Von Marianne Hochuli*
Die MinisterInnenkonferenz ist das höchste Organ der Welthandelsorganisation WTO in Genf. Sie findet normalerweise alle zwei Jahre statt. Ende 1999 hätte die dritte MinisterInnenkonferenz seit Bestehen der WTO eine neue Liberalisierungsrunde des Welthandels, die so genannte Millenniumsrunde, beschliessen sollen. Dieses Ziel verfolgten mindestens die HandelsministerInnen der reicheren Länder. Sie erreichten ihr Ziel jedoch nicht.
Die Konferenz wurde nach drei Tagen vor allem aus drei Gründen ergebnislos abgebrochen: Erstens konnten sich die USA und die EU (an deren Position sich die Schweiz praktisch immer anlehnt) nicht auf die Ausrichtung der künftigen Landwirtschaftspolitik einigen. Die USA wollten, zusammen mit den exportorientierten Agrarländern, eine weitgehende Liberalisierung des Agrarhandels erreichen. Sämtliche Stützungsmassnahmen sollten abgebaut und Nahrungsmittel wie jedes andere (Industrie-)Produkt behandelt werden. Die EU und die Schweiz wollten hingegen ihre Landwirtschaft schützen und argumentierten, die Landwirtschaft erfülle vielfältige Aufgaben, wozu zum Beispiel auch der Landschaftsschutz gehöre, der unterstützt werden müsse.
Der zweite Grund für das Scheitern der Konferenz war, dass die ärmeren Länder viel selbstbewusster auftraten als in früheren Verhandlungen und nicht mehr bereit waren, die Vorgaben der Industrieländer zu erfüllen. Sie sprachen sich gegen eine neue Liberalisierungsrunde des Welthandels aus mit der Begründung, in ihren Ländern seien noch nicht einmal alle bisherigen WTO-Abkommen in Kraft getreten, daher seien sie unmöglich im Stande, neue Liberalisierungsverpflichtungen zu übernehmen.
Und drittens verhinderte die breite Protestbewegung gegen die neoliberale WTO-Politik in den Strassen von Seattle den geordneten Ablauf der Ministerkonferenz.
Während die WTO und die meisten Medien von einem "Fiasko von Seattle" sprachen und Bundesrat Couchepin vor allem die miserable Organisation der Ministerkonferenz bemängelte, feierten Nichtregierungsorganisationen und Basisbewegungen den Sieg von Seattle. Die ergebnislose Konferenz bedeutete vorläufig, dass keine neuen Bereiche den WTO-Regeln unterstellt würden und dass die Zeit genutzt werden könnte, um die bisherige Politik grundlegend zu überprüfen und in eine gerechtere, sozialere und umweltverträglichere Richtung zu lenken.
Bei der WTO herrschte zunächst Ratlosigkeit über das weitere Vorgehen. Ein Zusammenbringen der unterschiedlichen Anliegen der verschiedenen Länderblöcke schien unmöglich. Deshalb sollte über weitere Schritte an informelleren Zusammenkünften beraten werden. Das Davoser World Economic Forum WEF 2000 bot dazu den reicheren und einigen ausgesuchten ärmeren Ländern eine erste Gelegenheit. Die südlichen Länder debattierten drei Wochen später am zehnten UNCTAD-Treffen2 in Bangkok. WTO-Generaldirektor Mike Moore pendelte zwischen den verschiedenen Treffen und Ländern hin und her und forderte von den Industrieländern so genannte "vertrauensbildende Massnahmen" gegenüber den ärmeren Ländern, deren Anliegen ernster genommen werden müssten. Um die WTO-Abkommen überhaupt umsetzen zu können, benötigten diese vom Norden mehr technische und finanzielle Hilfe, denn die Inkraftsetzung solcher Abkommen erfordere einen aufwändigen Rechtsapparat sowie entsprechend ausgebildetes Fachpersonal. Im weiteren rief er die Industrieländer dazu auf, ihre abgeschotteten Märkte für Textilien und Landwirtschaftsprodukte aus den ärmsten Ländern zu öffnen und diesen längere Übergangsfristen zuzugestehen, um ihre Verpflichtungen überhaupt erfüllen zu können.
