Weitere Kollateralschäden

Überall wurde in den letzten Wochen von den Nato-SoldatInnen gesprochen, die an Krebs starben. Die Erkrankung wurde vermutlich durch das Uran verursacht, das in den Geschossen des Kosov@-Krieges eingesetzt worden war. Nur Wenige wandten den Blick nach Serbien und Kosov@, wo ebendiese Geschosse inmitten von Wohngebieten und Anbauflächen einschlugen und die Bevölkerung weit mehr gefährdeten. Wie beurteilt eine serbische Forscherin den Einsatz von Uran durch die Nato? Eine Anklage.

Von Radmila Nakarada*

Der Tod von KFOR-Soldaten, der vermutlich durch das von der Nato in Kosov@ und Serbien eingesetzte abgereicherte Uran verursacht wurde, alarmierte ganz Europa. Diese erste Welle öffentlicher Besorgniss bleibt aber oberflächlich.

‚Menschliches' Uran

Die Nato-Intervention wurde als "ethischer Krieg" gefeiert, als "eine Aktion, die sich in tiefstem Respekt für Menschenrechte und Gerechtigkeit begründete" (so Vaclav Havel). Die Souveränität wurde rechtmässig einem "höheren Prinzip untergeordnet, das den Schutz von Leben und Freiheit von Bürgern und Minderheiten über die Autorität eines Staates stellte" (so der Historiker Goldhagen). Auf der anderen Seite und im Namen dieser höheren Prinzipien der Zivilisation wurden zehn tödliche Tonnen von abgereichertem Uran über dem Territorium von Jugoslawien abgeworfen. Der grösste Teil davon wurde über Kosov@ abgeworfen, dort, wo vorwiegend AlbanerInnen wohnen – diejenigen Menschen also, deren Menschenrechte, deren Freiheit und deren Leben den Grund für die Intervention bildeten.

Diese tödliche Operation wurde durchgeführt, trotz der Tatsache, dass die über Irak abgeworfenen 300 Tonnen dieses Urans zu seltsamen Krankheiten bei amerikanischen Soldaten führten, während im Irak 250 000 ZivilistInnen verseucht wurden und die Rate von bösartigen Geschwürkrankheiten um 30% angestiegen ist. Nach dem Golfkrieg wiederholte sich dasselbe Drama nochmals in Bosnien und führte zu einem erwiesenen Anstieg von Leukämie und Krebs.

Fehlende Transparenz

Obwohl diese gefährliche Waffe durchaus der Grund für die nicht rückgängig machbare Verseuchung von Boden, Wasser und Lebensmitteln sein kann, ja vielleicht den Tod von unschuldigen ZivilistInnen verursacht, erhalten wir nicht ein kleines Bisschen an Informationen. Wir brauchen dieses Wissen aber, um Aktivitäten zur Linderung der schlimmen Folgen aufzubauen! Anstatt die schicksalhafte Frage zu beantworten, weshalb eine derart zerstörerische Waffe durch die stärkste Armee der Welt überhaupt eingesetzt wird und wie sie genau wirkt, wird ein ganzes Netz von Lügen aufgebaut. Das Thema wird als komplizierte Kontroverse dargestellt, die negativen Auswirkungen werden verleugnet, mit Autorität wird bekräftigt, dass es keine Verbindung zwischen den Uranbomben und den Krebserkrankungen gäbe. Statt Antworten werden zynische Kommentare angeboten: Alle Schwermetalle seien schädlich, einige sogar schädlicher als das angereicherte Uran. Ausserdem sei die Nato keine wissenschaftliche Institution.

Wenn es also keine Korrelation gibt, warum verteilte man dann vor den Bombardements an alle Nato-SoldatInnen jenes Flugblatt, welches auf die Giftigkeit des Urans hinwies? Warum werden die genauen Koordinaten der bombardierten Gebiete durch die Nato nicht bekannt gegeben? Warum verhinderte Präsident Clinton eine gründliche Untersuchung durch die Uno, die den Auswirkungen der Bombardements nachgehen wollte? Warum tun die europäischen Alliierten, die an den Entscheidungen und den Bombardements teilnahmen, nun so, als wären sie nicht oder schlecht informiert gewesen? Warum verlangen sie in ihrer verspäteten Sorge um das Wohl ihrer SoldatInnen die Wahrheit, ihre vorherige moralische und rechtliche Verantwortung ignorierend?

Indem die Kontroverse auf diese Art weitergeführt wird und an der Ungewissheit einer Beziehung zwischen dem Uran und den Krebserkrankungen festgehalten wird, soll die Option, die Munition auch in Zukunft zu verwenden, aufrechterhalten werden. Im Namen der angerufenen ethischen Grundsätze und humanitären Anliegen müsste eigentlich der leiseste Verdacht ausreichen, damit diese Waffen geächtet und verboten werden. Dies sollte zu einem universellen Prinzip in einer Welt werden, in welcher destruktive Auswirkungen technischer Errungenschaften immer häufiger werden.

Ungleiches Leiden

Die Aufregung in den europäischen Ländern wegen des Todes der KFOR-Soldaten scheint eine erste grosse Sorge um die zerstörerischen Folgen postmoderner Kriege geweckt zu haben. Aber diese Sorge beschränkt sich weiterhin auf das Schicksal der eigenen SoldatInnen und schliesst die lokale Zivilbevölkerung nicht ein. Das Schicksal der lokalen Opfer war – wie auch im Falle Iraks – nicht bedeutsam genug, um Fragen und ernsthafte Zweifel auszulösen, geschweige denn Protestwellen. Lokale Opfer wurden immer und immer wieder, implizit oder explizit, als irrelevante Kollateralschäden in Kauf genommen. Die gegenwärtige Aufruhr beweist nur, wie unterschiedlich menschliches Leben gewertet werden kann. Das ist Rassismus.

Syndrom des Irrsinns

Die Intervention als Ganzes zeigt zwei dramatische Fakten:

1) Dass die globalen Eliten bereit sind, unter dem Banner höchster moralischer Prinzipien irreversiblen Schaden zu verursachen und die Lebensbedingungen von BürgerInnen und Ungeborenen von Ländern, die das Objekt ihrer Intervention sind, zu degradieren. Sie setzen sogar eigene BürgerInnen - ihre SoldatInnen - tödlichen Gefahren aus.

2) Es gibt kein Recht, kein Gericht, keine sozialen Kräfte, keine Medien und kein Bewusstsein, das solch irrationale Zerstörung verhindern kann oder die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht. Diese beiden Tatsachen zeigen, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen der ‚humanitäre Interventionismus' eine Globalisierung mit einem unmenschlichen Gesicht fördert. Oder anders gesagt: Der Tod dieser KFOR-Soldaten und zahlloser, anonymer ZivilistInnen in Irak, Bosnien und bald auch in Kosov@ und Serbien ist nicht eine Konsequenz des Golf- oder Balkan-Syndroms, sondern eines Syndroms des Irrsinns der globalen Elite.

*Dr. Radmila Nakarada ist Lehrbeauftragte am Institut für Europäische Studien in Belgrad und Mitglied der Transnational Foundation for Peace and Future Research. Übersetzung: mr.

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