib beim Ehemann". Ausnahmen gibt es nur, falls das Paar gemeinsame Kinder hat. 4 "Die Kommission ist der Meinung, dass sich ein Zuwarten [auf die Totalrevision des Anag; die Red.] verantworten lässt, weil für Härtefälle bereits heute befriedigende Ausnahmeregelungen verfügbar sind." (NZZ vom 12. Juni 2001) 5 Mit dem Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel sind wir der Meinung, dass "... kein Mensch illegal' ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner, sie können gerecht sein oder ungerecht, aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?" Die Bezeichnung "Illegalisierung" soll sichtbar machen, dass Nationalstaaten Menschen aus der Gesellschaft ausschliessen, sie umfassender Rechtlosigkeit aussetzen und damit der Ausbeutung Vorschub leisten. 6 Im Schweizerischen Strafgesetz wird Frauenhandel nur im Zusammenhang mit der Zuführung zur Prostitution berücksichtigt. Das FIZ definiert Frauenhandel jedoch aus langjähriger Erfahrung in der Beratung von Betroffenen weitreichender. Frauenhandel liegt für uns dann vor, wenn sich eine Frau aufgrund falscher Versprechungen auf die Migration eingelassen hat. wenn sie Geldbeträge für die Vermittlung durch AgentInnen und/oder andere Dienstleistungen erbringen muss. wenn gegen sie Gewalt oder Täuschungspraktiken angewendet werden. wenn sie sich im Zielland in einer Zwangssituation befindet.Damit soll auch Frauenhandel im Zusammenhang mit Heiratshandel oder anderen Formen erzwungener Tätigkeiten strafbar sein. (Vgl. auch UNO: Revised Draft Protocol to Prevent, Suppress and Punish Trafficking in Persons, especially Women and Children, 23.11.1999) 7 Leitbild Nottelefon Zürich, April 2001 *Doro Winkler Winkler ist Mitarbeiterin des FIZ in Zürich.Das Fraueninformationszentrum für Frauen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa (FIZ) unterstützt Migrantinnen, die von Gewalt und Ausbeutung betroffen sind, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Durch Informations- und Öffentlichkeitsarbeit will das FIZ Gesellschaft und Politik für die Problematik Frauenhandel und Frauenmigration sensibilisieren.
FIZ, Quellenstrasse 25, 8005 Zürich, Telefon 01/271 82 82, Fax 01/272 50 74. E-Mail: fiz-mail@access.ch . Telefonische Beratung MoDo 913 Uhr, persön-liche Beratung n. Vereinbarung.
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