Auch die intransparente und undemokratische Verhandlungsweise innerhalb der WTO, die Delegierte aus ärmeren Ländern von den entscheidenden Verhandlungen ausschliesst, sollte überdacht werden. Dies bestätigte selbst der britische Handelsminister Stephen Byers, der meinte: "Die WTO kann in der bisherigen Form nicht weitergeführt werden. Die Bedürfnisse aller 134 WTO-Mitglieder müssen künftig berücksichtigt werden." Nachdem sich WTO-Generaldirektor Mike Moore kurz nach Seattle stark mit der Situation der ärmeren Ländern befasste, begann sich seine Argumentationsweise schon bald zu ändern. Er wurde und wird bis heute nicht müde zu versuchen, diese Länder doch noch zu einer neuen und breiten Handelsliberalierungsrunde zu bewegen. Nur so könnten ihre Interessen besser wahrgenommen werden, versichert er.
Mit dieser Argumentation verficht er wie schon früher die Interessen insbesondere der EU und einiger zugewandter Länder. In einer umfassenden Liberalisierungsrunde würde sich deren Verhandlungsspielraum nämlich entscheidend vergrössern, um die drohenden Liberalisierungsforderungen im Landwirtschaftsdossier abwenden zu können. Die WTO-typische Verhandlungslogik dahinter lautet "Ich gebe dir nur etwas, wenn du mir auch etwas gibst". Diese Strategie ist für südliche Länder, die viel weniger anzubieten haben, in keiner Weise akzeptabel. Sie fühlen sich von den grossen Handelsmächten gleich doppelt über den Tisch gezogen. Ihre Forderungen nach spezieller Behandlung in der WTO auf Grund der unterschiedlichen Wirtschaftslage, nach Marktöffnungen für ihre wenigen Produkte und nach einem Abbau der Exportsubventionen für landwirtschaftliche Produkte in den Industrieländern, wurden noch nicht erfüllt, und nun sollen sie, um diese alten Forderungen einlösen zu können, in eine neue Liberalisierungsrunde einwilligen.
Trotz aller Unsicherheiten über das weitere Vorgehen stand der WTO-Betrieb in Genf keineswegs still. Die HandelsministerInnen widmeten sich bereits ab anfang 2000 den Dossiers der Landwirtschaft und Dienstleistungen. Schon in der acht Jahre dauernden Uruguayrunde3, die zur Errichtung der WTO geführt hatte, war beschlossen worden, dass die drei Bereiche Landwirtschaft, Dienstleistungen und Geistiges Eigentum nochmals neu verhandelt würden mit dem Ziel, weitere Liberalisierungsschritte zu beschliessen.
Insbesondere das Dienstleistungsabkommen GATS4 ist ein noch sehr vage formuliertes Abkommen, das einigen Zündstoff in sich birgt, ist es doch nur auf massiven Druck der Dienstleistungsbetriebe in den Industriestaaten zu Stande gekommen. Diese Länder erhoffen sich von den anstehenden Neuverhandlungen, die sich voraussichtlich über drei Jahre hinziehen werden, eine weit gehende Liberalisierung und neue Märkte im Dienstleistungsbereich. Die meisten südlichen WTO-Mitgliederländer haben sich gegen das Zustandekommen des Dienstleistungsabkommens GATS heftig gewehrt. Mit ihren zumeist schwachen Dienstleistungssektoren sind sie im Vergleich zu den Industrieländern viel weniger in der Lage, marktfähige Dienstleistungen anbieten. Sie befürchten für ihre lokalen AnbieterInnen die erdrückende Konkurrenz multinationaler Dienstleistungskonzerne aus dem Norden. Tatsächlich erklärte die US-Regierung in ihrem Positionspapier noch Anfang 2000, dass sie das Ziel verfolgen würde, ihren Firmen im Dienstleistungsbereich den maximalen Zutritt zu allen Ländern zu ermöglichen. Auch die Schweizer Regierung fordert eine breite Marktöffnung, es solle kein Subsektor von vornherein ausgeschlossen werden. Grosse Uneinigkeit zwischen nördlichen und südlichen Ländern bestand im Bereich der Arbeitsmigration. Ärmere Länder fordern eine weiter gehende Liberalisierung im grenzüberschreitenden Personenverkehr. Gerade die Schweiz, die sich für Grenzöffnungen für Kapitalströme stark einsetzt, hat im Bereich des grenzüberschreitenden Personenverkehrs sehr strikte Regeln erlassen: Sie will ihren Dienstleistungsmarkt lediglich Führungskräften und SpezialistInnen im Rahmen von firmeninternen Transfers öffnen. In solch qualifizierten Stellungen sind zum Beispiel Frauen krass untervertreten, weshalb sie von dieser Regelung in keiner Weise profitieren können.
