Die Wahrheits- und Versöhnungskommission untersuchte die vom Apartheid-Regime begangenen Verbrechen, aber auch solche, die von Individuen und Organisationen begangen wurden, einschliesslich derjenigen von Exil-Gruppen wie dem Afrikanischen Nationalkongress ANC und dem Pan-African Congress.
Das der Wahrheits- und Versöhnungskommission zu Grunde liegende Gesetz von 1995 sollte die Gesellschaft befähigen, die Vergangenheit des Kampfes, des Konfliktes und des Leidens hinter sich zu lassen und den Weg in eine Zukunft zu gehen, die auf Menschenrechten, Demokratie und friedlichem Zusammenleben gegründet ist. Die Substanz sollte dabei Versöhnung und der Aufbau einer die Rassentrennung hinter sich lassenden geeinten Gesellschaft sein. Um die Grundlage der Versöhnung zu schaffen, sollten die schweren Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt werden, die Wahrheit sollte ans Licht kommen. Das öffentliche Wissen um die Vergangenheit wurde dabei als Hauptanliegen gesehen, so dass die Würde der Opfer wiederhergestellt werden könne.
Nationale Einheit und Versöhnung in einem Geist des Verstehens waren gemäss dem Auftrag an die TRC die Hauptziele. Die Kommission sollte ein möglichst vollständiges Bild des Ausmasses von Menschenrechtsverletzungen unter dem Apartheid-Regime aufzeigen. Sie konnte Individuen amnestieren, wenn diese alle Fakten für ein Verbrechen offen legten und eine Amnestie beantragten.
Natürlich richtete man über die Apartheid als politisches System und über diejenigen, die es errichtet und getragen hatte. Der von den Weissen beherrschte Staat war ja selber Quelle und und Ausübender von Menschenrechtsverletzungen gewesen, indem er eine 'rassische' Minderheit bevorzugte und andersfarbige Mehrheiten diskriminierte.
Die Opfer, die eine Petition an die TRC gerichtet hatten, konnten ihre Geschichte in der Öffentlichkeit und vor einer offiziellen Institution erzählen. Das von ihnen Erlittene wurde ernst genommen und sie selber auch. Dieser Weg war insofern ein afrikanischer, als damit ausdrücklich das Heilungspotenzial des Geschichtenerzählens anerkannt wurde. Diese Geschichten repräsentierten nicht nur die ganz persönliche Wahrheit der einzelnen Menschen, sondern ermöglichten schmerzvolle Einsichten in die Vergangenheit Südafrikas und Klarheit für die Zukunft.
Dreh- und Angelpunkt war die Frage nach dem Umgang mit den TäterInnen. Dafür standen vor der Einsetzung der TRC viele Möglichkeiten offen. Die Lösung nach Nürnberger Vorbild wurde als untauglich angesehen, da es keine militärischen SiegerInnen gegeben hatte; zudem war die Gefahr eines Bürgerkrieges sehr real, den wollte man nicht riskieren. Der Wunsch nach einem friedlichem Übergang und einer vereinten Zukunft war so gross, dass die neue Regierung auf Rache in Form von langjährigen Haftstrafen oder gar Todesurteilen verzichtete; eine Generalamnestie wurde aber nicht gewährt.
So entstand das Lösungsmodell, dass TäterInnen für jedes einzelne Verbrechen, dessen sie sich schuldig gemacht hatten, Amnestie vor der Kommission beantragen und gewährt bekommen konnten. Dies nur unter den Bedingungen, dass die Tat politisch und nicht persönlich motiviert war und die TäterInnen restlos alles offen legten. Diese Art der Amnestie brachte die Wahrheit eher ans Licht als Prozesse, bei denen die Angeklagten geleugnet hätten und so weiterhin das Los von Opfern im Dunkeln geblieben wäre. Durch dieses Verfahren konnten nun einige Schicksale aufgedeckt werden.
Mit der Amnestie gingen die TäterInnen auch keineswegs so straflos aus wie es den Anschein hat: Ihre Anhörung war ebenso öffentlich wie diejenige der Überlebenden, weswegen sie mit der Verachtung und Vergeltung der Gesellschaft rechnen mussten. Gleichzeitig konnten die TäterInnen erhoffen, bei ihren Opfern Gehör zu finden und u.U. sogar Vergebung.
Eine strafrechtliche Verfolgung konnte die TRC durchaus in die Wege leiten, wenn Amnestie nicht verlangt oder verweigert wurde.
Der Gedanke, dass ein Versuch der Versöhnung der Gesellschaft mehr bringt, als das Einsperren von TäterInnen, kam in vielen Aussagen zum Ausdruck. TäterInnen sollten sich an der Wiedergutmachung beteiligen, in dem sie z.B. mithalfen, zerstörte Gemeinden wieder aufzubauen. Damit wurde ihnen, wie auch ihren ehemaligen Opfern, die Verantwortung für ein weiteres Zusammenleben und -arbeiten auferlegt. Es kam auch finanzielle Wiedergutmachung zum Tragen.
"Ich muss wissen, wem ich vergeben soll, wenn ich das anstreben will," dies meinte Father Lapsley, der durch einen Bombenanschlag der Sicherheitspolizei schwer verletzt worden war.
Allerdings hat niemand von den Weissen, die in einer der Apartheidsregierungen Führungspositionen inne gehabt hatten, um Vergebung gebeten. Aber einige TäterInnen brachten die Bitte um Versöhnung zum Ausdruck, und viele ihrer überlebenden Opfer zeigten den Grossmut, der Welt nicht nur ihren Schmerz zu zeigen, sondern waren auch bereit zu vergeben.
Die Mutter eines ermordeten Sohnes zeigte die Fähigkeit, die Täter in ihre Menschlichkeit einzubeziehen: "Wir wollen nicht Böses mit Bösem vergelten. Wir wollen ihnen [den TäterInnen] gegenüber Menschlichkeit beweisen, damit sie selber wieder menschlich sein können."
Südafrika hat heute mit vielen Problemen zu kämpfen: Armut, Arbeitslosigkeit, Kriminalität und AIDS machen dem Land zu schaffen. Ist die Versöhnung der Gesellschaft gelungen? Natürlich haben die Opfer von Menschenrechtsverletzungen noch immer unter ihrer Vergangenheit zu leiden; manche Täter erhielten Amnestie und kamen trotz der schlimmsten Verbrechen frei. Aber die meisten Opfer wollten nicht Rache, sondern die Wahrheit und Verständnis. So fanden einige Opfer endlich die Ruhe der Gewissheit. In Südafrika ging die neue Regierung nach dem unblutigen Umsturz davon aus, dass diese Wahrheit die Grundlage für eine stabile demokratischere Zukunft ist. Und dass damit ein Weg zu einer versöhnten Gesellschaft eingeschlagen ist; ein Weg, der wie die Kommission nach getaner Arbeit betont noch lang und steinig sein wird.
Der Titel der deutschen "Volksausgabe" des Schlussberichtes der TRC lautet: Wahrheits- und Versöhnungskommission Südafrika. Das Schweigen gebrochen. und ist im Buchhandel erhältlich (2000, Verlag Brandes und Apsel/Südwind, Frankfurt/M.). Weitere Informationen zur Arbeit der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission gibt's im internet unter dieser Adresse:
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