Die cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit, die in diesem Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum feiert (siehe unten), wurde 1981 gegründet, um einerseits feministische Inhalte in die Friedensbewegung einzubringen und andererseits Raum für die eigenständige Bearbeitung friedenspolitischer Fragen durch Frauen zu schaffen. Seither mischen wir uns in die Frauen- und Friedensbewegung ein und beteiligen uns aktiv an den politischen Debatten und Auseinandersetzungen. Die feministische Reflexion unserer Interventionen und das Beharren auf einer geschlechterspezifischen Perspektive nennen wir feministische Friedenspolitik.
Wir gehen vom einem umfassenden Friedensbegriff aus. Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg, Frieden ist mindestens auch die Abwesenheit von Gewalt. Unser Augenmerk richtet sich auf alle Formen gesellschaftlicher Gewalt, insbesondere auch auf die umfassend praktizierte Alltagsgewalt gegen Frauen. "Der alltägliche Gewaltpegel ist Gradmesser für den friedenspolitischen Handlungsbedarf einer Gesellschaft", haben wir einmal geschrieben. Von Männern ausgeübte Gewalt gegen Frauen muss daher auch in der Friedenspolitik thematisiert werden. Parallel zum "gender mainstreaming" betreiben wir "peace mainstreaming" und meinen damit Friedenspolitik als Querschnittaufgabe. Alle gesellschaftspolitischen Teilbereiche werden auf ihre Friedensrelevanz hin überprüft, werden Teil einer von Frauen geforderten Friedenspolitik.
Die praktische Umsetzung dieser feministischen Friedenspolitik gelingt allerdings nicht reibungslos. Sie ist voller Widersprüche, denen wir in all unseren Aktivitäten immer wieder begegnen. Grundsätzlich haben wir zwei Möglichkeiten, mit diesen Widersprüchen umzugehen: Entweder positionieren wir uns und entscheiden uns für die eine oder andere Seite, oder wir versuchen, diese Widersprüche zu kontextualisieren. Um es vorweg zu nehmen: Wir machen beides! In der Praxis sind wir sehr oft gezwungen, die eine oder andere Seite zu beziehen. Theoretisch versuchen wir hingegen, die Widersprüche zu analysieren und sie zu kontextualisieren.
Zentral ist für uns, dass wir diesen Widersprüchen immer wieder nachgehen, uns damit konfrontieren, sie kritisch hinterfragen, um so schliesslich auch unsere Entscheidungen transparent zu machen.
Zwei Grundwidersprüche begleiten uns in der politischen Praxis ständig: Zum einen die Auseinandersetzung um Gleichheit und Differenz. Und zum anderen unsere Positionierung zwischen gesellschaftlichen Visionen und dem, was im Moment möglich ist, nämlich der Realpolitik.
Nachfolgend werde ich über den ersten Widerspruch schreiben; über den zweiten Grundwiderspruch Visionen in der Realpolitik lesen Sie in der nächsten FriZ.
Das Dilemma des Andersbleiben im Gleichwerden, oder die Totalisierung der Weiblichkeit auf der einen Seite, weibliche Nicht-Identität auf der anderen. So kann dieses feministische Dilemma auch umschrieben werden. Wir wollen abschaffen, was wir immer wieder benennen. Wir wollen Gleichheit und fordern Sonderrechte, wir wollen Gleichberechtigung und fordern Gesetze zur Frauenförderung wie Quoten etc. Unsere Vision eines gewaltfreien Geschlechterverhältnisses und einer Welt ohne Unterdrückung und Diskriminierung trifft auf eine sozial ungleiche Wirklichkeit, in der Frauen und Männer Lebensentwürfe verfolgen, die alte Abhängigkeiten und Hierarchien immer wieder wiederholen.
Mindestens zwei Konzepte innerhalb der feministischen Theorie und Praxis versuchen, diese Realität in Griff zu bekommen: Da ist zum einen das liberale Gleichheitsmodell, das Gleichheit als Gleichstellung versteht und schlicht auch Frauen zugutekommen lassen will, was bislang nur Männern zustand. Faktisch heisst Gleichberechtigung hier Angleichung an die männliche Welt und ist deshalb mit dem Verzicht auf Anderssein erkauft. Ein Beispiel hierfür wäre die Forderung nach dem Einbezug der Frauen in die Armee und deren Zulassung zu Kampfhandlungen.
