Die Gewalt zieht weiter vom Kosov@ nach Mazedonien

Der Krieg im Balkan scheint kein Ende zu nehmen. Nach Kroatien, Bosnien, Kosov@, Serbien sind die Geschützfeuer jetzt nach Mazedonien gekommen. Wo vor zwei Jahren Vertriebene aus dem Kosov@ die Grenze in strömendem Regen überschritten, setzt jetzt ein umgekehrter Zug ihrer ehemaligen albanischen GastgeberInnen in Mazedonien ein, die Zuflucht vor dem Krieg suchen. Bereits sind es über 40 000.

Von Arne Engeli*

Seit Jahren fordert die albanische Minderheit in Mazedonien mehr Rechte, der Reformprozess kommt aber nur schleppend voran, weil der grosse Teil der slawischen Bevölkerung findet, die Albaner hätten schon genügend Rechte erhalten. Immerhin sitzen Vertreter albanischer Parteien seit 1991 in der Regierung, und Staatspräsident Trajkovski, ein Vertreter der kleinen methodistischen Minderheit, wurde vor zwei Jahren mit Hilfe der AlbanerInnen gewählt. Auch der Botschafter Mazedoniens in der Schweiz ist kein Geringerer als der frühere albanische Bürgermeister von Tetovo, Herr Demiri, der im Gefängnis sass, weil er die albanische Fahne am Rathaus aufgezogen hatte. Die Mehrheit der Bevölkerung will nach wie vor keinen Krieg, sondern eine friedliche, demokratische Lösung. Einigen AlbanerInnen aber geht der Reformprozess zu langsam voran und sie haben die Geduld verloren. Die Lunte zu den gewaltsamen Auseinandersetzungen wurde im Kosov@ gelegt, von UCK-Freischärlern, die ein Interesse haben, die Lage in dieser Region zu destabilisieren. In einem regionalen Chaos können sie ihre Geschäfte im Waffenhandel, Drogenschmuggel und Frauenhandel besser tätigen und erhoffen sich vielleicht auch eine Lösung in der Unabhängigkeitsfrage in einem albanischen Staat, bestehend aus Kosov@ und Westmazedonien. Ob ihre Rechnung aufgehen wird?

Zuerst Wirtschaftskrise — jetzt Krieg

Mazedonien ist ein armes Land, mit einer hohen Arbeitslosenquote und vielen Emigranten. Die Balkankriege verschärften die schlechte wirtschaftliche Situation: Mazedonien war vom jahrelangen Embargo der Völkergemeinschaft gegenüber Serbien besonders betroffen, weil dieses ihr wichtigster Handelspartner war. Dazu kam noch die zeitweilig geschlossene Grenze zu Griechenland. Der Kosov@krieg 1999 zwang Mazedonien über 300 000 Vertriebene auf und brachte wegen des erneuten Ausfalls ihres Haupthandelspartners Jugoslawien den Export fast völlig zum Erliegen. Kaum hat Mazedonien diese Krise überstanden, bringt die gegenwärtige politische Situation der aufflammenden Gewalt weitere wirtschaftliche Rückschläge: Ausländische Investoren ziehen sich zurück, die Tourismusbranche bricht ein, die geschlossene Grenze zum Kosov@ beschädigt den Markt enorm, waren doch die Mazedonier am Aufbau der zerstörten Region stark beteiligt. In einer solchen Situation wachsen auch die sozialen Spannungen. Hinzu kommen auf der Ausgabenseite die massiv gestiegenen Aufwendungen für das Militär, die das Land noch weiter in die Armut treiben.

Spannungsreiche Vergangenheit

Ein Streitpunkt soll jetzt — unter dem Druck der Europäischen Union — aufgegriffen werden. In der mazedonischen Verfassung von 1991 heisst es: "Mazedonien ist der Staat der Mazedonier." Als Mazedonier gilt die slawische Bevölkerung dieses Landes, die etwa zwei Drittel der rund zwei Millionen Einwohner ausmacht. Die AlbanerInnen, die mehr als ein Viertel der Bevölkerung ausmachen, sind (zweitrangige) Minderheit. Das Bewusstsein, unabhängig von der Ethnie Bürger und Bürgerin eines Staates zu sein, hat sich im Balkan nicht entwickeln können.

