Dauerkrisen wie in Sri Lanka oder Kolumbien, der Genozid in Ruanda und die Balkankrisen haben insbesondere im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zu einem Bewusstseinswandel geführt. Das belegt die Einrichtung von zwei Fachstellen für Friedenssicherung, Konfliktprävention- und bewältigung diesen Februar oder auch das neu geschaffene Schweizer Expertenpool für zivile Friedensförderung (s. Artikel auf Seite 5 dieser FriZ). Zudem sind jüngst verschiedene Positionspapiere zum Thema Frieden und Versöhnung veröffentlicht worden. "Man kann durchaus von einem Trend sprechen", meint Günther Baechler, Leiter der Sektion Krisenprävention und Konfliktbewältigung bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). "Als ehemaliger Leiter des Friedensstiftung sehe ich darin überaus Erfreuliches. In meinen Augen hat allerdings dieser Trend Jahre zu spät eingesetzt." Denn viele PolitikerInnen seien erst aktiv geworden, als die Krisen eskaliert waren und Flüchtlinge in die Schweiz drängten. Hilfswerke und Entwicklungsorganisationen hingegen seien schon relativ früh international im Bereich Konfliktprävention und Friedenssicherung aktiv geworden.
Diese Organisationen und ihre Partner sind von Gewaltkonflikten unmittelbar betroffen: Die meisten arbeiten vor Ort mit lokalem Personal zusammen Menschen, die zu den verschiedenen verfeindeten Bevölkerungsgruppen gehören. Das Moment der Versöhnung spielt denn auch eine bedeutende Rolle, damit Entwicklungsprojekte in Nachkriegsgesellschaften oder in Gebieten, wo weiterhin Krieg herrscht wie in Kolumbien oder Sri Lanka, überhaupt zustande kommen.
Dabei gibt es nur wenige Projekte, die explizit unter dem Stichwort der Versöhnung laufen. Eines davon ist das jüngst von Helvetas mitlancierte Projekt "Versöhnung, Frieden und Entwicklung im Nordosten Sri Lankas". Dabei wird versucht eine praktische Zusammenarbeit von singalesischen und tamilischen Bevölkerungsgruppen anzuregen, um einen Beitrag zum gegenseitigen Verständnis und zur Konfliktminderung zu leisten. "Als Entwicklungsorganisation können wir vor allem mithelfen, auf lokaler Ebene einen Rahmen für Versöhnung zu schaffen", meint Markus Heiniger, Verantwortlicher für das Helvetas- Programm in Sri Lanka. In einem vom Bürgerkrieg betroffenen Land bedeute das zunächst, den zivilen Raum zu vergrössern. Dies sei ein Dauerauftrag, wobei der Aspekt impliziter Bestandteil von Entwicklungsprojekten sei.
"Versöhnung lässt sich nicht aufzwingen", meint Thomas Bürge, Projektkoordinator für Konfliktbearbeitung beim Schweizerischen Roten Kreuz (SRK). Bürge sieht denn auch die Aufgabe des SRK in erster Linie darin, auf die Grundbedürfnisse der Menschen einzugehen. "Nach einem Krieg geht es ihnen zuallererst um die Sicherung der Grundversorgung und ein Minimum an Infrastruktur." Auf diese Weise würde auch die Konfliktbewältigung gefördert, indem man an gemeinsamen Interessen der verfeindeten Gruppen, etwa am Wiederaufbau, anknüpft. Bürge gibt als Beispiel Ruanda, wo das SRK ein Projekt für Frauen unterstützte, deren Männer dem Genozid zum Opfer gefallen sind oder wegen Kriegsverbrechen im Gefängnis sitzen. "Hier pflanzen die Frauen der verfeindeten Gruppen gemeinsam Kartoffeln an." Dadurch kämen sie sich näher, wobei sie allmählich lernten, einander wieder zu vertrauen.
