JournalistInnen brauchen Medien, um die Produkte ihrer Arbeit für die RezipientInnen wahrnehmbar zu machen. Die innere und äussere Verfasstheit dieser Medien bedeutet in der Praxis oft eine Einschränkung der berufsständischen Regeln. Verlage und Rundfunksender sehen journalistische Qualität nicht mehr unbedingt als wichtigstes Kriterium, sondern zunehmend als Kostenfaktor. Der Wettbewerb im Mediensektor läuft völlig einseitig über die Auflage, respektive die Quote, und nicht über die Qualität. Das führt dazu, dass sich die Anforderungen im Medienbereich von der journalistischen Kompetenz weg hin zur Präsentation verlagern. Wirtschaftliche Faktoren, vom Kostendruck bis zur direkten Einflussnahme gehören nach Ansicht vieler Praktiker zu den ernsten Bedrohungen der Pressefreiheit, zumindest aber der journalistischen Qualität. Die Tatsache, dass die Lufthansa Anfang dieses Jahres eine Ausgabe der deutschen Financial Times nicht an Bord nahm, weil diese sich in einem Artikel kritisch mit der Geschäftspolitik der Airline auseinandergesetzt hatte, zeigt, mit welche harten Bandagen gekämpft wird.
Dieser Befund macht es zunehmend nötig, in Krisensituationen die Informationsübermittlung durch selbstorganisierte Medien zu sichern. Das "Center for War, Peace and the News Media" der New York University nennt derzeit die Zahl von 150 Projekten der Konfliktbearbeitung durch Medien weltweit. Die Anstrengungen, welche die BBC, die Deutsche Welle oder die Voice of America für journalistische Informationen in lokalen Sprachen machen, sind besonders in Krisenregionen mit eingeschränktem Zugang zu Medien sehr wichtig, aber keineswegs ausreichend. Krisenregionen, z.B. im Bereich der grossen Seen Afrikas, brauchen spezifische Information. Medien, die solche Informationen liefern wollen, müssen in der Region lokal verankert sein. Informationsverbreitung von aussen kann nur letztes Mittel sein.
Die UNESCO leistet mit ihrer Abteilung "SOS Medien" seit 1992 Medienhilfe, sowohl auf diplomatischer Ebene bei der Vergabe von Frequenzen oder mit der Begleitung von Mediengesetzgebung, als auch praktisch durch den Einbezug von Medienfragen bei der Aushandlung von Friedensvereinbarungen und bei humanitären Hilfsaktionen. In Einzelfällen hat auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, z.B. 1992 in Kambodscha, die Einrichtung unparteiischer Medien beschlossen. Welche Medien unterstützt werden, ist stark von der Infrastruktur der jeweiligen Region abhängig, für den afrikanischen Kontinent z.B. liegt ein deutlicher Schwerpunkt beim Radio.
Der BBC-Monitoring Service hat 1998 den Versuch einer Aufstellung der verschiedenen elektronischen sogenannten Hass- und Friedensmedien gemacht. Betreiber sind meist NGO, oft Interessengruppen politischer, ethnischer oder religiöser Art. Der Begriff "Friedensradio" wird dabei auch kritisch diskutiert. Radio sollte keine Gegenpropaganda machen, weil das nur zu Polarisierung führt. Das Ziel von Medienprojekten muss die Unabhängigkeit und Professionalität der geförderten Medien sein.
Der afrikanische Staat Burundi ist gekennzeichnet von starken ethnischen Gegensätzen zwischen den dort lebenden Angehörigen der Volksgruppen der Hutus und der Tutsis. Nachdem sich die Spannungen zwischen diesen Gruppen im benachbarten Ruanda 1994 in einem Völkermord entladen hatten, gab es Initiativen, eine ähnliche Eskalation in Burundi durch Prävention zu verhindern. Eines dieser Projekt ist Studio Ijambo, eine Radioredaktion, die über Sendezeit beim staatlichen Sender verfügt. Die amerikanische NGO "Search for Common Ground" hat Studio Ijambo eingerichtet und lokale JournalistInnen angestellt. In gemischt-ethnischen Teams recherchieren Hutus und Tutsi gemeinsam Themen und setzen sie in Radio-Programme um, die mehrere Funktionen erfüllen.
Da Hutus und Tutsis gemeinsam auftreten, können sie Einblick in die Realität der ansonsten streng abgeschotteten anderen Gruppe bekommen und ihre Erfahrungen in der jeweils eigenen Gruppe weitergeben. Diese Teams erreichen auch eine besonders hohe Glaubwürdigkeit. Internationale Agenturen und Sender wie die BBC nutzen Studio Ijambo als Informationsquelle. Gesprächsrunden mit ModeratorInnen, die in konfliktlösender Gesprächsführung geschult sind, fördern den politischen Diskurs zwischen den verfeindeten Gruppen. Ergänzend wird eine Radio-Soap-Serie produziert, in der eine Hutu- und eine Tutsi-Familie Wand an Wand wohnen und ihre Alltagskonflikte ohne Gewalt lösen.
