Weshalb die geringe Mitarbeit von Männern im Haushalt etwas mit sexueller Gewalt zu tun hat

Frauen, so meint der Nachbarsbub zu mir, könnten besser Wäsche waschen und besser kochen, wo hingegen Männer einfach alles reparieren könnten. Woher er das wohl hat? Gerade steht sein Vater mit einem Korb voll Wäsche im Hof und beginnt damit, sie aufzuhängen. Dem Jungen würde es nicht am Vorbild fehlen – trotzdem ist er bereits mit seinen sechs Jahren davon überzeugt, dass der Unterschied zwischen Männern und Frauen sich in ihren unterschiedlichen Begabungen im Haushalt äussert. Geschlechterstereotypen halten sich hartnäckig. Die wohlgemeinteste Pädagogik und die besten Vorbilder scheinen nicht selten wirkungslos.

Von Sonja Hug*

Die gesellschaftlichen Strukturen zementieren die unterschiedliche Rollenerwartung und legen jenen Menschen, die dieser Zurichtung entfliehen wollen, Steine in den Weg. Die Kinderbetreuung wird noch immer als primär private Angelegenheit gesehen und vornehmlich von Frauen geleistet. Das gesellschaftliche Bild von Frauen und Männern ist noch immer erstaunlich konservativ. Männer opfern sich für fremde Händel und Frauen trauern zu Hause. Was in der Propaganda jener Partei mit dem geringsten Frauenanteil auf allen Ebenen erscheint, spukt auch in vielen fortschrittlichen Köpfen noch herum. Bei Männern werden Durchsetzungsvermögen und zielgerichtetes Verhalten als positive Eigenschaften gefördert. Männer sollen es zu etwas bringen und, wenn es sein muss, auch mal gegen den Willen anderer sich durchsetzen. Legen Frauen die gleiche Entschiedenheit an den Tag, so werden sie meist als unsozial, unfreundlich und vor allem unweiblich wahrgenommen. Eigenschaften haben je nach dem, ob sie bei Frauen oder Männern auftreten, einen unterschiedlichen Wert. Diese Zuschreibungen und Rollenerwartungen haben Spuren in den Seelen hinterlassen. Das Selbstbild vieler Männer und Frauen ist davon geprägt. Frauen sehen sich als fürsorglich und verständnisvoll – und erwarten das auch von anderen Frauen. Männer verbergen Unsicherheiten und Ängste tunlichst vor sich selber und vor ihren Geschlechtsgenossen.

Was haben starre Geschlechterrollen mit sexueller Gewalt zu tun?

Sexuelle Gewalt und geschlechterspezifische Sozialisation stehen in engem Verhältnis zueinander. Die starre Rollenerwartung an Männer und Frauen bildet die Grundlage, auf der sexuelle Gewalt möglich ist. Der Umstand, dass Frauen von der Gefahr sexueller Gewalt und sexistischer Entwertung wissen, beeinflusst ihr Verhalten im öffentlichen und privaten Raum. Sexuelle Gewalt ist so gleichzeitig Ausdruck des Machtverhältnisses zwischen den Geschlechtern und Mittel zu dessen Aufrechterhaltung.

Welche Motive haben Vergewaltiger?

Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und andere Formen sexueller Gewalt sind durch die Opfer erlittene und durch einzelne Täter begangene Taten. Gleichzeitig sind sie Ausdruck des herrschenden Machtverhältnisses und der gesellschaftlich installierten und tradierten Frauenverachtung.

Im Gegensatz zu einer noch immer verbreiteten Vorstellung sind Vergewaltiger nicht geleitet von ihrem Verlangen nach Sex. Nicht ein kaum zu kontrollierender Sexualtrieb steht als Ursache hinter den meisten Vergewaltigungen, sondern das Bedürfnis nach Unterwerfung des Opfers, Frustrationsabwehr und Korrektur des angeschlagenen Selbstbewusstseins. In einer Untersuchung von Alberto Godenzi aus dem Jahr 1989 erläutern Täter, die nicht vor ein Strafgericht kamen, in anonymen Befragungen ihre Motive. Sie formulieren zum Beispiel:

"Weil wir am gleichen Ort arbeiteten, kannte ich sie flüchtig. An der Jahresfeier der Firma tanzten wir dann gemeinsam, und ich fuhr sie später zu ihr nach Hause. Ich rechnete damit, dass ich mit ihr schlafen könnte, sonst hätte sie ja nicht mit mir getanzt und hätte mich nicht noch hereingelassen. Aber dann zierte sie sich und ich musste ein bisschen nachhelfen."

Obwohl bereits mehr als zehn Jahre alt, hat die Studie nichts an Aktualität verloren. In den Beratungen des Nottelefons Zürich erzählen Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, immer wieder Geschichten, die zeigen, dass die Täter davon ausgehen, dass sie ein Recht auf die Durchsetzung ihrer Wünsche haben. Oder dass sie Gewalt ausüben, um endlich mal wieder derjenige zu sein, der das Sagen hat. In Weiterbildungen konfrontieren uns nicht selten Männer und Frauen mit der Meinung, das aufreizende Verhalten von Frauen sei Ursache sexueller Gewalt. Der Minirock als Hauptursache sexueller Gewalttaten hat leider noch lange nicht ausgedient, auch wenn eine wissenschaftliche Erhärtung dafür nach wie vor aussteht.