Aus der Kritik an diesem Ansatz entwickelte sich der Differenzansatz: Gleichheit unter gleichzeitiger Akzeptanz männlich definierter Strukturen und Werte sei keine Gleichheit, für die es sich zu kämpfen lohnt. Feministinnen forderten eine Gleichheit oder auch Gleichwertigkeit, die die Überwindung an der männlichen Lebenswelt als Bezugsnorm zum Ziel hat. In einigen Spielarten beinhaltet dies auch eine Aufwertung und Überhöhung des sog. Weiblichen.
Beide Ansätze, der Gleichheits- und Differenzansatz haben gemeinsam, dass sie die Kategorie Geschlecht als politischen Faktor, als Methode zur Herstellung von sozialer Ordnung verstehen. Selbstverständlich ist dieser Faktor einer unter vielen Klasse, Ethnie, Alter und andere sind ebenso bestimmende Faktoren, so dass auch in diesem Zusammenhang immer mehr von einer Kontextualisierung der Geschlechterverhältnisse gesprochen wird. Und trotzdem: Unser beharrliches Insistieren auf dieser Kategorie Geschlecht oder gender, also das immer wieder auch auf geschlechterspezifische Unterschiede und Auswirkungen aufmerksam machen, das scheint bei unseren männlichen Verbündeten in der Friedens- und linken Bewegung oftmals grosses Unverständnis, oder Irritation oder schlichtwegs auch Nicht-Wahrnehmung auszulösen.
Die cfd-Frauestelle positioniert sich z.Z. klar innerhalb des zweiten Modells, das eine Überwindung der Orientierung an der männlich definierten Gesellschaft anstrebt. Gerade in der Frauenfriedensbewegung ist die Gefahr jedoch ziemlich gross, in Richtung Essenzialisierung weiblicher Eigenschaften abzugleiten, d.h. biologistische Konzepte über die wesensmässigen Unterschiede zwischen Frauen und Männern zu verwenden.
Frauen wird oft eine genuin weibliche Friedfertigkeit zugesprochen. Krieg und Gewalt sei eine Sache der Männer und wir müssten uns ernsthaft fragen, ob alles Übel auf der Welt auf dem y-Chromosomen angesiedelt ist. Begründet wird dieses besondere weibliche Interesse an Friedensfragen damit, dass Frauen aufgrund ihrer Fähigkeit, Leben zu geben, eine andere Beziehung zum Leben hätten und deshalb viel weniger am Töten interessiert seien.
Es stimmt: Frauen sind empirisch wirklich viel weniger gewalttätig als Männer. Untersuchungen zeigen, dass es sich bei Gewalt um ein männliches Phänomen handelt, ohne dass dies im öffentlichen Bewusstsein präsent wäre. Die meisten Verbrecher, etwa 90%, sind männlich, nicht aber die Opfer. Darüberhinaus gibt es spezifische Formen von Gewalt, die fast ausschliesslich von Männern ausgeübt werden. (Dazu gehören die Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe, Prügeln von Frauen, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und Kindsmissbrauch.)
Wir möchten jedoch den Dualismus zwischen "gleich" und "unterschiedlich" knacken, oder wie es so schön heisst: dekonstruieren. Das würde bedeuten, die Differenz nicht als gegeben, als Resultat zu sehen, sondern zu fragen: Wie werden Unterschiede sozial geschaffen, und wie werden sie in Ungleichheit umgemünzt?
Frauen haben nicht weniger Aggressionen als Männer, doch haben sie andere Formen gelernt oder lernen müssen, damit umzugehen: Konfliktlösung durch Verhandlungen, Kompromisse, verbale Manipulation. Durch gesellschaftliche Zuschreibungen, die geschlechterspezifische Sozialisation haben Männer und Frauen menschliche Eigenschaften unterschiedlich stark ausgeprägt. Wir halten es für verfehlt, Fähigkeiten wie Stärke, Durchsetzungsvermögen, Aggressionsbereitschaft auf der einen Seite, oder Sensibilität, Fürsorglichkeit, Schwäche auf der anderen eher dem einen oder anderen Geschlecht als sog. natürliche Eigenschaften zuzuordnen. Aus der Tatsache, dass Frauen im Zusammenhang mit Krieg und Gewalt eher Opfer als Täterinnen sind, folgt jedoch keinesfalls, dass sie deshalb bessere Menschen sind und zu Hoffnungsträgerinnen für friedliche Verhältnisse taugen. Zum einen sind Frauen nicht immer und ohne weiteres friedfertig; zum anderen sind Rollen und Lebenszusammenhänge von Frauen Bestandteil der friedlosen gewalttätigen Gesellschaft. Feminismus als Kritik patriarchaler Herrschafts- und Gewaltverhältnisse muss deshalb auch eine kritische Haltung gegenüber Frauen einschliessen.
