Die neuen Gesetze des Spektakels und der Inszenierung, denen die Informationssendungen und ganz besonders die Fernsehnachrichten unterliegen, haben das Verhältnis zur Realität und Wahrheit stark beeinflusst, deren Wesen verändert und die Bezugsgrössen ins Wanken gebracht.
Der Wendepunkt ist wohl am Ende des Vietnamkrieges (19621975) zu situieren. Jener Krieg, bei dem die Kameras der Fernsehjournalisten dem Geschehen hautnah folgten und die Leiden der Männer im Kampf selbstgefällig zeigten, markierte in der Tat den Höhepunkt eines gewissen Nachrichtenvoyeurismus. Die Bilder nahmen dem Krieg jede epische Aura. Die Fernsehzuschauer konnten der Niederlage des Imperiums beiwohnen. "Zur Zeit des Vietnamkrieges", berichtet der Fotograf und Dokumentarist Roger Pic, "gab es sowohl in Amerika als auch in Frankreich und in anderen europäischen Ländern wachsende Zweifel in Bezug auf die Berechtigung der Aktion, die die Amerikaner da auf fremdem Terrain durchführten. Vielleicht waren es gerade gewisse Reportagen, die zu einem bestimmten Bewusstsein führten und es der öffentlichen Meinung in der Folge ermöglichten, gegen den Vietnamkrieg zu reagieren. Und vielleicht hat gerade das die Amerikaner bewogen, aufzugeben und abzuziehen, das Banner unter dem Arm des Botschafters in Saigon."1
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Seither unterliegen Kriegsbilder stets einer strengen Kontrolle, nicht nur in den Vereinigten Staaten. Von gewissen Konflikten gab es ganz einfach keine Bilder mehr. Wenn man die zwanghafte Leidenschaft der Fernsehnachrichten für Blut und Gewalt kennt, kann man die Frustration der Sender leicht ermessen. Es gab zum Beispiel weder von der Rückeroberung der Falklandinseln durch Grossbritannien im Jahre 1982, noch von der israelischen Invasion des Südlibanons im gleichen Jahr, noch von der Besetzung Grenadas durch die USA im Jahre 1983 irgendwelche Bilder von Einsätzen, Konfrontationen oder Gefechten. Alles, was man zu sehen bekam, waren "saubere" Bilder von korrekten Soldaten und von Gefangenen, die respektiert wurden keine Spur von Gewalt.
"Nach Vietnam haben sich die Dinge allmählich verändert", erklärt der französische Admiral Antoine Sanguinetti, "zuerst bei den Engländern, dann auch bei den Amerikanern. Falkland, Grenada und Panama waren in Wirklichkeit nichts anderes als Kriege ohne Zeugen. ( ) Grenada markierte auf amerikanischer Seite die Wende. Dort hat der Admiral und Befehlshaber mit dem klaren Einverständnis der US-amerikanischen Regierung den völligen Ausschluss der Medien angeordnet."2
Und schon ist es zur Norm geworden, keine Kriege mehr zu zeigen. Vor allem nicht jene, an denen westliche Streitmächte beteiligt sind. Die politischen Machthaber lassen es schlichtweg nicht mehr zu, so überzeugend ihre bombastischen offiziellen Erklärungen zugunsten der Meinungsfreiheit auch tönen mögen.
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Die Machthaber sind inzwischen misstrauisch geworden gegen die Kraft der Bilder, denn diese vermögen die schönsten Siege zu trüben. Welchen Eindruck hätten wohl die Aufnahmen von israelischen Soldaten in Tyrus oder in Sidon bei der öffentlichen Meinung hinterlassen, als diese 1982 entwaffnete Zivilisten misshandelten und Tausende von Männern mit verhüllten Köpfen in Lager einschlossen, kurz, als sie sich wie jede andere Armee auf erobertem Gebiet aufführten? Oder die Bilder der mit Frankreich verbündeten "heroischen Truppen" von Hissène Habré, wie sie systematisch libysche Gefangene liquidierten?
