"Uneingeschränkte Globalisierung schadet der Umwelt"

Wie kommt eine klassische, eher traditionelle Umweltschutzorganisation wie Pro Natura dazu, sich am Protest gegen das Weltwirtschaftsforum in Davos zu beteiligen? Die FriZ sprach mit Miriam Behrens, Projektleiterin Politik/Internationale Koordinatorin bei Pro Natura, über Globalisierung und Umwelt.

 

Welches sind die Motive für Pro Natura, sich an der Kampagne "Public Eye on Davos" zu beteiligen?

Miriam Behrens: Pro Natura ist in ihrem Kern eine nationale Naturschutzorganisation, dort setzen wir unsere Schwerpunkte. Pro Natura befasst sich aber bereits seit der Uruguay-Runde 1995 auch mit der WTO und der Globalisierung. Der Hauptgrund für unser Engagement besteht in der Einsicht, dass eine uneingeschränkte Globalisierung der Umwelt schadet. Beispielsweise durch die massive Zunahme des Güterverkehrs infolge der Liberalisierung des Handels. In einer soeben erschienen Broschüre (s. unten) zeigen wir exemplarisch die Zusammenhänge zwischen den internationalen Wirtschaftsprozessen und der Natur auf.

Wie reagiert ihre Basis auf das politische Engagement zur Globalisierung?

Miriam Behrens: Es gibt und gab sehr unterschiedliche Reaktionen. Die Palette reicht von Zustimmung dazu, dass Pro Natura ihren Horizont erweitert, bis hin zu Mitgliedern, die sich vergangenes Jahr darüber beschwerten, dass wir uns an so "radikalen Sachen" wie der Demonstration in Davos beteiligen. Und das obwohl Pro Natura bei der Demonstration bereits letztes Jahr explizit nicht mitgemacht hat.

Ganz allgemein sind die Reaktionen zum Thema Globalisierung jedoch nicht stark. Andere Pro Natura-Kampagnen, zum Beispiel die Luchs-Kampagne, lösen heftigere Diskussionen unter unseren Mitgliedern aus.

Was hat sich an der Haltung von Pro Natura gegenüber dem WEF seit dem Vorjahr verändert?

Miriam Behrens: Unsere Position gegenüber dem Weltwirtschaftsforum ist eine andere. Letztes Jahr waren wir dem WEF gegenüber noch relativ offen, wir hatten z.B. Direktor Klaus Schwab und ABB-Manager Göran Lindahl während des Forums zu einem Streitgespräch eingeladen. Die beiden kamen denn auch, doch mussten wir erfahren, dass sie auf unsere Bedenken und Forderungen nicht ernsthaft einzugehen bereit waren. Für uns war es letztlich eher kontraproduktiv, denn in der Medienberichterstattung profitierte vor allem das WEF von unserer offenen Haltung. Ganz generell sind die Spiesse in Davos ungleich lang: Neben den PolitikerInnen und den VertreterInnen der internationalen Multis sind wir NGO nur kleine MitspielerInnen am Rande, die Acht geben müssen, dass sie nicht als grünes Feigenblatt missbraucht werden.

Auch unsere Forderungen haben sich verändert: Während wir letztes Jahr noch mehr Transparenz des Weltwirtschaftsforums selbst gefordert haben, verlangen wir heute politische Rahmenbedingungen, die verhindern, dass politische und wirtschaftliche Veränderungen dieser Grössenordnung praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit in die Wege geleitet werden. Unser Ziel ist nicht mehr die Veränderung des WEF, sondern der Appell an die Politik, das Szepter wieder in die Hand zu nehmen.

Gibt es so etwas wie ein nationales oder internationales Netzwerk der Umweltschutzorganisationen in Bezug auf Globalisierungsfragen?

Miriam Behrens: Pro Natura bearbeitet das Thema Globalisierung nicht allein. Wir sind selbst Mitglied eines internationalen Netzwerks, "Friends of the Earth International", einem Dachverband mit Mitgliedsorganisationen in 68 Ländern. Die wirtschaftspolitischen und internationalen Themen bearbeiten wir alle in Zusammenarbeit mit diesem Netzwerk. Daneben gibt es immer wieder auch eine punktuelle Zusammenarbeit mit anderen Umweltschutzorganisationen wie WWF oder Greenpeace, mit denen wir zu einzelnen Themen gemeinsame Stellungnahmen erarbeiten oder auch Kampagnen durchführen.

