Virtueller Staat im Cyberkrieg

Am 22. März dieses Jahres ist in der weiten Welt des Internets ein neues Land geboren worden: In einem Bericht hält die Internet Assigned Numbers Authority IANA fest, dass die Voraussetzungen für die Registrierung des Internet-Länderkürzels (im Fachjargon ‚Top level domain‘) ".ps" für die palästinensischen Gebiete erfüllt sind und dass die Verwaltung des Top level dem Computerzentrum der palästinensischen Autonomiebehörde zu übertragen sei.

Von Peter Schneider

Palästinensische Organisationen und Institutionen sind natürlich schon länger im Internet präsent und unter den allgemeinen domain-Namen wie ".org" und ".com" zu finden. Seit Mai 1998 war ausserdem das Unterverzeichnis "palestine.int" für die palästinensischen Gebiete registriert, wurde aber kaum benutzt. Der neue Adressbereich ist nicht nur praktisch, sondern hat in Palästina durchaus symbolische Bedeutung. Mit staatlicher Anerkennung hat er zwar nichts zu tun, wie der Bericht ausdrücklich festhält: Schliesslich hat auch die Antarktis ihr eigenes Kürzel, und alphabetisch unmittelbar vor ".ps" rangiert ".pr" für Puerto Rico. Die IANA stützt sich ausschliesslich auf die sogenannte ISO-3166-1-Liste, welche ihrerseits auf 2 Verzeichnissen der Statistikabteilung der Vereinten Nationen basiert.

Informationstechnologisches Reifezeugnis

Doch immerhin lässt sich der Schritt als eine Art informationstechnologisches Reifezeugnis werten. Nachdem der lange Weg durch alle diese Listen und Instanzen zwei Anläufe und volle vier Jahre gebraucht hat, wird das Ergebnis gefeiert wie ein Sieg. Ein Sieg Palästinas im Kampf um freien Zugang zu den Informationsmärkten (den die Israelis lange kontrollierten und wiederholt abgeklemmt hatten), und um Beachtung in der Weltöffentlichkeit.

Guerillakrieg im Netz

Schon vor der virtuellen Staatsgründung tobte im Netz ein Guerillakrieg der israelischen und arabischen Hacker, der im letzten Quartal des Jahres 2000 seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Auslöser war anscheinend eine israelische Attacke auf einen Server der Hisbollah im Libanon Anfang Oktober des letzten Jahres. Der Gegenangriff folgte auf dem Fuss und legte zahlreiche Webseiten der israelischen Regierung tageweise lahm. Das Prinzip dieser Angriffe ist einfach: eine Webseite wird mit so vielen Anfragen bombardiert, bis der Server nicht mehr ansprechbar ist. Die Hizbollah bot dafür auf ihren in Kalifornien registrierten Websites sogar Programme zum Herunterladen an – bis diese Seiten selbst lahmgelegt waren, vermutlich mit der gleichen Methode. Rund einen Monat später gingen die versierteren Hacker dazu über, Webseiten zu cracken, um deren Inhalte zu verändern oder vertrauliche Daten herunterzuladen: Pakistanische Hacker knackten E-Mail-Adressen und Kreditkartennummern von Kunden eines jüdischen Unternehmens in den USA und veröffentlichten sie im Netz. Die Homepage einer israelischen High School wurde mit der Strichzeichnung eines Buben, der auf die Israelische Flagge pisst, verunziert. Mit Mohammed als Schwein oder Arafat in Affengestalt konterte die Gegenseite auf ähnlichem Niveau. Am liebsten platzieren die Hizbollahnahen Hacker Links zu schockierenden Bildern der palästinensischen Opfer der realen Intifada und der israelischen Racheaktionen. Dutzende von Webseiten wurden zum Ziel solcher Angriffe.

Wunsch nach Beachtung

Mit dem Cracken der Webseiten von israelischen Unternehmen sollte zum einen der Wirtschaft des Landes geschadet werden, was kaum ernstlich gelang. Hauptsächlich aber geht es wohl auch hier um Beachtung: Die Illustration mit der Flagge wurde auf weiteren Webseiten kolportiert und so bereitwillig weiterverbreitet. Die Aufrufe zur Intensivierung der Internet-Intifada, die unter anderem durch die libanesische Zeitung Daily Star verbreitet wurden, sollen sogar bei CNN erwähnt worden sein. Im deutschsprachigen virtuellen Raum wurde das Geschehen vor allem von der deutschen Online-Zeitschrift "Telepolis" verfolgt und dokumentiert.

Ihren Teil zur Verbreitung der Angst vor pro-palästinensischen Hackerangriffen beigesteuert haben auch einige israelische Unternehmungen. Dazu gehört etwa die Sicherheitsfirma 2XSS, gegründet von Ehud Tenebaum, der selbst zur israelischen Hackergruppe Israeli Internet Underground (IIU) gehört haben soll und der erst kürzlich von einem israelischen Gericht wegen seiner als Jugendlicher verübten Angriffe auf Server des Pentagons zu sechs Monaten gemeinnütziger Arbeit verurteilt wurde. Mit neuen Sicherungssystemen und Beratungsdienstleistungen auf diesem Gebiet dürfte sich eine Stange Geld verdienen lassen.

Ein neuerer Hackercoup vom März dieses Jahres ist allerdings eher harmlos: Ein Virus – auf Grund seiner besonderen Eigenschaften auch Wurm genannt –, das keine Daten zerstört, sondern ‚nur‘ sechs Internet-Seiten mit antiisraelischer Propaganda öffnet und sich selbst automatisch an bis zu 50 E-Mail-Adressen aus dem Adressbuch der ComputerbenutzerInnen sowie an fix programmierte Adressen der israelischen Regierung weiterschickt. Dazu enthält es auch noch einen Text zur Beruhigung der Betroffenen und zur Entschuldigung für dieses Vorgehen im Dienste "der palästinensischen Menschen".

Still under construction...

Das offizielle ".ps" macht bei diesem Kleinkrieg natürlich nicht mit. "This page is under construction" – diese Seite ist im Aufbau steht noch auf verschiedenen Seiten der Verwaltung der Autonomiegebiete, was eher auf eine konstruktive Tätigkeit hindeutet. Obwohl die offiziellen Stellen auch nicht mit Anklagen an die israelische Besatzungsmacht sparen, hat Palästina im Netz allerlei Interessantes zu bieten und ist durchaus einen virtuellen Ausflug wert. Die Universität Birzeit, die mit dem umfassendsten Link-Verzeichnis ein guter Ausgangspunkt dafür ist, führt sogar eine Liste mit israelischen Links. Aber auch auf der Seite des Informationsministerium der palästinensischen Autonomieverwaltung findet sich ein Artikel der Jerusalem Post vom 4. April 2001 mit dem Titel: "Dringend benötigt: eine neue Friedensbewegung".


Einige Links

www.birzeit.edu – Die Universität Birzeit in Ramallah mit dem ausführlichsten Link-Verzeichnis

www.gov.ps – Die neue Adresse der palästinensischen Autonomieverwaltung

www.heise.de/tp – Die deutsche Zeitschrift "TELEPOLIS", informierte ausführlich über den israelisch-palästinensischen Cyberkrieg

www.dailystar.com.lb – Die libanesische Zeitung, die zeitweise Aufrufe der pro-palästinensischen Hacker verbreitete

www.2xss.com – die erwähnte israelische Sicherheitsfirma


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