Der Genozid 1994 in Ruanda wird derzeit vor einem UN-Tribunal juristisch aufgearbeitet. Dieses Tribunal findet in Arusha, einer Provinzstadt Tansanias, statt. Die Kommunikationsinfrastruktur ist schlecht, internationale Medien sind dort überhaupt nicht vertreten. So könnte die juristische Aufarbeitung des Völkermordes in aller Stille stattfinden. Wenn nicht die Schweizer Stiftung Hirondelle, auf Medieneinsatz in der Konfliktbearbeitung spezialisiert, in Arusha eine Redaktion eingerichtet hätte. Diese liefert regelmässig Berichte von der Arbeit des Gerichtshofes für Hörfunk und Presse in englisch, französisch und Kinyruanda. Ausserdem dokumentiert sie die Arbeit des Tribunals und macht die Dokumente im Internet verfügbar. Vor dem Tribunal in Arusha stehen übrigens auch JournalistInnen unter der Anklage des Völkermordes. Mit dem italienisch-belgischen Reporter Georges Ruggio wurde erstmals ein Journalist wegen seiner Hetze via Radio (Milles Collines/MC, Ruanda) zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Diesen Herbst findet ein weiterer Prozess gegen den Direktor sowie ein Mitglied des Trägerkreises von Radio MC statt; ausserdem muss der Chefredakteur der Zeitung Kangura vor dem Tribunal erscheinen.
Während des Bürgerkrieges in Liberia waren Radiosender wichtige Kriegsziele. Vor und noch lange während des Krieges gab es mehrere unabhängige Sender. Sie wurden jedoch nach und nach zerstört. Danach verfügte der Chef der einflussreichsten Miliz mit seinen Sendern über ein Nachrichtenmonopol im Land, da die Infrastruktur, z.B. für den Zeitungsvertrieb, zerstört war und ein Grossteil der Bevölkerung analphabetisch ist. Als ein Friedensprozess in Gang kam, richtete die Stiftung Hirondelle mit internationaler Unterstützung Star-Radio ein, mit leistungsstarken UKW- und Mittelwellensendern. Eine Redaktion aus einheimischen JournalistInnen produzierte vom Juni 1997 an ein sehr erfolgreiches nachrichtenorientiertes Programm in 17 lokalen Sprachen, das im ganzen Land empfangen wurde und per Internet weltweit abgerufen werden konnte. Nach verschiedenen Auseinandersetzungen mit der Regierung wurde Star-Radio am 15. März 2000 von den liberianischen Behörden geschlossen. Trotz intensiver Bemühungen auf vielen Ebenen konnte es bis heute nicht wieder auf Sendung gehen.
Star-Radio wurde Opfer der Achilles-Ferse elektronischer Medien. Sie sind fast überall auf die Zustimmung der jeweiligen Regierungen angewiesen. Rechtliche Probleme gehören zu den grössten Schwierigkeiten für Medienprojekte in Konfliktsituationen. Auf Einladung der Schweizer Stiftung Hirondelle fand deshalb im Juli 1998 in Genf ein internationales Kolloquium zur Frage statt: Darf sich die internationale Gemeinschaft in die Belange der Information einer Region einmischen?
Das Ergebnis: Das internationale Recht kennt keine explizite Rechtsgrundlage für die Verbreitung unparteiischer Informationen (non-partisan-information) in einem Land, dessen Regierung dies nicht zulässt. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und die Freiheit, sich zu informieren, sind individuelle Rechte. Wenn aber der Zugang zu unparteiischer Information für die Menschen in Krisenregionen unmöglich gemacht wird, kann ein Recht auf Einmischung entstehen. Gemäss Genfer Konvention hat die internationale Gemeinschaft das Recht zur Einmischung, wenn die humanitären Grundbedürfnisse nicht gesichert sind. Sie kann dann für die Deckung dieser Grundbedürfnisse sorgen, auch ohne das erklärte Einverständnis der jeweiligen Machthaber. Bei Beginn humanitärer Hilfeleistung kann auch die Einrichtung unparteiischer Medien zur Vorbedingung gemacht werden. Die UNESCO fordert dies seit vielen Jahren.
Unter den Teilnehmenden des Kolloquiums herrschte Einigkeit darüber, dass es sich bei der Frage des Zugangs zu unparteiischer Information um ein solches Grundbedürfnis handelt. Durch die regelmässige Einbindung von Medienprojekten in humanitäre Hilfsmassnahmen könnte ein Gewohnheitsrecht entstehen; trotzdem sollte eine noch zu erarbeitende internationale Konvention über das Recht zur Information angestrebt werden.
*Martin Zint Journalist und Mitglied von Reporter ohne Grenzen Deutschland.Inhaltsübersicht | nächster Artikel |