Die Motivation der Täter zeigt, welche Auswirkungen die gesellschaftlich installierte Rollenzuschreibung und die damit verbundene Zurichtung haben. Dies soll aber nicht als Entschuldigung der Täter dienen. Egal wie starr die Strukturen, egal wie festgefahren die Möglichkeiten sind, den Tätern bleibt immer der Ausweg, auf die Tat zu verzichten.

Angst vor sexueller Gewalt als Teil weiblicher Sozialisation

Frauen lernen früh, dass ihre Integrität nicht im gleichen Masse geschützt ist wie diejenige von Männern. Angst ist ein Lebensgefühl, dass viele Mädchen von früh auf kennen. Auch jene Frauen, die nicht persönlich Opfer von sexueller Gewalt wurden, wissen, dass sie Opfer werden können. Dieser Umstand kann ihr Verhalten bewusst oder unbewusst steuern. Frauen gehen weniger entspannt durch dunkle Strassen. Treten Frauen öffentlich auf, rechnen sie auch mit sexistischen Anwürfen oder verzichten aus Angst vor solchen auf ein entschiedenes Auftreten. Die Angst und Vorsicht ist nicht bei allen Frauen gleich ausgeprägt und sie muss nicht zwangsläufig zum Rückzug führen. Die Schwierigkeit im Umgang mit Angst vor sexueller Gewalt besteht darin, dass sie nie unberechtigt ist, dass ihre Ausformung aber gleichzeitig durch gesellschaftliche Mythen bestimmt wird. Dunkle Gassen sind nicht die gefährlichsten Orte für Frauen. Der statistisch weitaus gefährlichste Ort für eine Frau ist ihre Wohnung, wenn sie diese mit einem Mann teilt. Diese Erkenntnis ist bitter, und für viele Frauen ist es deshalb noch immer angenehmer, vor allem dunkle Orte zu meiden. Unrecht haben sie damit nicht, denn auch auf der Strasse und in der Dunkelheit kann eine Frau vergewaltigt werden. Der Umstand, dass es für Frauen in dieser Gesellschaft keinen sicheren Ort gibt, bestimmt ihr Lebensgefühl und ihre Tatkraft massgeblich.

Opfer sexueller Gewalt werden vom Leben ausgeschlossen

Nicht nur durch die Angst, die Frauen empfinden, werden sie in ihrer Entfaltung gehindert. Studien zeigen, dass jede vierte Frau einmal in ihrem Leben von sexueller Gewalt betroffen ist. Was bedeutet diese Zahl für eine Gesellschaft neben dem persönlichen Leid der Betroffenen? Die Folgen sexueller Gewalt sind je nach Tat und Täter und je nach Lebensumständen so gravierend, dass die Betroffenen oft jahrelang ihre ganze Energie darauf verwenden müssen, um zu überleben. Es ist dabei für sie weder möglich, sich um ihr berufliches Fortkommen zu kümmern, noch sich karitativ oder politisch zu betätigen. Ihr Vertrauen in Menschen ist derart erschüttert, dass sie sich nur noch in einer vertrauten Umgebung einigermassen sicher fühlen. Ein Aufbruch, um Neues zu erfahren, ist für sie mit zu viel Unsicherheit verbunden. In den Beratungen treffen wir immer wieder auf Frauen, die durch das Erleben sexueller Gewalt in ihren Lebensmöglichkeiten eingeschränkt werden. Dieser Umstand wird gerne vergessen, wenn über die vermehrte Beteiligung von Frauen in Wirtschaft und Politik gesprochen wird. Nicht nur fehlende Kinderbetreuung und Teilzeitstellen verhindern die Beteiligung von Frauen, auch die Folgen sexueller Gewalt tragen dazu bei.

Gleichstellung ist in allen Lebensbereichen notwendig

Was Jahrhunderte gewachsen ist, wird nicht in ein paar Jahrzehnten definitiv geändert. Dennoch sind Schritte möglich, und es zeigen sich erste Resultate. Es ist den Frauen der neuen Frauenbewegung zu verdanken, dass Einrichtungen für Opfer männlicher Gewalt entstanden sind. Durch vermehrte Öffentlichkeitsarbeit wurde das Thema sexuelle Gewalt gegen Frauen (und später auch sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Knaben) enttabuisiert. Eine Voraussetzung dafür, dass Betroffene überhaupt Unterstützung in Anspruch nehmen können.

Daneben bleibt noch viel zu tun. Erst die effektive Gleichstellung der Geschlechter in allen Lebensbereichen und die Veränderung der starren Rollenerwartungen wird auf lange Sicht die Gewalt gegen Frauen eindämmen. Dabei sind vor allem strukturelle Veränderungen notwendig – aber auch Väter, die Wäsche aufhängen, und Mütter, die Beton giessen.

*Sonja Hug ist Teamleitungsmitglied beim Nottelefon und der Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt Zürich.

Jubiläum

Die Beratungsstelle Nottelefon Zürich feiert nächstes Jahr das 20jährige bestehen. Das grosse Geburtstagsfest findet am 8. März 2002 in der Kanzleiturnhalle in Zürich statt.

Daneben sind verschiedene thematische Abende geplant und ein Benefizkonzert.

Wer im Zusammenhang mit sexueller Gewalt als Betroffene, Bezugsperson etc. Beratung wünscht, kann sich beim Nottelefon Zürich melden (Telefon 01 291 46 46). Die Beratungsstelle Zürich vermittelt auch Adressen in anderen Städten.


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