Auch das öffentliche Beschaffungswesen soll mehr und mehr den WTO-Regeln unterstellt werden. Dadurch verkleinert sich der Spielraum von Regierungen, Regierungsaufträge an bestimmte Bedingungen wie zum Beispiel die Bevorzugung lokaler Firmen oder die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutzgesetzen zu knüpfen.
Die Verhandlungen rund um das Dienstleistungsabkommen GATS werden neuerdings von Nichtregierungsorganisationen aufmerksam verfolgt.5 Diese fordern insbesondere, heikle Bereiche wie etwa den Gesundheits- und Bildungsbereich nicht den WTO-Regeln zu unterstellen, um Deregulierungen und Privatisierungen des Service Public zu unterbinden. Auch soll ärmeren Ländern gegenüber kein Druck aufgesetzt werden, im Dienstleistungsbereich Liberalisierungsverpflichtungen eingehen zu müssen.
Die nächste MinisterInnenkonferenz soll Ende Oktober in Katar, am persischen Golf stattfinden. In diesem Land wurde bisher die freie Versammlungsfreiheit nicht gewährleistet. Dies dürfte die Arbeit der NGO massiv erschweren, wenn nicht gar verunmöglichen. Sie fordern darum in einem gemeinsamen Aufruf, entweder müsse Katar Frauen und Männern die Versammlungs- und Redefreiheit (sprich auch Demonstrationen) gewährleisten oder sich als Gastland für die nächste MinisterInnenkonferenz zurückziehen.
1 Die 1994 geschaffene Welthandelsorganisation WTO hat zur Hauptaufgabe, die Ergebnisse der Handelsvereinbarungen umzusetzen und weitere Verhandlungen zur Liberalisierungen der Märkte zu organisieren. Für die Schlichtung von Streitfällen wurde ein Schiedsgericht geschaffen, das befugt ist, über Sanktionen gegen die vertragsverletzende Partei zu entscheiden.. 2 Die UNCTAD ist die Handels- und Entwicklungskonferenz der UNO 3 Das von 23 Ländern unterzeichnete multilaterale Freihandelsabkommen GATT ist die Vorgängerin der WTO und trat 1948 in Kraft. Es hatte zum Ziel, in mehreren Verhandlungsrunden Zölle und weitere "Handelsbarrieren" (z.B. festgelegte Importmengen) im Güterhandel zu eliminieren. Die achte Verhandlungsrunde des GATT begann in Punta del Este (Uruguay) und zog sich - von 1986 bis 1994 - über acht Jahre hin. Sie beschränkte sich nicht mehr nur auf den Handel mit Gütern, sondern schloss neue Bereiche wie den Handel mit Dienstleistungen, mit Rechten an geistigem Eigentum sowie Investitionen mit ein. 4 Das GATS (General Agreement on Trade in Services) befasst sich mit dem Handel mit Dienstleistungen. Zum Dienstleistungsbereich zählen beispielsweise Banken, Versicherungen, Tourismus, der Umwelt- und Energiebereich, das Transportwesens, die Informatik, das Gesundheits- und Bildungswesen. Soll der Dienstleistungssektor liberalisiert werden, setzt dies Änderungen der nationalen Gesetzgebung betreffend Zulassung und Ausübung von Dienstleistungsaktivitäten voraus. 5 Die EvB hat dazu das Positionspapier "Die WTO - zu wessen Diensten?" verfasst, das eingesehen werden kann auf www.evb.ch oder bestellt bei: Erklärung von Bern, Postfach, 8031 Zürich * Marianne Hochuli ist bei der Erklärung von Bern Programmverantwortliche für den Bereich Handelspolitik.Das Vertragswerk der WTO umfasst mehr als 20 000 Seiten. Die wichtigsten Abkommen, in zahlreiche Unterabkommen gegliedert, sind folgende:
Das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) regelt den internationalen Güterhandel, inklusive Landwirtschaft und Textilien, und handelsrelevante Investitionsmassnahmen (TRIMs)
Das GATS-Abkommen (General Agreement on Trade in Services) regelt den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr
Das TRIPs-Abkommen (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights) regelt die Geistigen Eigentumsrechte und ermöglicht sogar die Patentierung von Lebewesen.
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