Trotzdem sind Frauen immer noch Aussenseiterinnen der politischen, militärischen und ökonomischen Macht. Frauen machen in der Regel immer noch andere Erfahrungen als Männer, sie sehen die Welt mehrheitlich aus einem anderen sozialen Blickwinkel als Männer und sie sind weniger in die heutigen Machtkartelle eingebunden. Die sog. Friedfertigkeit der Frauen ist daher Resultat ihres Ausschlusses von der Macht, ist Resultat ihrer untergeordneten Stellung innerhalb der hierarchischen Geschlechterordnung.
Das heisst zwar, dass Frauen weniger Einfluss haben, hat aber den Vorteil der kritischen Distanz. Und diese kritische Distanz müssen sich Frauen unbedingt bewahren. Als Aussenstehende können sie genauer hinsehen, auch wenn sie sich endlich gleichberechtigt an der Macht beteiligen können, dort wo es sinnvoll ist. Und hier wird dann die Geschlechterfrage zum politischen Programm, zum Streit um Werte und Normen, die Frauen genauso voneinander unterscheiden wie Männer untereinander.
Die Spannbreite der Positionen innerhalb der Frauenfriedensbewegung verdeutlicht sehr schön die Kontroverse zwischen den beiden feministischen Zeitschriften Emma und Courage Anfang der 80er Jahre. Alice Schwarzer forderte in der Emma einen gleichberechtigten Zugang von Frauen zur letzten Männerbastion Militär und rief die Frauen zugleich aus antimilitaristischen Gründen zu Verweigerung auf. Die Courage-Frauen hingegen setzten auf die gesellschaftsverändernde Wirkung einer weiblichen Friedfertigkeit und lehnten das Militär als patriarchale Institution ab. "Was für eine perverse Vorstellung von Gleichheit. Wenn schon Gleichheit, dann sollen sich die Männer an uns orientieren, keine Frau, kein Mann in die Armeen! Emanzipation heisst nicht die Nachahmung männlicher Dummheit".
*Sibylle Matthis ist Mitarbeiterin der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit in Zürich.Die cfd-Frauenstelle für Friedenspolitik wird 20. Seit 20 Jahren fungiert dieses kleine, aber unüberhörbare Büro an der Gartenhofstrasse auf verschieden Ebenen der schweizerischen Friedenspolitik. Sie war und ist die feministische Stelle, die eben alles noch ein bisschen (oder wesentlich) anders sieht, als die damals und wohl auch heute noch männlich dominierte Szene. 1981 als Koordinationsstelle für verschiedene Frauen und Frauengruppen der Friedensbewegung gegründet, ist die cfd-Frauenstelle heute mindestens ebenso der feministische Think-tank der schweizerischen Friedenspolitik nicht nur auf NGO-Ebene. Dies zeigt sich an der grundsätzlichen Fragestellungen rund um Feminismus, Gewalt, Macht und Politik, wie sie Sibylle Mathis in ihrem ersten Text über den background' der feministischer Friedensarbeit schildert.
Anlässlich des Geburtstages der cfd-Frauenstelle möchte die FriZ mit der Jubilarin während des ganzen Jahres über deren Arbeit, Ansätze und Zukunftsprojekte berichten. Und ihr damit auch für die so oft notwendige Kritik und daraus erfolgte Zusammenarbeit danken. Denn die explizit feministische Friedenspolitik und damit auch die Frauenstelle bleiben nötig, solange die Verknüpfung zwischen Geschlecht, Patriarchat und Gewalt in der Friedensarbeit und in der Politik überhaupt nicht von selbst miteinbezogen wird.
(mr)
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