Im Moment habe sie ganz andere Dinge im Kopf als die Friedenspolitik, schickt Carmen Jud zu Beginn unseres Gesprächs fast entschuldigend vorweg. Sie stecke zurzeit mitten in den Zahlen für die Jahresrechnung des cfd. Auf die Frage, ob sie in ihrer Alltagsarbeit denn weit weg von der Friedenspolitik sei, antwortet sie: "Ja und Nein. Einerseits bin ich weit entfernt davon, weil ich nur noch selten direkt friedenspolitische Themen bearbeite, sondern in erster Linie einen Betrieb leite. Andererseits hat dieser Betrieb, der cfd, sehr viel mit Friedenspolitik zu tun: Wir mischen uns in friedenspolitische Themen ein und leisten Grundlagenarbeit in den Bereichen 'Strukturelle Gewalt' und 'Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen'."
Am Anfang ihres politischen Werdeganges stand aber nicht die Friedenspolitik, sondern der Feminismus. "Ich habe in Fribourg katholische Theologie studiert. Dort bin ich im Laufe der Zeit zuerst mit politischer Theologie und dann auch mit feministischer Theologie konfrontiert worden." Die Konfrontation habe sie aber anfänglich gar nicht gesucht, sondern diese sei fast "irrtümlich" erfolgt: Als 1977 der Papst einmal mehr bekräftigt habe, dass das Priestertum für Frauen in der katholischen Kirche nicht in Frage komme, seien dagegen unter den StudentInnen in Fribourg Unterschriften gesammelt worden. Die Bistumsleitung machte Carmen Jud ("aus welchen Gründen auch immer") dafür für verantwortlich: "Ich habe mich damals sehr aufgeregt vor allem darüber, dass ich nicht selber auf die Idee für die Unterschriftensammlung gekommen war!"
Damals sei es ihr aber vor allem um Gleichberechtigung gegangen, noch ohne grossen theoretischen feministischen Hintergrund. Erst ein Jahr später, während eines Praktikums in der Jugendarbeit, sei sie dann auf einen Vortrag von Katharina Halkes in der Paulusakademie aufmerksam gemacht worden. Dies war 1978 die erste grosse Veranstaltung zu feministischer Theologie in der Schweiz. Zwar sei dann Katharina Halkes krankheitshalber gar nicht erschienen, aber die Veranstaltung hatte trotzdem wegweisenden Charakter für Carmen Jud: "Ich nahm eine Literaturliste zu feministischer Theologie mit und einen Monat später habe ich meine bereits festgelegten Pläne für die Lizentiatsarbeit über den Haufen geworfen und meinem Professor mitgeteilt, dass ich über feministische Theologie abschliessen wolle."
Rückblickend sagt Carmen Jud, der entscheidende "Klick" sei der Perspektivenwechsel gewesen: "Es ging nicht mehr einfach nur darum, auch ein Plätzchen in der Kirche zu erobern oder für Frauen das Gleiche zu fordern wie für Männer. Sondern das Wesentliche war, dass Feminismus einen anderen Blick auf die gesamte Realität eröffnete. Die Einsicht wuchs bei mir, dass es zwischen den Geschlechtern nicht einfach um einzelne Ungerechtigkeiten ging, sondern darum, dass die Gesellschaft Frauen systematisch benachteiligt. Und nicht nur Frauen, sondern auch andere 'Andere'."
Und von diesem Punkt sei es dann nicht mehr weit bis zur Friedenspolitik gewesen: "Diese Diskriminierungen basieren ganz wesentlich auf struktureller Gewalt." Zwar gebe es keine zwingenden Gründe für die Kombination von Feminismus und Friedenspolitik, aber für sie als Feministin sei der Weg damals in die Friedenspolitik naheliegend gewesen, erklärt Carmen Jud: "Und es sind auf jeden Fall sehr viel mehr Feministinnen auch sensibilisiert für friedenspolitische Fragen, als friedenspolitisch Engagierte für feministische Anliegen."
Zum ersten Mal mit Friedenspolitik im engeren Sinn in Berührung gekommen ist Carmen Jud an ihrer ersten Stelle beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund SKF. Dort gehörte zu ihren Aufgaben unter anderem die Koordination der Vernehmlassung zum damals aktuellen Thema des Einbezugs der Frauen in die Gesamtverteidigung. Carmen Jud setzte sich dafür ein, dass die SKF-Stellungnahme zum sogenannten Meyer-Bericht gründlich und intern breit abgestützt ausfiel: "Sehr schnell kamen wir dabei auf die Grundsatzfrage: 'Kriegslogik oder Friedenslogik'? Innerhalb der Kriegslogik ist die Forderung nach Einbezug der Frauen unter einem Gleichberechtigungsansatz eigentlich naheliegend; aber selbstverständlich erst dann, wenn die Gleichberechtigung der Geschlechter auch in anderen Bereichen realisiert ist. Andererseits dient im patriarchalen System die (militärische) Gewalt der Aufrechterhaltung des Status quo und der Unterdrückung, so dass man eigentlich das Militär an sich ablehnen muss. Unter feministisch-friedenspolitischen Gesichtspunkten war für mich persönlich die Schlussfolgerung: Es darf auf keinen Fall einen Einbezug der Frauen in ein System geben, das sowieso schon falsch ist. Im Vernehmlassungstext fiel dieser Hinweis dann allerdings sehr dezent aus."
Nach der Zeit beim SKF war Carmen Jud während 20 Monaten erwerbslos: "Feministinnen waren damals nicht gesucht und Theologie war für viele keine Referenz. In der Kirche wollte ich nicht arbeiten, das war für mich aus verschiedenen Gründen schon lange klar." Nach einer Durststrecke mit verschiedenen Aushilfsjobs fiel ihr Blick 1986 in der FAMA (feministisch-theologischen Zeitschrift, zu deren Mitbegründerinnen Carmen Jud gehörte) auf das Stelleninserat der cfd-Frauenstelle in Zürich: "20 Monate lang war der Feminismus der Hinderungsgrund bei der Arbeitssuche. Und jetzt wurde auf einmal eine Feministin gesucht! Ich wusste sofort: Diese Stelle will ich und ich habe sie bekommen." Und dann hat es ihr beim cfd "richtig den Ärmel reingenommen"
Heute ist Carmen Jud Geschäftsleiterin des cfd und kann auf eine erfolgreiche Umstrukturierung "ihres Ladens" zurückblicken. Und eigentlich könnte dieses Porträt jetzt erst richtig beginnen: Allein die Veränderungen beim cfd oder das Thema "Frau und Macht" würden genug Stoff dafür hergeben
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