Gewalt im Reich der Liebe: Hypotheken und Visionen
Gewalt war in unserer Gesellschaft schon in früheren Jahrhunderten allgegenwärtig. Die herrschenden Hausväter als solche galten alle Machtträger von den Königen über den Adel bis hinunter zum gewöhnlichen Hausvater legitimierten ihre Macht- und Gewaltausübung mit dem Hinweis auf Gott, der als grösster und mächtigster Hausvater galt. Patriarchat heisst nicht umsonst Herrschaft der Väter. Innerhäusliche Gewalt war in diesem System nicht tabuisiert, sondern ebenso offen und selbstverständlich wie in anderen Bereichen der Gesellschaft.
Die christliche Herrschaft der Väter wurde im Lauf der letzten gut 200 Jahre abgelöst von der Herrschaft aller Männer, die als biologisch rationale und höherstehende Wesen definiert wurden und notgedrungen über Natur und Frauen regierten. In den öffentlichen Bereichen der Gesellschaft wurden rationale Konfliktlösungssysteme eingeführt wie allgemeingültige Gesetze, Verhandlungen etwa bei Lohnkonflikten oder das Gewaltmonopol des Staates. Im Bereich des Privaten hingegen hatten diese Mechanismen nichts zu suchen. Sie galten explizit nur für öffentliche Männerbereiche. In der Familie regierte laut der herrschenden Doktrin unter Anleitung des rationalen Mannes das Weibliche, das Harmonie, Liebe und Frieden schaffen sollte. Innerhäusliche Gewalt wurde strikte tabuisiert, sie durfte einfach nicht vorkommen. Wenn doch, galt die Frau als schuldig, da sie unfähig war, das geforderte harmonische Familienklima zu schaffen.
Die Wirkungsmacht dieser ideologischen Bilder war und ist enorm stark. Innerhäusliche Gewalt und Vergewaltigung war einer der am stärksten tabuisierten Bereiche, der in der Schweiz erst nach lautstarken Protesten der Neuen Frauenbewegung im Laufe der 1980er Jahre thematisiert wurde. Heute ist wenigstens die Diskussion um die Täter- und Opferrollen auf der richtigen "Schiene". Die Erkenntnisse der Mittäterschaft von Frauen soll nicht darüber hinweg täuschen, dass Gewalt als Mittel der Konfliktlösung unakzeptabel ist.
Die Utopien einer gewaltfreien Gesellschaft, eingegrenzt auf das Thema der innerhäuslichen Gewalt, möchte ich etwa so formulieren:
Auf der gesellschaftlichen Ebene sollen Gesetze mit Sanktionen nicht nur existieren, sondern auch angewendet werden. Dazu gehören gleiche Rechte auch am Arbeitsplatz, gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, Sozialrechte für alle, auch für Kinder. Wichtig sind auch die staatlich unterstützten Kampagnen zur Aufklärung, das Erlernen von alternativen Konfliktlösungen auch in der Schule und vor allem die Förderung von Männern, die anderen Männern und Knaben eine gewaltfreie Männlichkeit vorleben.
Letztlich ginge es im gesellschaftlichen und ideologischen Wandel darum, dass jede Frau und jeder Mann fähig wäre, physisch und psychisch sein "Herdfeuer" zu unterhalten, wie Carola Meier-Seethaler sagt, und für sich in jeder Hinsicht zu sorgen. Das gibt Offenheit und Reife für Beziehungen der verschiedensten Art.
*Heidi Witzig ist Historikerin.Seit der Gründung der Schweiz im Jahre 1848 liegt die gesetzliche Gewalt beim Staat. Bis vor noch nicht allzu langer Zeit gehörte in diesem Sinne der Staat zur öffentlichen Sphäre, die ausschliesslich von Männern bestimmt wurde.
Was Gesetzesgewalt bedeutet, erfährt nicht nur derjenige, der einer kriminellen Tat überführt wird, sondern auch jede Frau, die ungeplant schwanger wird und die Verantwortung für ein Kind nicht tragen kann oder will. Als zähes Relikt der Geschlechtervormundschaft erfährt sie bis zum heutigen Tag, dass ihr das Recht auf freie Entscheidung und moralische Autonomie abgesprochen wird. Auch wenn in der Schweiz heute jede Frau die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch hat, wirkt doch im Hintergrund die gesetzliche Gewalt, die zwar nicht weh tut, die jedoch für alle Frauen entmündigend und entwürdigend ist.
Barbara Sterkman, Frauenambulatorium ZürichInhaltsübersicht | nächster Artikel |