Eine grosse Allianz für mehr Gerechtigkeit

Die WTO hat aus Seattle nichts gelernt und fährt unirritiert fort, neue Liberalisierungsrunden zu initiieren und Verträge auszuarbeiten, welche immer sensiblere Bereiche der Gesellschaften tangieren. Aber auch die Schweizer Regierung hat ihre Haltung nach den Protesten in Seattle nicht verändert. Eine breite Koalition von Schweizer NGO verlangt nun genau dies vom Bundesrat.

Von Bastienne Joerchel*

In der "Schweizer Koordination für gerechten Welthandel" haben sich über vierzig Organisationen unterschiedlichster Couleur zusammengeschlossen: Die Allianz geht vom Schweizerischen Bauernverband über die Kleinbauernvereinigung, vom Gewerkschaftsbund SGB zu Pro Natura und Greenpeace; sie schliesst die Erklärung von Bern ein, die Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke genauso wie den Schweizerischen Konsumentenschutz und viele weitere NGO mehr. Wozu dieser Schulterschluss?

Neue Verhandlungen – alte Positionen

Im Oktober des vergangenen Jahres ging die Koordination an die Öffentlichkeit und präsentierte die gemeinsame Kritik an der schweizerischen Wirtschaftspolitik. Auf der Anklagebank sassen die Verhandlungen innerhalb der WTO, die trotz des Scheiterns der MinisterInnenrunde von Seattle im Dezember 1999 weitergeführt wurden. Seit Anfang 2000 bereitet die WTO die Revision des Abkommens über geistiges Eigentum vor – genauso wie auch neue Verhandlungen im Landwirtschafts- und Dienstleistungsbereich. Die Schweiz scheint dabei – genauso wie die meisten Industrieländer – die Lehre aus dem Scheitern Seattles nicht gezogen zu haben. Sie fährt unbeirrt fort, eine Position zu vertreten, die weitere wirtschaftliche Liberalisierungen zum Ziel hat und einzig den Interessen der grossen transnationalen Konzerne dient.

Obwohl die in der Koordination zusammengeschlossenen Organisationen sehr unterschiedliche politische Standpunkte vertreten, konnten sie sich in diesem gemeinsamen Ziel – gegen eine dogmatische Liberalisierung des Welthandels einzutreten – problemlos finden. Die Verhandlungen bei der WTO können weder die sozialen Ängste und die Umweltbedenken verbergen, noch die Interessen der Landwirte und KonsumentInnen bei Seite schieben. Dazu kommen die Nöte der ärmsten Länder, die nach mehr Gerechtigkeit verlangen. Die Koordination erwartet daher von den Industrienationen und insbesondere vom Bundesrat eine grössere Bereitschaft, sich mit den wirklichen Herausforderungen des Welthandels auseinanderzusetzen.

Interessen, die sich treffen

Die Landwirtschaftskreise verlangen, dass ihre Selbständigkeit und die Selbstversorgung des Landes und der Bevölkerung höher gewertet werden sollen als das Liberalismusdenken. Für den Bauernverband sind die Lebensbedingungen der schweizerischen Landwirtschaft längst nicht mehr mit einem rein kommerziellen liberalisierten Handelssystem vereinbar, welches nur dem Agro-Business dient. Diese Sorgen decken sich auch mit denjenigen der Hilfswerke, die eine progressive und sektorielle Integration der armen Länder in den Weltmarkt fordern. Bis heute haben von den Handelsliberalisierungen vor allem Europa, die Vereinigten Staaten und Japan profitiert, die – dank ihrer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft und Verarbeitungsindustrie – ihre Vormachtsstellung auf den Weltmärkten ausgebaut haben.

Die KonsumentInnenorganisationen, die Gewerkschaften und die Entwicklungsorganisationen haben ihre Aufmerksamkeit insbesondere auf die neuen Verhandlungen zum Dienstleistungssektor gelenkt, die bei der WTO im Februar 2000 in Angriff genommen wurden. Die Folgen dieser Vereinbarungen sind weitaus wichtiger, als dies vom Staatssekretariat für Wirtschaft (seco), welches die Schweiz in den Verhandlungen vertritt, deklariert wurde. Die Europäische Union und die Schweiz haben nämlich offiziell ihre Bereitschaft bekanntgegeben, keinen einzigen Verhandlungsbereich auszuschliessen. Das Risiko ist also recht gross, dass die WTO ihre Greifarme nach neuen Wirtschaftsbereichen ausstreckt, die für den Service public wichtig sind: der Gesundheitssektor, der Bildungsbereich oder die soziale Sicherheit. In der Schweiz hätte eine Liberalisierung dieser Sektoren negative Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen, auf den Zugang und die Qualität von Sozialleistungen, auf die Gesundheitsversorgung und auf die Bildung.

Die Infrastrukturen der ärmeren Länder ihrerseits sind noch nicht solide genug, um gegen die Konkurrenz aus dem Ausland bestehen zu können. Im Norden wie im Süden ist also die Angst gross, dass die soziale Schere weiter aufgeht: Zwischen denjenigen, die sich den Zugang zu privaten Diensten leisten können und all den anderen, die nicht die Mittel dazu besitzen. Die Schweizer Koordination gerechter Welthandel verlangt daher vom Bundesrat, keinerlei Konzessionen in den für den Service public sensiblen Bereichen einzugehen. Ausserdem fordert die Vereinigung ein Ende des Drucks auf die Entwicklungsländer, der von ihnen verlangt, ihre Märkte im Dienstleistungs- und Landwirtschaftssektor zu öffnen. Die in der Koordination zusammengeschlossenen Organisationen haben sich aber auch einhellig gegen eine Patentierung von Leben ausgesprochen – eine Position, die von der offiziellen Haltung der Schweiz weit entfernt ist, die aber den Sorgen der Bevölkerung und der KonsumentInnen entspricht.

Die Alternative

Die wirklichen Probleme des Welthandels liegen weder in einem Mangel an Absatzmärkten für die Grosskonzerne, noch in einem Regulationsdefizit für die nationalen Märkte. Die wahren Gefahren liegen im Versagen der WTO-Strukturen, in der völligen Absenz jeglicher demokratischer Kontrolle sowie in der allgemeinen Verbindlichkeit der Handelsregeln, die in den sensibelsten Wirtschaftsbereichen Schaden anrichten und keinerlei Gegenmittel gegen die sozialen und ökologischen Folgen der liberalisierten Märkte anbieten.

Die Koordination ist der Meinung, die Schweiz könnte einen alternativen Weg einschlagen: Sie soll auf eine tiefgreifende Reform der WTO pochen, damit diese mit dem Nötigen ausgerüstet wird, um den Folgen der Globalisierung auf eine gerechte, demokratische, ökologische und soziale Weise begegnen zu können.

Weitere Informationen und Dokumente (u.a. "Welche Lehren sollte die Schweiz aus Seattle ziehen?" vom November 2000) können bezogen werden bei:

Schweizer Koordination gerechter Welthandel, Postfach 6735, 3001 Bern oder Coordination Suisse – OMC, Case postale 164, 1000 Lausanne 13.

* Bastienne Joerchel ist Politologin und bei der Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke für Welthandelsfragen und WTO zuständig. Übersetzung: mr.


Inhaltsübersicht nächster Artikel