Feministische Friedenspolitik, Teil 2

Feministische Friedenspolitik ist die Kontextualisierung von Widersprüchen, ist parallel zum Gender-Mainstreaming Peace-Mainstreaming, ist Friedenspolitik als Querschnittaufgabe, ist das Beharren auf einer geschlechterspezifischen Perspektive, ist...
In der letzten Nummer der FriZ hat die cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit, die dieses Jahr ihren 20-jährigen Geburtstag feiert, ihr Selbstverständnis von feministischer Friedenspolitik dargelegt. Widersprüche begleiten die Jubilarin in ihrer politischen Praxis ständig. Um ihnen zu begegnen, muss sie sich entweder positionieren oder die Widersprüche kontextualisieren. Sie macht beides! In der Praxis ist sie sehr oft gezwungen, die eine oder andere Seite zu beziehen. Theoretisch versucht sie hingegen, die Widersprüche zu analysieren und sie zu kontextualisieren. Im ersten Teil (s. FriZ 2/01) ging es um den Widerspruch zwischen Gleichheit und Differenz in der Frauen- und Friedensbewegung.
Im zweiten Teil thematisiert Sibylle Mathis, Mitarbeiterin der cfd-Frauenstelle, diesmal an Hand der Auseinandersetzung um die Militärgesetzrevision den zweiten Grundwiderspruch.

Die Kontextualisierung von Widersprüchen: Visionen versus Realpolitik

Von Sibylle Mathis*

Die Auseinandersetzung über bewaffnete Auslandeinsätze der Schweizer Armee hat in den vergangenen Monaten für viel Unruhe gesorgt und zur Spaltung der friedenspolitischen Organisationen im besonderen und der Linken im allgemeinen geführt. Der Graben verlief meist quer durch die Organisationen – sowohl bei den politischen Parteien wie auch bei den Gewerkschaften und den Hilfswerken.

Die beiden Friedensorganisationen am Gartenhof in Zürich jedoch, der christliche Friedensdienst cfd und der Schweizerische Friedensrat SFR, waren sich jeweils intern in ihrer Ablehnung beziehungsweise Befürwortung der Armeegesetzrevision weitgehend einig. Seit ihrer Gründung in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts stehen sie für zwei unterschiedliche friedenspolitische Konzepte, die sich immer wieder mal im Widerspruch zueinander befinden. Die Benennung der einen oder anderen Seite dieses Widerspruches fällt je nach politischer Verortung verschieden aus, meint aber im Grunde dasselbe:

Visionen, utopisch, linkslastig, antimilitaristisch, pazifistisch, radikal...

versus

Realpolitik, pragmatisch, Politik der kleinen Schritte, gemässigt, reformistisch...

Es handelt sich hier um die Frage nach dem Verhältnis von Frieden, Gewaltfreiheit und Gewalt, das seit jeher Thema in der Friedensforschung und -politik war und abhängig von der politischen Lage mehr oder weniger deutlich in Erscheinung tritt – zuletzt beispielsweise in der Auseinandersetzung um die Militärgesetzrevision.

Traditionelle Friedensforschung

Institutionell eingebundene (Real-)PolitikerInnen und Teile der friedenspolitischen Linken vertreten eine Friedenspolitik, die sich eher an einem negativen Friedensbegriff orientiert und insbesondere auf die Kontrolle vorhandener Gewaltfaktoren zielt. Ihre VertreterInnen thematisieren in erster Linie vordergründige Ursachen und mögliche Folgen sicherheitspolitischer Krisen oder militärischer Konflikte. Im militärischen Bereich kümmern sie sich um Rüstungskontrolle und Rüstungsbeschränkung. Im zivilen Bereich gelten die Entschärfung explosiver Spannungsherde, die Vermittlung in Krisen durch internationale Organisationen sowie das ganze Spektrum der präventiven Diplomatie und der zivilen und militärischen Konfliktbearbeitung als wichtige Herausforderungen. Die Kritik am unfriedlichen Status quo ist weniger radikal als vielmehr pragmatisch.

Eine so verstandene Friedenspolitik bemüht sich vor allem um die Bändigung der extremen Auswüchse des Unfriedens. Deshalb wird diese in der Fachliteratur auch "traditionell" oder "mittelfristig" genannte Friedensstrategie von ihren KritikerInnen manchmal kaltschnäuzig als "Abrüstungsforschung" bezeich net. Sie pervertiere ihre eigenen Ziele, so die Argumentation, weil sie lediglich die Zähmung des Rüstungswettlaufes, nicht aber die Überwindung der Rüstungsgesellschaft und die Abschaffung des internationalen Drohsystems thematisiere und somit letztlich dessen Rationalisierung betreibe.1

Kritische Friedensforschung

Die cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit hingegen betont den positiven Friedensbegriff, ergänzt ihn aber auch um eine negative Dimension (siehe unten). Sie ist Anhängerin der sogenannten "kritischen" oder "langfristigen" Friedensforschung, die sich von der "traditionellen" oftmals abgrenzt. Sie beschäftigt sich mit den tiefer liegenden Bedingungen des Unfriedens (z. B. gesellschaftlichen, geschlechterspezifischen, psychischen). Sie untersucht die erforderlichen, respektive nützlichen Voraussetzungen für eine friedlichere oder zumindest gewaltärmere Welt. Konkrete Forschungsgegenstände sind beispielsweise patriarchale, wirtschaftliche und politische Interessen, die zu Unfrieden führen, ihn erhalten oder auch verstärken.