So musste die Berichterstattung über die Operation "Wüstensturm" während des Golfkrieges im Jahre 1991 zwangsläufig in einem Missverständnis münden: Die Medien versprachen, den Krieg live zu zeigen, während die Armeeführung beschlossen hatten, den Journalisten nur Köder anzubieten. Und wer von Überraschung sprach, dem mangelte es ganz einfach an Information. "Glauben Sie nur nicht, dass die Medien zum Zeitpunkt des Golfkrieges nicht vorbereitet gewesen wären", versichert Antoine Sanguinetti. "Alles war niedergeschrieben worden, alle waren benachrichtigt worden; auch Frankreich war zu gegebener Zeit informiert worden. In einer Nummer der Zeitschrift 'Armées aujourd'hui' vom September 1986 wird alles ausführlich erklärt: wie sich die Dinge in Grenada abgespielt hatten, das Funktionieren der Pools und die erste Anwendung des Systems durch Frankreich im Einsatz 'Französische Marine gegen Greenpeace?"3
Mark Cristin-Miller, Professor an der Universität von New York, bestätigt das: "'Wüstensturm' war eine Propagandaoperation von noch nie gesehenem Ausmass. Für die westlichen Medien und für das amerikanische Volk war es ein Desaster, denn das Pentagon hatte das Ganze manipuliert und wie eine Choreografie dargeboten. Und die Medien haben das akzeptiert. Alle sind sie den Befehlen gefolgt und nach Hause zurückgekehrt, alle ausser Peter Arnett, Journalist beim Sender CNN. Dieses 'Kriegsmanagement' hat das Pentagon von der Regierung Thatcher gelernt. Die Invasion der Falklandinseln war nach einem Schema erfolgt, das das 'Spektakel' unter Kontrolle halten und die Medien abwehren sollte. Die Briten hatten ihre Lehre vordem aus den Ereignissen in Vietnam gezogen; und das Pentagon lernte nun seinerseits aus Grenada und Panama und war schliesslich bereit für die Operation 'Wüstensturm'."4
In einer von den Medien beherrschten Welt sind die Kriege zu gross angelegten politischen Werbeaktionen geworden, bei denen die Public Relations eine wichtige Rolle spielen. Kriege müssen saubere, klare Bilder produzieren, die den Kriterien der Propaganda, oder, im zeitgenössischen Jargon gesprochen, der Werbung, entsprechen.5 Und das ist eine zu ernste Angelegenheit, als dass sie den Reportern der Nachrichtensender überlassen werden könnte "Ich denke, dass sich die Berichterstattung bei den nächsten Konflikten noch schwieriger gestalten wird", meinte Jonathan Alter von "Newsweek", "weil die Armeeführungen ihre Techniken zur Kontrolle und zur Manipulation der Information dank der im Golfkrieg gesammelten Erfahrungen zweifellos noch ausfeilen werden."6
Alter wusste gar nicht, wie wahr er sprach! "Le Casor", die Zeitschrift der Vereinigung der Schüler und Ehemaligen von Saint-Cyr, der französischen Offiziersschule der Bodentruppen, enthält in seiner Nummer vom Januar 1999 ein Dossier mit dem Titel: "Krieg oder Herrschaft über die Information?", in dem zu lesen ist, dass für die Armeen dem Umgang mit den Medien eine zentrale Rolle zukommt und dass im Konfliktfall die Kontrolle über die Information mindestens ebenso wichtig ist wie das Geschehen auf dem Terrain selbst. Die Offiziere sind daran, "Pläne für eine Medienkampagne" auszuarbeiten, um Botschaften zu übermitteln, der feindlichen Propaganda entgegenzuwirken und die Bevölkerung dazu bewegen zu können, mit den Truppen zusammenzuarbeiten. Einer der unteren Dienstgrade erinnert daran, dass die verschiedensten Medien Radio, Fernsehen, Internet, Presse, Plakate, Flugblätter usw. eingesetzt werden müssen mit dem Ziel, "durch Kontrolle zu schwächen" und "Zweifel zu wecken an der Sache des Gegners, an der Fähigkeit seiner Führer, an deren Integrität und an deren Geschick".7
1 Roger Pic, "Vietnam, une guerre transparente?", in: Autorenkollektiv, Guerres et télévision", Valence, CRAC, 1991 2 Antoine Sanguinetti, "Les militaires et le contrôle de l'information", in: Autorenkollektiv, "Guerres et télévision", Valence, CRAC, 1991 3 Antoine Sanguinetti, "Les militaires et le contrôle de l'information", in: Autorenkollektiv, "Guerres et télévision", Valence, CRAC, 1991 4 Le monde, 23. Februar 1998 5 Vgl. Michel Collon, "Attention médias! Les médiamensonges de la guerre du Golfe. Manuel anti-manipulation", Bruxelles, EPO, 1992; vgl. auch Gérard de Selys et al., "Médiamensonges", Bruxelles, EPO, 1991; Alain Woodrow, "Information-manipulation", Paris, Félin, 1991; Autorenkollektiv, "La presse en état de guerre", Montpellier, Reporters sans frontières, 1991; Yves Mamou, "C'est la faute aux médias! Essai sur la fabrication de l'information", Paris, Payot, 1991 6 Zitiert von André Gazut, in: Autorenkollektiv, "Guerres et télévision", Valence, CRAC, 1991 7 Vgl. Jacques Isnard, "Les armées veulent contrôler les esprits", Le monde, 23. Januar 1999 *Ignacio Ramonet ist Chefredaktor der monatlich erscheinenden "Le monde diplomatique". Die ungekürzte Fassung des Textes in "Die Kommunikationsfalle" im Rotpunktverlag erschienen.Der vollständige Text von Ignacio Ramonet, den wir an dieser Stelle mit freundlicher Genehmigung des Verlags auszugsweise abdrucken, ist im letzten Buch des Autors nachzulesen: "Die Kommunikationsfalle. Macht und Mythos der Medien". Die Lektüre legen wir allen am Thema interessierten nahe, auch wenn die Kriegs- und Konfliktberichterstattung nur ein Thema unter mehreren darin ist. "Ein Plädoyer für die Information" umreisst der Klappentext den Inhalt sehr gut: Kriegslügen, Monicagate (Sie erinnern sich noch an Mister Clinton?), die neuen Formen der Zensur, Fälschungen, Manipulationen und der alles überschwemmende Mainstream im Schlepptau des ständig dominanteren Fernsehens dies die Medienbereiche, auf die Ramonet in seinem Buch eingeht und deren Zusammenhängen er in gewohnt einfacher und gut lesbarer Form auf den Grund geht.
Ignacio Ramonet: "Die Kommunikationsfalle. Macht und Mythen der Medien", 1999, Zürich, Rotpunktverlag, 184 Seiten
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