Friedensprozesse bedürfen einer breiten und vor allem öffentlichen Diskussion über Konfliktursachen und Lösungsansätze. Medienfreiheit, Freiheit der Informationsbeschaffung und -verbreitung sowie eine gleichberechtigte Darstellung aller Seiten eines Konflikts, aller Interessen und Argumente sind zentrale Elemente dieser Diskussion. Nur so kann ein Klima der Toleranz gegenüber anderen Standpunkten entstehen und nur so können alle Konfliktparteien auf Respekt hoffen. Wichtig für den Aufbau des Friedens ist aber auch, dass das Engagement der Zivilbevölkerung und der Non-Profit-Organisationen in der medialen Öffentlichkeit eine Plattform erhält. Diese Rolle können Medien aber nur übernehmen, wenn die Medienfreiheit garantiert ist.
Staatlich-kontrollierte Medien funktionieren in eskalierten Konflikten und in Kriegsgebieten meist als Übermittler der herrschenden Ideologie und stellen damit nur die "eine Hälfte der Wahrheit" dar. Dadurch wird die wichtige Rolle unabhängiger Medien um so deutlicher. Nur ein breites Spektrum freier Medien, in all ihrer Vielfalt und mit all ihren verschiedenen Ausrichtungen, kann die Vielfalt vorhandener Meinungen und Interessen reflektieren. Ein freies Mediensystem ist eine Grundvoraussetzung für echten politischen Pluralismus, die Sicherstellung der Meinungsfreiheit und für eine eigenständige statt manipulierte öffentliche Meinung.
Was haben die unabhängigen Medien im ehemaligen Jugoslawien bisher erreicht und welche Mittel standen ihnen zur Verfügung?
Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien sind keineswegs beendet, auch in Kroatien oder Bosnien-Herzegowina nicht. Der Krieg geht in den Köpfen und Herzen der Menschen weiter. Der Frieden beginnt erst, wenn alle offenen Fragen, alle Dilemmas, alle Streitpunkte aus der Realität des Krieges offen besprochen werden können. Dazu gehören Fragen nach den Kriegsverursachern, nach Verantwortlichkeit und Schuld auf verschiedenen Ebenen. Die Geschichte der Opfer und zwar aller Seiten muss thematisiert und umfassend analysiert und kommentiert werden können. Auch die schwierige Frage nach der kollektiven Schuld der Bevölkerung muss ihren Platz haben. Können staatliche Medien diese Aufgaben erfüllen? Wohl kaum. Zwischen zwei sich gegenseitig ausschliessenden Positionen einer auferlegten kollektiven Amnesie (in Serbien) und einer permanenten Erinnerung an die "eigenen" Opfer sowie einer Tabuisierung der eigenen Mitverantwortung (in Bosnien-Herzegowina und zum grossen Teil auch noch in Kroatien) liegt ein tiefes schwarzes Loch, über welches der Weg der Versöhnung führen würde. Es ist ein Weg vieler schmerzhafter und delikater Geschichten.
Die ersten Schritte auf diesem Weg wurden aber gemacht; unter den InitiantInnen waren einige unabhängige Medien. Verschiedene Projekte wurden durchgeführt: Bücher veröffentlicht, Filme gedreht, öffentliche Diskussionsveranstaltungen abgehalten, regelmässige Rubriken in Zeitschriften eingeführt, spezifische Sendungen ins Programm aufgenommen, Internet Seiten lanciert, grenzüberschreitende Berichterstattung gestärkt usw.
Wie werden diese Projekte von der "anderen Seite" wahrgenommen? In staatlich kontrollierten Medien erscheinen sie sehr selten und wenn, dann werden sie mit Kommentaren ergänzt, die von Verdächtigungen, Misstrauen und sogar Hass geprägt sind. So wird der bestehende Graben zwischen den Seiten nur noch vertieft.
Die Vorurteile und der Hass in Bosnien-Herzegowina beispielsweise können nur überwunden werden, wenn die jeweils andere Seite (Föderation Bosnien-Herzegowina und Republica Srpska) nicht länger als "dort drüben" beschrieben wird, sondern wenn es sich um Leute und Ereignisse im selben, in "unserem" Land handelt.
Die Menschen "der anderen Seite" müssen wieder als Personen mit all ihren Problemen als Menschen wie du und ich eben dargestellt werden. Auch muss die Information über Friedens- und Menschenrechtsgruppen stärker werden, denn sie macht deutlich, dass "die anderen" nicht alle gleich sind und sie "uns" einfach vernichten wollen. Auch Berichte über nicht-nationalistische Parteien der Gegenseite, die zur Versöhnung aufrufen, dienen hierzu. Solche Informationen schaffen Perspektiven für die Entwicklung friedlicher Beziehungen zwischen den Ländern, Gebieten und Menschen. Die unabhängigen Medien nehmen sich vieler dieser Aufgaben bereits an und sind sich ihrer Verantwortung bewusst, ihre Anstrengungen noch zu verstärken.