Der Konflikt hat keine religiösen Ursachen

Ein Grund dafür ist eine historische Erfahrung: 500 Jahre lang, bis 1912, war der Balkan Teil des Osmanischen Reiches. Der Sultan herrschte mittels der Religionsgemeinschaften: Diese hatten dafür zu sorgen, dass die Steuern abgeliefert, für Ruhe und Ordnung gesorgt und Gericht gehalten wurde. So bildeten die einzelnen Religionsgemeinschaften je eine eigene Gemeinschaft aus. Zum eigenen Volk gehört im Bewusstsein der Leute deshalb nur, wer dieselbe Ethnie und Glaubenskultur hat. So gibt es ein slawisches Volk (christlich-orthodoxer Religion) und ein albanisches Volk (islamischer Religion). Dazu kommen weitere Minderheiten wie Türken, Bulgaren, Roma. Nicht zu vergessen ist auch, dass es die Republik Mazedonien erst seit dem 2. Weltkrieg gibt, geschaffen von Tito als Teil Jugoslawiens, unabhängig geworden 1991 ohne Krieg und Blutvergiessen.

Es gibt auch Friedenskräfte im Innern. Schon im März dieses Jahres haben VertreterInnen von sechs mazedonischen Bürgerorganisationen eine Deklaration für eine friedliche Konfliktbeilegung veröffentlicht, die einen grossen Widerhall gefunden hat und von Dutzenden weiteren NGOs unterzeichnet worden ist. Die Initiative hat das Mazedonische Zentrum für Internationale Kooperation (MCIC) in Skopje ergriffen, selber eine multikulturelle Organisation bestehend aus elf NGOs von mazedonischer, albanischer und Roma-Seite. Alle Gewaltakte werden darin verurteilt, sowohl jene der militanten ExtremistInnen wie auch die der Staatswillkür (zum Beispiel durch die Polizei). Existierende Probleme müssten anerkannt und rasch politisch angegangen werden. So wurde mitgeholfen, den Boden für einen Waffenstillstand vorzubereiten.

Von Anfang an wurden auch die Religionsgemeinschaften eingeladen, gemeinsam einen Appell gegen Gewalt und für den Dialog zu erlassen. Aber erst Mitte Juni war es durch die Vermittlung der Konferenz Europäischer Kirchen in Genf so weit: Fünf Religionsgemeinschaften betonen, dass den Kämpfen in Mazedonien keine religiösen Ursachen zu Grunde liegen und der Dialog der einzig legitime Weg zur Konfliktlösung sei.

Und die Schweiz?

Als Programmbeauftragter des HEKS betreute ich auch Projekte in Mazedonien. Entsprechend dem HEKS-Schwerpunkt Konfliktprävention waren wir immer auf beiden Seiten präsent und finanzierten Dorfentwicklungs- und Nothilfeprojekte unseres lokalen Partners MCIC, die sowohl den MazedonierInnen wie den AlbanerInnen und den Roma zugute kamen. Alle Hilfsgüter wurden lokal eingekauft, um so die mazedonische Wirtschaft zu unterstützen. Für die Friedensbemühungen hat HEKS im April 2001 30 000 Franken eingesetzt.

Und die offizielle Schweiz? Sie könnte eine wichtige Beratungsfunktion ausüben beim Aufbau föderalistischer Strukturen. Mazedonien gehörte einmal zu den fünf Schwerpunktländern des DEZA in Osteuropa, wurde dann zugunsten von Bosnien fallen gelassen — das muss jetzt wieder korrigiert werden. Es ist jetzt alles daran zu setzen, eine Eskalation des Konfliktes zu verhindern. Ziel von Friedensarbeit ist es, Konflikte verhandelbar zu machen und sie dadurch zu entschärfen, in dem ein "entweder — oder"Konflikt umgewandelt wird in einen "mehr oder weniger"-Konflikt.

*Arne Engeli war von 1993 bis 2000 Programmbeauftragter des HEKS für das ehemalige Jugoslawien und Mitbegründer von "Gemeinden Gemeinsam Schweiz".


Gemeinden gemeinsam

´Gemeinden Gemeinsam Schweizª wird vom 21. bis 23. September 2001 den zweiten Gemeindekongress in Ohrid/Mazedonien mit VertreterInnen der 15 schweizerischen Regionalkomitees und ihren Partnergemeinden in Mazedonien, Montenegro, Kroatien, Serbien und Kosov@ durchführen. Im Zentrum werden Fragen der Gemeindeentwicklung und Gemeindeautonomie stehen. Ein solcher grenzüberschreitender Gedanken- und Erfahrungsaustausch kann auch ein Beitrag zum Frieden sein.

 

Infos: Gemeinden Gemeinsam Schweiz, Stapferhaus, Bleicherain 7, 5600 Lenzburg 1.

Tel 062/888 01 50 Fax 062/888 01 01 E-Mail: info@ggs-ccs.ch

 


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