Denkbar knapp, mit 51 zu 49 Prozent, haben die SchweizerInnen am 10. Juni der Militärgesetzrevision zugestimmt. Damit dürfen Schweizer Soldaten im Ausland künftig bewaffnet eingesetzt werden.
Der knappe Ausgang nach einer hitzigen Abstimmungskampagne garantiert dafür, dass sich an den Einsätzen von Schweizer SoldatInnen im Ausland in nächster Zeit real kaum etwas ändern wird. Dies zeigt auch die bereits kurz nach der Abstimmung lancierte Diskussion um die Beschaffung von Transporthelikoptern für solche Einsätze: Den einen sind sie zu teuer und zu unpraktisch, die anderen wehren sich wegen des Verwendungszwecks dagegen zusammen reicht die Opposition wohl aus, um diese Beschaffungstranche aus dem VBS-Programm zu streichen.
So wenig der 10. Juni real auch verändert hat, wird er doch als historisches Datum in die Annalen eingehen. Verschiedene Kommentatoren haben herausgestrichen, dass es am 10. Juni erstmals gelungen sei, die Nationalkonservativen mit Blocher & Co. in einer aussen- und neutralitätspolitischen Abstimmung zu bremsen. Das stimmt aber die Nagelprobe dafür wird erst mit der UNO-Abstimmung im kommenden Frühjahr zu bestehen sein.
Mir erscheint der 10. Juni jedenfalls auch aus anderen Gründen historisch: Erstmals ging in der Schweiz der Nachkriegszeit eine Militärabstimmung über die Bühne, ohne dass der "Heilige Kuh"-Automatismus spielte. Bisher führte der Angriff auf eine Abstimmungsvorlage des VBS immer sofort dazu, dass die bürgerliche Mehrheit ihre Reihen schloss und für die Landesverteidigung interne Querelen beiseite legte.
Diesmal kam der Angriff aber nicht nur von links. Ja, Blocher und AUNS beschränkten sich nicht nur darauf, gegen die Militärgesetzrevision das Referendum aus neutralitätspolitischen Gründen zu ergreifen, sondern griffen am Ende der Abstimmungskampagne VBS und Armeespitze frontal an. In den "Genuss" des Vorwurfs des Landesverrats kamen diesmal nicht nur die Linken, sondern auch die Netten.
Und die ersten Äusserungen von Seiten der SVP und der AUNS nach dem 10. Juni lassen zumindest nicht ausschliessen, dass die Nationalkonservativen in Zukunft auch bei eigentlichen Rüstungsvorlagen aus der bürgerlichen Allianz ausscheren werden.
Historisch bedeutsam ist der 10. Juni auch, weil an diesem Tag die politische Ausmarchung um den Umbau der Schweizer Armee handfest geworden ist. Nach Jahren des Vorgeplänkels mit Studien, strategischen Berichten und anderen Entwürfen, die dauernd über den Haufen geworfen wurden, kam ein erstes, kleines Teilstück der Armee XXI zur Abstimmung. Mit dem neuen Armeeleitbild und der bevorstehenden Gesamtrevision des Armeegesetzes kommen die grossen Brocken erst noch.
Nicht gerade historisch war der 10. Juni aus Sicht der Friedensbewegung eher unrühmlich. Auf beiden Seiten der Vorlage kämpften engagierte Friedensbewegte und fortschrittliche Denkende ähnlich verbissen. Was an sich kein Problem sein müsste. Schwieriger ist der gehässige Ton, der am Ende in der innerlinken und pazifistischen Auseinandersetzung herrschte. Es wurde nicht mehr mit Argumenten gefochten, sondern sehr schnell zu Beschimpfungen gegriffen.
Dabei hatte die Opposition gegen die Militärgesetzrevision vor zwei Jahren mit einer gemeinsamen Plattform begonnen, an der von GSoA über den Friedensrat bis zur SP ein breites Spektrum der Friedensbewegung beteiligt war. Die Frage "Referendum ja oder nein?" führte zu einem abrupten Ende der internen Diskussion.
Das Muster Friedensbewegte und PazifistInnen auf beiden Seiten des Stimmzettels könnte sich in den nächsten Jahren noch einige Male wiederholen.
Was geschieht zum Beispiel, wenn die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht zur Abstimmung kommt, weil die Schweiz stattdessen künftig eine Profiarmee haben soll?
Oder wenn auf Druck von AUNS & Co eine Vorlage zur Abstimmung kommt, die eine Umlagerung der Militärausgaben von Hightech-Geräten (oder NATO-kompatiblen Rüstungsgütern) zu so genannten Verteidigungswaffen fordert? Welches der beiden ist für Friedensbewegte oder PazifistInnen das kleinere Übel?
Der grösste gemeinsame Nenner auf "unserer" Seite besteht zurzeit wohl darin, dass die vom VBS geplante Armee XXI zu teuer ist. Wieviel Abstriche muss das VBS vornehmen, um auf der fortschrittlichen Seite Unterstützung für die neue Armee zu erhalten? Und ist es in einer Abstimmung dann grundsätzlich falsch, Ja zu sagen zu einer neuen Armee, die real weniger kostet als die heutige?
Nicht zuletzt ist die Spaltung der Friedensbewegung die Chance für das VBS, den Plan einer Nato-kompatiblen Schweizer Hightech-Armee zu verwirklichen. Ein bisschen ist Ogis Kalkül am 10. Juni bereits aufgegangen und sein Nachfolger wird solche Gelegenheiten in Zukunft erst recht nicht verpassen.
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