Nach Ansicht von Shirin Sotoudeh, der Programmverantwortlichen für die Caritas-Projekte in Ruanda, sind die unrealistischen Hoffnungen auf schnelle Versöhnung dies nach Krieg, Genozid und humanitärer Katastrophe mit über 800 000 Opfern der Ernüchterung gewichen. Denn: "Versöhnung ist ein langer Prozess, der auf Gerechtigkeit beruhen muss. Dies bedarf auch der Bestrafung begangener Verbrechen." Die "nationale" Versöhnung, so Günther Baechler von der Deza, brauche sehr viel Zeit und könne Jahre, wenn nicht Generationen dauern, bis ein einschneidendes Ereignis zum Beispiel eine präsidiale Geste der Entschuldigung einen umfassenden Versöhnungsprozess einleiten könne. "Im Gegensatz dazu kann Versöhnung bereits während der heissen Phase eines Konfliktes einsetzen, etwa indem auf lokaler Ebene nach Brückenbauenden' Ausschau gehalten wird."
Baechler glaubt zudem, dass Veränderungen möglich sind. "Ein Engagement in Konfliktgebieten erfordert von den Hilfswerken und ihren VertreterInnen ein grosses Mass an Durchhaltevermögen, vor allem aber den Glauben daran, dass diese Veränderungen möglich sind." Dabei ginge es auch darum, neben den Bedürfnissen die Interessen und Befürchtungen sämtlicher involvierter Parteien herauszufinden. "Allparteilich" wird die Einstellung genannt, die gegenüber aller Beteiligten vor Ort eingenommen werden müsse. Allparteilich in dem Sinne, dass alle Parteien mit einzubeziehen sind. Das hingegen heisse nicht, dass man alles akzeptieren müsse.
Die Probleme vor Ort jedoch, so auch die Versöhnung, könnten aber nur durch die lokale Bevölkerung gelöst werden, ist auch Arne Engeli vom Hilfswerk HEKS überzeugt. Engeli hofft, dass die Zusammenarbeit mit konfessionell gemischten Partnerorganisationen gerade zum jetzigen Zeitpunkt im Konflikt in Mazedonien Wirkung zeigen werde. Hier arbeitet HEKS zusammen mit dem Mazedonischen Zentrum für Internationale Zusammenarbeit (MCIC). Diese Organisation umfasst elf Bürgerorganisationen, darunter mazedonische Frauen, Roma, MethodistInnen, Orthodoxe und islamische Hilfswerke. Bereits während des Kosovo-Konflikts sei es MCIC aufgrund seiner Vernetztheit möglich gewesen, sehr rasch zu handeln und den nach Mazedonien flüchtenden Kosovo-AlbanerInnen zu helfen. "Jetzt hat MCIC die Führer der Religionsgemeinschaften aufgerufen, sich einem Appell gegen den Krieg anzuschliessen." Neben der Kriegsfront gebe es somit auch eine Friedensfront, meint Engeli.
*Tatjana von Steiger ist Mitarbeiterin von InfoSüd"Kinder sind die grössten Opfer des Kriegs und der sexuellen Ausbeutung", erklärt Mô Bleeker Massard, bis Ende Februar langjährige Leiterin des Auslandhilfe der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi (SKIP). Bis 1992 hat in El Salvador der Bürgerkrieg geherrscht. Die Wunden aber sind noch lange nicht verheilt, und Gewalt prägt bis heute die Gesellschaft. Noch immer leben viele Menschen im Ungewissen, was das Schicksal ihrer Familienangehörigen angeht. An Versöhnung ist, so lange die Wahrheit nicht wirklich aufgedeckt wird, deshalb noch nicht zu denken. Eine Organisation, die gegen das Vergessen und die Verdrängung ankämpft, ist Pro Busqueda, eine Partnerorganisation von SKIP. Die Vereinigung zur Suche und Rehabilitierung von verschwundenen Kindern forscht seit 1994 nach Kindern, die in den 80er Jahren während der Bürgerkriegswirren von ihren Familien getrennt und später zum Teil zur Adoption, in Ländern wie die USA, Frankreich und auch die Schweiz gegeben wurden. Am Anfang hätten sich die Familien zwar nur zögerlich an Pro Busqueda gewandt, aus Angst vor erneuten Repressionen von Seiten der Regierung. Mit der Zeit häuften sich die Anfragen. Heute sind beinahe 600 Vermisste bei Pro Busqueda gemeldet. 170 Kinder wurden bereits gefunden. Mit ihrem Engagement im Bereich der Vergangenheitsbewältigung hofft SKIP, einen Beitrag beim Wiederaufbau dieser Gesellschaft zu leisten, die vom Krieg in ihren Grundfesten verletzt wurde. "Das Recht auf Leben muss gesetzlich verankert sein und die Täter zur Verantwortung gezogen werden", so Bleeker Massard.
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