Man darf aber nicht vergessen, dass die Meinungen auch unter den Umweltschutzorganisationen z.T. sehr weit auseinander gehen. Ein aktuelles Beispiel dafür ist zum Beispiel die Frage, wie die gemeinsame Forderung nach einer Reorganisation der WTO umgesetzt werden kann: Während sich "Friends of the Earth" klar gegen eine neue Liberalisierungsrunde aussprechen, weil wir eine weitere Verschlechterung befürchten, sind Greenpeace und WWF der Meinung, dass eine neue Liberalisierungsrunde zwingend ist, um überhaupt ökologische Leitplanken in der WTO verankern zu können.

Viele, vor allem kleinere Nichtregierungsorganisationen beklagen sich darüber, dass sie von der WTO nicht ernst genommen werden. Wie sind die Erfahrungen der (grösseren) Umweltschutzverbände diesbezüglich?

Miriam Behrens: Wir selbst haben bis anhin gar nicht versucht, von der WTO als Organisation als GesprächspartnerIn anerkannt zu werden. Wenn, dann versuchen wir auf die nationalen Delegationen Druck zu machen. In der Schweiz führen wir Gespräche mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft (seco). Wir tun dies zusammen mit der ganzen Koalition WTO-kritischer NGO, die von den Gewerkschaften bis zum Bauernverband reicht. Nur wenige unserer Forderungen fliessen zwar letztlich in die offiziellen Positionen der Schweiz ein. Aber umgekehrt muss ich der Schweiz attestieren, dass sie eine relativ gute Haltung vertritt, was die Umwelt betrifft, so z.B. im Landwirtschaftsbereich oder in der Verkehrspolitik. Die grösste Diskrepanz besteht beim harten Liberalisierungskurs der Schweiz, der immer wieder im Widerspruch zur Ökologie steht. Unser politisches Gewicht ist offensichtlich nicht gross genug, um an dieser Haltung etwas zu verändern.

Welches sind die Schwerpunkte von Pro Natura im Bereich des Globalisierungsprozesses? Was steht 2001 aus Umweltsicht zuoberst auf der WTO-Traktandenliste?

Miriam Behrens: Uns geht es um die Schaffung politischer Rahmenbedingungen, die weltweite ökologische Leitplanken für wirtschaftliches Wachstum setzen. Es darf kein Öko-Dumping geben und die grossen Multis dürfen nicht die einzelnen Länder gegeneinander ausspielen können. Zentral ist dabei auch die Regelung des weltweiten Ressourcenverbrauchs. Weitere Stichworte sind die Einführung der Kostenwahrheit, Förderung des Umweltschutzes, Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe etc. In unserem politischen Alltag fliessen diese Positionen zum Beispiel bei Gesprächen mit der Schweizer Regierung über die eidgenössische Handels- und Aussenpolitik ein. Sie drücken sich aber auch in der Forderung nach einer ökologischen Steuerreform aus, wie sie die Initiative der Grünen Partei vorschlägt, oder nach einer CO2-Abgabe aus.

Im Rahmen der WTO ist für uns natürlich die Arbeit der Commission on Trade and Environment (CTE) besonders wichtig, in der es um den Konflikt zwischen Umweltschutz und Handelsrecht geht. Zentrales Thema im laufenden Jahr wird sicher auch die Landwirtschaft sein, wo die Liberalisierungsbestrebungen z.B. die Direktzahlungen für ökologische Leistungen gefährden. Auch die Gentechnologie, wo die WTO unter Führung der USA einen weit gehende Liberalisierung anstrebt, ist für Pro Natura zentral. Kaum abzuschätzen sind ausserdem die ökologischen Konsequenzen, die das geplante Dienstleistungsabkommen GATS mit sich bringen würde – weshalb es unserer Ansicht nach vorläufig zurückgestellt werden muss.

Miriam Behrens: Warum der Wiedehopf nicht mit sich handeln lässt. Eine Pro Natura Publikation zum Thema Weltwirtschaft und Natur. 2000, 24 Seiten, broschiert. Zu beziehen bei: Pro Natura, Postfach, 4020 Basel (Artikelnummer deutsch 3111, französisch 3112, englisch 3115).

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