Der öffentliche Diskurs im ehemaligen Jugoslawien ist geprägt vom sogenannten "hate speech" (Hassreden, Verhetzung). Er hat die Region in den letzten Jahren vergiftet. In den staatlichen und regierungsnahen Medien wurde der Gegner zum Feind dämonisiert. Eine Unmenge von Stereotypen, Vorurteilen und Hass zwischen den Menschen verschiedener ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit wurde so geschürt. Diese Hass-Rhetorik ist in den Medien immer noch präsent manchmal sogar in unabhängigen Medien. Zwar werden diese Feindbilder dort in aufklärerischer Absicht verwendet, doch kann diese "ironische" oder kritische Benutzung von Stereotypen zu Missverständnissen führen. Deshalb sollte die Benützung von Feindbildern sehr vorsichtig überprüft werden, um eine ungewollte Wirkung bei den MedienkonsumentInnen zu vermeiden und um sicherzustellen, dass das aufklärerische Ziel erreicht wird. Im Zweifelsfall gilt: lieber nicht.
Ein Beispiel: Auch in unabhängigen Medien der Republik Srpska (serbischer Teil Bosnien-Herzegowinas) werden Begriffe wie "muslimische Zeitung" oder "muslimische Regierung Sarajewos" verwendet, ohne dass über ihre hintergründige Bedeutung nachgedacht wird. Dasselbe gilt für den Begriff "Tschetnik" in unabhängigen Medien der Republik Bosnien-Herzegowina: Man will damit zwischen "Kriegsbeginnlern und -hetzerInnen" (den Tschetniks eben) und den übrigen SerbInnen unterscheiden. Aber verstehen die LeserInnen diese Unterscheidung auch immer?
Die Behauptung, dass die Menschen der verschiedenen nationalen und religiösen Zugehörigkeiten in Jugoslawien "einfach nicht zusammen leben können", ist weit verbreitet. Dies war ja schliesslich auch jahrelang eine der Schlüsselbotschaften der PolitikerInnen in ihrer nationalistischen Propaganda. Je stärker diese Haltung in einer Gegend postuliert wurde, umso stärker wurde sie von der Bevölkerung verinnerlicht. Um diese Haltung wieder abzuschwächen und langsam zu beseitigen, braucht es grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Medien können die bestehende oder geplante Zusammenarbeit von Organisationen, Gruppen und Individuen öffentlich machen und damit stärken. Sie können die Programme der Zusammenarbeit in all ihrer Vielfalt beschreiben und die Ergebnisse schildern. Medien müssen aber auch selbst miteinander zusammenarbeiten: Verwendung unabhängiger Agenturen, die auf beiden Seiten benützt werden, gegenseitiger Informations- und Nachrichtenaustausch, Vernetzung von Vertriebssystemen für Printmedien, Vernetzung von Radio- und Fernsehprogrammen usw. Es ist beispielsweise nicht dasselbe, einen eigenen Reporter/eine Journalistin aus dem Gebiet der bosnischen Föderation auf die "andere Seite" in die Republika Srpska zu schicken, um "von drüben" zu berichten oder aber einen Bericht eines serbischen Reporters im bosnischen Programm zu bringen. Und umgekehrt. Indem man Medienschaffende der Gegenseite zu Wort kommen lässt, kann dem Publikum gezeigt werden, dass es jenseits der Grenze Menschen gibt, die gar nicht so anders denken, als man selbst.
Die unabhängigen Medien berichten aber auch über Ereignisse auf der anderen Seite, welche die Situation der dortigen unabhängigen Medien betreffen; so beispielsweise Einschränkungen der Pressefreiheit, Angriffe auf die befreundeten Medien, aber auch deren Arbeit in Sachen Menschenrechte usw.
Die unabhängigen Medien des ehemaligen Jugoslawien arbeiten längst zusammen und verbreitern ständig ihre Kooperation. Sie bauen damit an der Brücke, über die der Weg zu Frieden und Versöhnung führt bis eines Tages die Demokratie so stark ist, dass die staatlich kontrollierten Medien zu öffentlich-rechtlichen werden, die ihrer professionellen Verantwortung nachkommen müssen.
*Nena Skopljanac ist Politik- und Medienwissenschaftlerin. Sie arbeitet am Institut für Medienwissenschaften der Uni Bern und engagiert sich bei der Medienhilfe Ex-Jugoslawien.Inhaltsübersicht | nächster Artikel |