Für die cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit heisst das: Wir wollen die gesellschaftlichen Voraussetzungen ändern, die immer wieder zu Krieg und Gewalt führen. Wir wenden uns gegen die unfriedlichen Verhältnisse an und für sich, nicht nur gegen deren extreme Auswüchse. Wir sind für den Abbau von jeglicher Gewalt und setzen uns ein für soziale Gerechtigkeit für alle. Deshalb sind wir auch gegen militärische Kon-fliktlösungsstrategien und kritisieren Begriffe wie "militärische Friedenssicherung". Feministische Friedenspolitik fordert eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Militarismus als Ideo-logie. Das heisst, sie besteht auf der Auseinandersetzung um die Zusammen- hänge von Krieg, Militär, Gewalt und Geschlecht.

Armeegesetzrevision: Militärlogik statt Militärkritik

An der Debatte um die Militärgesetzrevision kritisierte die cfd-Frauenstelle, dass die Militärkritik einer Militärlogik gewichen ist, "in der die Institution des Militärs nicht mehr grundsätzlich hinterfragt, sondern als Mittel der Konfliktregelung betrachtet wird."2

Wenn bewaffnete Auslandeinsätze der Schweizer Armee gemäss dem Präsidenten des Schweizerischen Friedensrates "in einer pazifistischen Perspektive liegen"3, dann kommt das der Maxime "Si vis pacem, para bellum" (Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg) gefährlich nahe und droht in die Ideologie gerechter Kriege beziehungsweise legitimer Militärinterventionen zurückzufallen.

Das Dilemma: Realpolitik mit Utopien und Visionen

Andererseits kann uns und anderen Ver-treterInnen der kritischen oder feministischen Friedensstrategie durchaus die provokante Frage gestellt werden, ob wir auf der Suche nach dem besseren Übermorgen nicht die Überlebensprobleme der menschlichen Gesellschaft auf dem Wege vom Heute zum Morgen vernachlässigen. Wir plädieren für eine integrale Friedensstrategie. Ohne Anerkennung der realpolitischen Wirklichkeit läuft unsere Friedenspolitik Gefahr, uns im Alltag politisch handlungsunfähig zu machen, weil wir rein theoretisch die Welt zu verbessern suchen. Ohne weitertreibende Fragestellungen (wie die Frage nach der grundsätzlichen Legitimation von gewalttätiger Konfliktbearbeitung), ohne Utopien und Visionen, besteht jedoch umgekehrt die Gefahr, zur Dienerin des Status Quo zu werden.

Letztlich befinden wir uns alle in einem Dilemma: Je stärker wir die positiven Friedensaspekte betonen, desto grösser wird die Gefahr, dass wir entweder den Friedensbegriff als utopisch anerkennen müssen oder gezwungen sind, den negativen Frieden brechen zu müssen, wenn gewaltfreie Aktionen nicht zum erhofften Ziel führen. Je deutlicher hingegen die negativen Friedensdimensionen betont werden, desto grösser ist die Gefahr, dass sich Friedenspolitik und -forschung mit der real existierenden strukturellen Gewalt arrangieren.

Damit kehre ich wieder zum Anfang zurück, zu den Widersprüchen und Dilemmas, denen die cfd-Frauenstelle in der politischen Praxis ständig ausgesetzt ist. Wir haben grundsätzlich zwei Möglichkeiten, damit umzugehen: Wir können uns in der Praxis politisch positionieren – etwa indem wir für ein Nein zur Militärgesetzrevision eintraten – und gleichzeitig die Widersprüche theoretisch kontextualisieren – wie zum Beispiel in diesem Beitrag geschehen.

1 Krippendorff, Ekkehart. Zit. nach AFB-Texte 3/99, S.32
2 Ulrike Wasmuth: Frieden schaffen, durch Waffen? In: AFK-Rundbrief, Mai 1997, S. 7-20
3 Referat Ruedi Tobler an der Medienkonferenz des friedenspolitischen Abstimmungskomitee "Ja zum Schutz der Zivilbevölkerung" am 17. April 2001

20 Jahre cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit

Schlossabend: Soirée femmeuse

Die cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit lädt ein zu einem Festmahl in sommer-licher Abendstimmung auf Schloss Au am Ufer des Zürichsees. Durch die kulinarische Reise des Frauen-Partyservice Paprika führen uns Frauen, die die Arbeit der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit mitgeprägt haben mit visuellen und akustischen Streifzügen zu Stationen der cfd-Frauenstelle.

Laudatio: Claudia Kaufmann, Generalsekretärin EDI. Musikalischer Rahmen: Ruth Bieri, Pianistin.

Freitag, 17. August. Ab 17.00 Apéro im Schlossgarten, 18.30 Festmahl in der Schosshalle. Kosten: Die Soirée femmeuse ist ein Solidaritätsessen zu Gunsten der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit – Preis nach Selbsteinschätzung (Fr. 70.– für wenig Verdienende, Fr. 120.– für gut Verdienende).Reservation bis 31. Juli bei: cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit, Postfach 9621, 8036 Zürich. Telefon: 01 242 93 07 E-Mail: frieda@cfd-ch.org Web: www.cfd-ch.org/frieda

Feministische Perspektiven – Frauenbilder aus Krisengebieten

Ein kritischer Blick aus feministischer Perspektive auf die Berichterstattung aus Kriegsgebieten. Mit der Premiere des Films "This is not Life – Hadi mish Eishi" der Palästinenserin Alia Ara-soughly. Der Film erzählt "von den kleinen Geschichten von Frauen und Krieg, die sonst keinen Nachrichtenwert haben." Anschliessend diskutieren Medi-enfachfrauen über feministische Repräsentationen von Frauen und Frauenalltag unter erschwerten Bedingungen.

Dienstag, 11. September 2001, 19.00 Uhr, Helferei Grossmünster, Zürich.


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