Zauberlehrlinge

Nachdem entdeckt wurde, dass beim Zerfall gewisser Elemente radioaktive Strahlung freigesetzt wird, galt diese zunächst als der Gesundheit förderlich und als heilsam für diverse Gebrechen. Wenig später musste man feststellen, dass dem nicht so ist, dass radioaktive Strahlung ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellt. Selbstverständlich hat dies nur wenige Zauberlehrlinge daran gehindert, ihrer Berufung weiter nachzugehen. Dank deren unermüdlichem Schaffen sahen sich die US-amerikanischen Militärs kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs dann im Besitze einer Waffe, deren "Wirksamkeit" bisher nie geahnte Ausmasse versprach. – Und sie haben sie eingesetzt, die neue Wunderwaffe. Noch lange werden Hiroshima und Nagasaki nicht vergessen sein.

Die Zauberlehrlinge haben seither diversifiziert. Über fehlende Mittel mussten sie sich kaum beklagen, pralle Budgets standen stets zur Verfügung, immer neue Flaschen haben sich angeboten und starke Geister versprochen. Deren Hinterlassenschaften lösen sich freilich nicht in Luft auf, denn sie wissen, was sie zu tun haben.

Hunderttausende von Menschen mussten und müssen unter den Auswirkungen chemischer Kampf- oder Unterstützungsstoffe (wie z.B. Agent Orange, ein dioxinhaltiges Entlaubungsmittel, das die US-Amerikaner im Vietnamkrieg tonnenweise eingesetzt haben) leiden. Oder sogenannte Anti-Personen-Minen, die unzählige ZivilistInnen, darunter viele Kinder, verstümmelt und getötet haben. Noch perfider die sogenannte Cluster-Munition, die über dem Zielgebiet bis Duzende kleiner "Bomblets" abwirft. Viele davon explodieren nicht und bleiben als Blindgänger liegen, bis ein Kind beim Spielen, eine Bäuerin bei der Feldarbeit darauf tritt. Dieser Typ von Munition widerspricht dem Sinn der Genfer Konventionen offensichtlich, doch auch die Schweizer Armee verfügt über erhebliche Vorräte derselben.

Doch es genügt schon, diese Geister zu wecken. Sie brauchen gar nicht erst losgeschickt zu werden. Sind sie erst mal raus aus der Flasche, kriegt man sie nicht mehr zurück. Kampfstoffe und Munition, die einmal produziert wurden, sind nicht ewig haltbar. Ist deren chemische Stabilität nicht mehr gewährleistet, muss die Munition entsorgt werden. Die Schweizer Armee hat sich ihrer Altmunition bis vor kurzer Zeit auf dem Susten entledigt. Geschosse und deren Komponenten wurden in eine Grube gelegt, mit Sprengstoff überdeckt, mit Kies und Sand verdämmt – und gesprengt. Schon vor zehn Jahren haben Umweltschutzkreise darauf hingewiesen, dies sei eine erhebliche Gefährdung für Natur und Mensch. Das VBS (damals EMD) hingegen hat diese Entsorgungspraxis als sichere und die Umwelt nicht beeinträchtigende Methode dargestellt. – Heute ist bekannt, dass dieser ehemalige Sprenglatz eine Altlast und damit eine Gefahr für die Umwelt ist.

Es scheint eine Lebenshaltung von Zauberlehrlingen zu sein, die Wirkung ihres Tuns solange zu verdrängen, bis der Geist den sie riefen, längst sein Eigenleben entwickelt hat. Nach dem offiziell ersten Einsatz von uranhaltiger Munition im Golfkrieg von 1991 haben NGO auf die Gefahren dieser Munition hingewiesen – diese Warnung wurde in den Wind geschlagen. Verschiedene Indizien deuten heute darauf hin, dass auch Angehörige von Blauhelm-Kontingenten in Bosnien und Kosovo die Folgen der Bombardements ihrer Kollegen zu tragen haben. Die Zauberlehrlinge wehren sich noch dagegen, aber auch in diesem Fall werden sie irgendwann die Augen öffnen müssen und die Folgen ihres Tuns anerkennen.

Die Zauberlehrlinge waren fleissig in all den Jahren ihres Schaffens. Es muss angenommen werden, dass da noch mancher Geist herumspukt, den sie riefen und den wir nun nicht mehr los werden.

Urs Höltschi, ehemaliger Leiter der Arbeitsstelle Militär und Ökologie (amö)


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